Kind erschiesst «M237» Schweizer Wolfsfreunde feiern hartnäckige Ermittlungen der Ungarn

Von Gil Bieler

4.8.2023

Die 1900 Kilometer lange Wanderung Richtung Osten von Wolf «M237» konnte dank Peilsender verfolgt werden.
Die 1900 Kilometer lange Wanderung Richtung Osten von Wolf «M237» konnte dank Peilsender verfolgt werden.
Bild: Gruppe Wolf Schweiz / Facebook

Der aus der Schweiz nach Ungarn gewanderte Wolf «M237» wurde wohl von einem Kind erschossen – das ergaben viermonatige Ermittlungen. Wolfsfreunde vermissen eine solche Hartnäckigkeit in der Schweiz.

Von Gil Bieler

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Im April 2023 wurde in Ungarn der Schweizer Wolf «M237» illegal geschossen.
  • Nun vermelden die Behörden: Wahrscheinlich hat ein neunjähriges Kind den Schuss abgefeuert.
  • Die Gruppe Wolf Schweiz findet die Beharrlichkeit der ungarischen Ermittlungsbehörden bemerkenswert. Und fragt sich, ob Wilderei in der Schweiz überhaupt ernsthaft verfolgt werde.
  • Die Bündner Kantonspolizei wehrt sich gegen diese Kritik.

Der aus Graubünden bis nach Ungarn gewanderte Wolf «M237» wurde mutmasslich von einem neunjährigen Buben illegal abgeschossen. Das berichtete der staatliche Fernsehsender MTV am Freitag.

Medienberichten zufolge soll die Polizei bereits am 2. August in Nyíregyháza den Vater des Kindes sowie einen Bekannten von ihm festgenommen haben, in dessen Begleitung das Kind sich befunden haben soll, als es den Wolf schoss.

Der Vorfall hatte sich schon im April ereignet und Schlagzeilen gemacht. Dass die Festnahme erst jetzt erfolgte, sehen Wolfsschützer mit Freude. Das zeige, dass die Ungarn an dem Fall drangeblieben seien.

«Die Wilderer von Wolf ‹M237› sind nach vier Monaten Ermittlungen in Ungarn gefasst», schreibt etwa die Gruppe Wolf Schweiz, die sich für das Grossraubtier in der Schweiz einsetzt, auf X (ehemals Twitter). Und sie platziert einen markanten Seitenhieb: «Im Vergleich zur Schweiz scheinen die ungarischen Behörden Wilderei ernsthaft zu verfolgen.»

Auf Anfrage von blue News führt David Gerke, Geschäftsführer der Gruppe Wolf Schweiz, diese Kritik aus: «Die einzigen mir bekannten Verurteilungen wegen gewilderter Wölfe gab es in der Schweiz, wenn der Schütze sich selbst angezeigt hat.» Das sei zum Beispiel dann der Fall, wenn jemand aus Versehen einen Wolf erlegt habe, etwa auf der Fuchsjagd. «Abgesehen von diesen Einzelfällen hat Wilderei aber nie die Verurteilung des Schützen nach sich gezogen.»

Umso interessanter findet er die Ereignisse in Ungarn: «In Ungarn gibt es nur wenige Wölfe, im Grenzgebiet zur Slowakei. Das Land hat also weniger Erfahrung im Umgang mit diesen Raubtieren.» Zudem habe Premierminister Viktor Orbán das Umweltschutzministerium geschwächt. «Trotzdem gingen die Strafverfolgungsbehörden diesem Fall sehr konsequent nach, obwohl sie hätten wegschauen können.»

Wobei Gerke auch festhält: «Das Schicksal von ‹M237› hat in Ungarn auch grosses mediales Echo ausgelöst. Das half bestimmt mit, dass die Suche nach der Täterschaft so intensiv betrieben wurde.»

Bündner Kapo: «Solche Fälle werden konsequent verfolgt»

Wölfe, die Wilderern zum Opfer fielen, gab es in der Schweiz schon einige. Die meisten Fälle werden in den Bergkantonen Wallis und Graubünden dokumentiert. Die Kantonspolizei Graubünden wehrt sich auf Anfrage gegen die Vorwürfe der Gruppe Wolf Schweiz. 

«Eine solche Aussage darf durchaus ein Stück weit unkommentiert bleiben, denn selbstverständlich werden solche Fälle konsequent verfolgt», hält Roman Rüegg, Mediensprecher der Bündner Kantonspolizei, fest.

Man habe in bisher fünf Fällen von Wilderei die Sachverhalte aufklären können. Doch eine Täterschaft habe nie ausfindig gemacht werden können – «trotz teils aufwendiger Ermittlungen», die auch in enger Zusammenarbeit mit dem kantonalen Amt für Jagd und Fischerei durchgeführt worden seien.

Wie gross ist das Problem der Wolfs-Wilderei in der Schweiz? Die Stiftung Kora, die sich um die Integration von Raub- und Wildtieren kümmert, listet in ihrem Bericht «25 Jahre Wolf in der Schweiz» von 2020 auf:

Wölfe, die in der Schweiz von Wilderern getötet wurden

  • 21. November 1998: In Reckingen VS wird Wolf «M01» gewildert.
  • 3. Januar 2014: In Tamins GR wird Wolf «M42» gewildert.
  • 7. März 2016: In Raron VS wird Wolf «M48» gewildert.
  • 14. März: 2016: In Sils i. D. GR wird Wolf «M64» gewildert.
  • 22. Februar 2017: Im Val d'Anniviers wird Wölfin «F16» gewildert.
  • 9. Juni 2017: In Jaun FR wird Wölfin «F13» gewildert.
  • 9. April 2019: In Grengiols VS wird ein männlicher Wolf gewildert.

    Quelle: Kora-Bericht von 2020.

Seit Erscheinen des Berichts kamen weitere Fälle dazu. Im Januar 2021 wurde der Kadaver eines Jungwolfs in Torgon VS gefunden. Die Gruppe Wolf Schweiz setzte eine Belohnung von 10'000 Franken aus für Hinweise, die zur Täterschaft führten. Geklärt wurde auch dieser Fall jedoch nicht.

David Gerke sieht zwar ein, dass es mitunter schwierig sei, die genauen Umstände eines Wilderei-Falles zu klären. Gerade im Wallis habe es aber auch gegenteilige Fälle gegeben. «Trotz starker Indizien wurden die Verfahren eingestellt. Da stellt sich schon die Frage, ob der Wille zur Aufklärung wirklich vorhanden war.»

Haft nach Abschuss des Schweizer Wolfs: Hier stürmt die Polizei das Haus der Wilderer in Ungarn

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Der Wolf «M237» wandert von Graubünden aus 1900 Kilometer bis nach Ungarn – nur um dort von einem neunjährigen Jungen erschossen zu werden, wie die Polizei nun belegen kann. Eine ungarische Anti-Terror-Einheit nahm die mutmasslichen Täter fest.

04.08.2023

Als konkretes Beispiel nennt er den Fall von Wölfin «M16», die im Val d'Anniviers gewildert wurde. Der Tatverdacht fiel schnell auf einen ehemaligen Polizisten, der laut Ermittlungsunterlagen der Walliser Staatsanwaltschaft «aus einem Schlupfloch in seinem Chalet auf ein Tier geschossen» habe, wie die «SonntagsZeitung» aus den Dokumenten zitiert. Den Vorfall habe er aber nicht gemeldet, den Kadaver manipuliert.

Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren am Ende aus Mangel an Beweisen ein. Insbesondere hätten ballistische Analysen keine verwertbaren Ergebnisse erbracht, heisst es zur Begründung.

Doch die Staatsanwaltschaft hält auch fest: Die Ermittlungen könnten jederzeit wieder aufgenommen werden.

Es gibt mehr Fälle als bekannt

Erst kürzlich wurde ausserdem bekannt, dass es in Graubünden mehr Fälle von Wilderei gab als bekannt. Das «Regionaljournal» von SRF berichtete im Juni, dass Wilderer seit 2020 drei Wölfe beschossen hätten, wovon die Öffentlichkeit jedoch nichts erfahren habe. Grundlage für diesen Bericht bildeten Recherchen des Naturfotografen Peter Dettling.

So wurde etwa Wölfin «F53» des Beverinrudels im Januar 2020 bei Bonaduz von einem Zug erfasst. Dettling fand jedoch heraus, dass sie davor mit Schrot angeschossen worden war. Das bestätigte das Bündner Amt für Jagd und Fischerei dem SRF. Die Schrotspuren seien jedoch erst durch die Analyse des Kadavers in Bern festgestellt worden, erklärte Arno Puorger vom zuständigen Amt für Jagd und Fischerei.

Im Oktober 2022 mussten Wildhüter im Val Lumnezia und im Februar 2023 bei Vals jeweils verletzte Wölfe erlegen. Beide Tiere seien vorher angeschossen worden, sagte Puorger. Über diese beiden Fälle von versuchter Wilderei habe man wegen der laufenden Untersuchungen noch nicht informiert, lautet die Begründung. Im nächsten Quartalsbericht würden sie aber ausgewiesen.