Abschüsse bewilligt Bündner gehen jetzt gezielt gegen neues Problemrudel vor

Von Gil Bieler

24.8.2023

Die Bündner Regierung will weitere Wölfe schiessen. Im Fall des Beverinrudels wurde ihr Gesuch aber vom Bundesamt für Umwelt abgelehnt. (Archivbild) 
Die Bündner Regierung will weitere Wölfe schiessen. Im Fall des Beverinrudels wurde ihr Gesuch aber vom Bundesamt für Umwelt abgelehnt. (Archivbild) 
Bild: Keystone

Erst im Winter haben die Bündner Wildhüter den Beverin-Leitwolf erlegt. Jetzt wollten sie erneut in das Problemrudel eingreifen, aber der Bund sagt Nein. Und ein neues Rudel macht Ärger. Was ist los im Wolfskanton?

Von Gil Bieler

24.8.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die Bündner Regierung wollte ein Jungtier des Beverin-Wolfsrudels erlegen, das immer wieder für Ärger sorgt.
  • Das Bundesamt für Umwelt hat den Abschuss aber abgelehnt. Grund dafür sind unterschiedliche Auffassungen darüber, ob gerissene Schafe ausreichend geschützt waren. 
  • Erst im Winter 2022 hatten die Bündner den Leitwolf des Beverinrudels erlegt. Seither habe sich die Situation verbessert, sagt Arno Puorger vom kantonalen Amt für Jagd und Fischerei. 
  • Sorgen bereitet ihm dafür das Stagiasrudel in der Surselva, das ebenfalls durch vermehrte Angriffe auf Rinder auffalle. Hier dürfen die Wildhüter jetzt drei Tiere abschiessen.

Sie rissen im September 2020 einen ausgewachsenen Esel. Griffen zweimal Mutterkühe an. Kamen auch Menschen nah. Die Wölfe des Beverinrudels gelten als notorisch problematisch, im Bündner Parlament wurde darum sogar der Abschuss des ganzen Rudels gefordert.

So weit kam es nicht. Im Winter 2022 konnten Wildhüter aber den Leitwolf M92 im Bündner Safiental erlegen, das Bundesamt für Umwelt (Bafu) hatte den Abschuss genehmigt. Selbst die Umweltschutzgruppe WWF befürwortete diesen Schritt im Sinne einer Ausnahme, «um das Verhalten des Rudels rasch und nachhaltig zu ändern».

Jetzt wollte das Bündner Amt für Jagd und Fischerei das Rudel erneut regulieren, ein Jungtier erlegen. Bern lehnte das Gesuch aber ab, wie am Dienstag bekannt wurde.

Zwölf Rudel leben in Graubünden, hinzu kommen zwei Rudel im Grenzgebiet zum Tessin und zu Italien. Nirgendwo in der Schweiz hat es mehr Wölfe, mehr als hundert Tiere streifen durch den Kanton.

Ist das Beverinrudel immer noch das problematischste? Und hat der Leitwolf-Abschuss die Situation überhaupt beruhigt? Antworten hat Arno Puorger. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bündner Amt für Jagd und Fischerei und dort für Grossraubtiere zuständig.

Das Beverinrudel hatte wieder Nachwuchs

«Wir wissen noch nicht im Detail, wie sich das Rudel heute zusammensetzt», sagt Puorger zu blue News. Leitwölfin F37, die mit M92 das Elternpaar gebildet hatte, sei wohl dageblieben. Und sie fand offenbar einen neuen Partner: Im Juli seien im Beverinrudel mindestens zwei Jungtiere zur Welt gekommen.

Wer der Vater ist, müsste erst noch durch genetische Proben geklärt werden, sagt Puorger. Doch es gibt eine starke Vermutung: «Höchstwahrscheinlich war es der Wolf M125 aus der Surselva, der sich dem Beverinrudel als neues Vatertier angeschlossen hat.»

Wölfe rissen bisher halb so viele Nutztiere

  • Die Zahl der Nutztier-Risse ging in Graubünden im laufenden Alpsommer markant zurück. Laut dem kantonalen Amt für Jagd und Fischerei wurden bisher 162 Nutztiere gerissen, das sind rund halb so viele wie zum gleichen Zeitpunkt im Vorjahr (347). Woran dies liege, kann Arno Puorger vom Amt nicht sagen. Hier zeigten sich aber wahrscheinlich verschiedene Effekte, zu denen die Herdenschutzmassnahmen als auch die Abschüsse einzelner Wölfe zählten, sagt der Grossraubtier-Experte des kantonalen Amts.

Beim neuerlichen Abschussgesuch ging es darum, einen der Jungwölfe zu töten. Dies aus zwei Überlegungen: «Zum einen sollte eine Vergrämung erzielt werden», erklärt Puorger. «Die überlebenden Wölfe sollten idealerweise lernen, dass die Nähe zum Menschen und zu Nutztieren gefährlich ist.»

Zum anderen habe das Rudel diesen Sommer auf der Stutzalp in Splügen mittlerweile 21 Schafe gerissen, obwohl es Herdenschutzmassnahmen gebe. Die Mindestschwelle für einen Abschuss liegt bei acht gerissenen geschützten Tieren.

Doch was Schutz bedeutet, das ist Definitionssache.

Die Sache mit dem Herdenschutz

Für die Bündner Behörden ist klar: «Der Alpmeister hat das Zumutbare gemacht, um seine Tiere zu schützen.» Das System sei nicht immer einheitlich gewesen, doch seien sowohl Schutzzäune als auch Hunde zum Einsatz gekommen, erklärt Puorger.

In Bundesbern sieht man das anders: Für das Bafu befand sich keines der getöteten Schafe in einer geschützten Situation. Die Begründung: Die eingesetzten Schutzhunde hätten die Prüfung noch nicht abgelegt.

Genehmigt wurde dagegen die Regulierung des Stagiasrudels in der Surselva. Nebst zwei Jungwölfen darf dort auch das Elterntier M187 geschossen werden. Wieso so ein massiver Eingriff? «Um zu verhindern, dass wir zu ähnlich grossen Konflikten wie im Beverinrudel kommen», erklärt Puorger. «Das Verhalten der Stagias-Wölfe gleicht jenem, das wir vor ein paar Jahren beim Beverinrudel gesehen haben.» Er nennt hierbei vor allem wiederholte Angriffe auf Rinder.

Aus diesem Grund soll jetzt auch das Vatertier M187 getötet werden. Der Abschuss ist zwischen 1. November 2023 und 31. Januar 2024 möglich.

Und ein weiterer Abschuss wurde genehmigt: ein Jungtier des Moesola-Rudels im Misox. Damit dürfen die Bündner insgesamt vier Tiere erlegen.

WWF sieht Eingriff ins Satgiasrudel gelassen

  • Der WWF Schweiz übt keine Kritik am geplanten Abschuss des Rüden des Stagiasrudels in der Surselva. Man gehe «davon aus, dass die Behörden in Graubünden und das Bafu die Verfügung zur Regulierung des Stagiasrudels korrekt auf der Grundlage der bestehenden Gesetzgebung erlassen haben», teilt Mediensprecher Jonas Schmid auf Anfrage von blue News mit. Die Unterlagen würden nun beim WWF geprüft. Unabhängig davon müssten sich aber alle Parteien – von Behörden über Tierhalter*innen bis zu Naturschützer*innen – weiter gemeinsam und pragmatisch für «eine möglichst konfliktarme Koexistenz mit dem Wolf» einsetzen. 

Wie wurde das Beverinrudel zum Problemrudel?

Warum die Bündner ein zweites Beverinrudel verhindern wollen, liegt auf der Hand: Ab 2020 griffen die Beverin-Wölfe immer wieder Grossvieh an, vom besagten Eselriss über Jungrinder bis zu Mutterkühen. Das gab es in Graubünden in diesem Ausmass nur beim Beverinrudel, wie Puorger sagt.

«Hinzu kamen mehrere Begegnungen mit dem Menschen, bei denen die Wölfe ein problematisches Verhalten gezeigt haben.» Hier geht es um Annäherungen an Siedlungen, aber auch um Begegnungen mit einer Wandergruppe oder einer Hirtin. Die Wölfe liessen dabei Scheu vermissen und hätten Drohgebärden gegenüber den Menschen – oder deren Begleithunden – an den Tag gelegt. «Aus diesen zwei Gründen stach das Rudel negativ heraus.»

Zwölf Wolfsrudel streifen im Sommer 2023 durch Graubünden, hinzu kommen zwei Rudel im Grenzgebiet (blau markiert).
Zwölf Wolfsrudel streifen im Sommer 2023 durch Graubünden, hinzu kommen zwei Rudel im Grenzgebiet (blau markiert).
Amt für Jagd und Fischerei GR

Das Bafu habe daher drei Abschüsse im Beverinrudel genehmigt, darunter auch jenen des Leitwolfs M92. Das habe sich positiv ausgewirkt, wie sich nun zeige: «Der Winter war ruhiger als der letztjährige. Es gab wenige Sichtungen in Siedlungsnähe, auch Angriffe auf Rinder blieben aus. Das zeigt, dass eine Verbesserung der Situation erreicht wurde.»

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04.08.2023