Klimapolitik Darum könnte der Föderalismus für schnellere Lösungen sorgen

Von Gabriela Beck

30.4.2022

Eine Wimpelkette, welche die Wünsche und Hoffnungen der Menschen in der Klimakrise symbolisiert. (Archivbild, Klimakundgebung in Basel am 24. Oktober 2020)
Eine Wimpelkette, welche die Wünsche und Hoffnungen der Menschen in der Klimakrise symbolisiert. (Archivbild, Klimakundgebung in Basel am 24. Oktober 2020)
KEYSTONE/Georgios Kefalas

Zehn Schweizer Thinktanks haben 20 Ideen veröffentlicht, wie die Schweiz den Klimawandel bekämpfen und bis 2050 klimaneutral werden kann. Eine davon macht sich den oft als Fortschrittsbremse kritisierten Föderalismus zunutze.

Von Gabriela Beck

30.4.2022

Bis 2050 soll die Schweiz klimaneutral sein. Die Umweltkommission des Nationalrates will nun sogar entsprechende Schritte ins Gesetz schreiben und so schneller vorankommen als mit der Gletscher-Initiative. Die Zeit drängt. Das Problem: Die Klimakrise ist komplex.

Vorschläge für Massnahmen gibt es viele – wie wirksam und praxistauglich sie sind, ist aber oft umstritten. Nun haben auf Einladung der Stiftung Mercator Schweiz und der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft zehn der renommiertesten Thinktanks der Schweiz 20 zentrale Ideen in einem Arbeitspapier veröffentlicht, das innovative Wege aus der Klimakrise aufzeigen soll.

Reatch, eine Ideenschmiede junger Wissenschaftler*innen in der Schweiz, macht sich darin den oft als Fortschrittsbremse geschmähten Föderalismus der Schweiz zunutze. Als Grundgedanke bedienen sich die Reatch-Experten der sogenannten randomisiert-kontrollierten Gesetzgebung. Heisst: Statt ein Gesetz national identisch und permanent einzuführen, werden Varianten zufällig und temporär auf Stadtteile, Gemeinden, Bezirke oder Kantone aufgeteilt und nach einer vordefinierten Zeit wissenschaftlich ausgewertet und verglichen.

Raus aus dem Teufelskreis der Vorsicht

Der Ansatz ermöglicht es, Risiken zu minimieren und mehr Sicherheit zu gewinnen, ohne wertvolle Zeit zu verlieren. Die Problematik: Je dringlicher die Klimakrise, desto umfassender sollte das nächste Gesetz wirken. Doch dadurch erhöht sich die Gefahr von negativen Nebeneffekten, was zu mehr politischer Vorsicht führt. Je zurückhaltender die Politik jedoch entscheidet, umso mehr Zeit verstreicht und die Krise wird dringlicher denn je – ein Teufelskreis.

Bei der randomisiert-kontrollierten Gesetzgebung findet hingegen trotz der globalen Auswirkungen die Umsetzung jeder Klima-Massnahme lokal statt. Mit kontrollierten Tests lassen sich Mechanismen dann in ihrer Effektivität vergleichen – zum Beispiel von der kleinräumigen Absatzsteigerung von Vegi-Menüs bis zum supranationalen Emissionshandel.

«Die Politik steckt dazu den Kooperationsrahmen ab. Die Umsetzung unterliegt lokaler demokratischer Kontrolle und erfolgt durch die Behörden, in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Fachgremien», schreiben die Reatch-Experten in dem Paper. Dank Föderalismus und starken Forschungsinstitutionen bringe die Schweiz die optimalen Voraussetzungen mit, um die bereits heute bisweilen massiven kantonalen Unterschiede in der Klimaförderung systematisch zu nutzen.

Weg von Profitstreben hin zur «Fleischlosen Schweiz 2050»

Neben dem Reatch-Vorschlag skizzierten die Thinktank-Köpfe und Trendforscher ein breites Spektrum weiterer Ansätze und Forderungen, welche die unterschiedlichen Positionen der teilnehmenden Institute abbilden.

Der wirtschaftsnahe Thinktank Avenir Suisse beispielsweise empfiehlt eine CO2-Steuer mit Rückverteilung. Das kapitalismuskritische Denknetz auf der anderen Seite insistiert darauf, nachhaltige Entwicklung und kapitalistische Profitlogik gingen nicht zusammen. Dazwischen finden sich Forderungen nach einer «Fleischlosen Schweiz 2050» vom GDI, einer weitgehend von der Migros finanzierten Denkfabrik, oder das Postulat von klar bezifferten CO2-Zielen der Zukunftsforschungsstelle der ETH Zürich.

Einig sind sich die zehn Institute in einem Punkt: Die menschgemachte Klimaerwärmung ist real und rasches Handeln erforderlich, vor allem in Bezug auf die Senkung von Treibhausgas-Emissionen. Das gelte auch für die Schweiz, die mit ihrem hohen Wohlstand und als starker Wissenschaftsstandort international eine Vorbildfunktion einnehmen müsse.