Harte Vorwürfe von erster Sarco-KlientinWollten Todeskapsel-Betreiber ans Geld der Sterbewilligen?
dmu
2.8.2024
Die erste Frau, die in der umstrittenen Todeskapsel Sarco hätte sterben sollen, hat in einem Brief schwere Vorwürfe gegen die Verantwortlichen erhoben. Diese wehren sich.
dmu
02.08.2024, 19:15
02.08.2024, 19:19
Dominik Müller
Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen
Jessica Campbell* hätte als erste Person mit der Suizidkapsel Sarco in der Schweiz aus dem Leben scheiden sollen.
Die Premiere wurde aber verschoben.
In einem Brief wirft sie den Verantwortlichen «finanzielle Ausbeutung» und «Medienstress» vor.
Die Amerikanerin starb mittlerweile bei einer anderen Schweizer Sterbehilfeorganisation.
Am 17. Juli hätte die Amerikanerin Jessica Campbell* die erste Klientin der Todeskapsel Sarco werden sollen. Die Frau ist an diesem Tag 55 Jahre alt geworden – und wollte mit ihrem Leben abschliessen. Die Premiere wurde verschoben.
Die Erfindung zur Suizidhilfe löste in den vergangenen Wochen ein grosses mediales Echo in der Schweiz aus. Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schaffhausen erliess zudem ein Verbot für die Kapsel. Die Betreiber um Sarco-Erfinder und Gründer der Sterbehilfeorganisation Exit International Philip Nitschke reagierten und verschoben die Einweihung.
Eine «Verschlechterung des psychischen Zustands» der Person, die mit dem Sarco aus dem Leben hätte ausscheiden sollen, gaben die Betreiber als Begründung für die Verschiebung an. Nun ist klar: Jessica Campbell ist mittlerweile mithilfe einer anderen Schweizer Sterbehilfeorganisation aus dem Leben verschieden. In einem Brief, der nun aufgetaucht ist und der NZZ vorliegt, erhebt sie schwere Vorwürfe gegen die Sarco-Betreiber.
Hab und Gut verkauft
Campbell stammt aus dem US-Bundesstaat Alabama. Wegen eines Nierenleidens brauchte sie Dialyse, litt an Polyneuropathie, war an den Rollstuhl gefesselt und stark übergewichtig. Sie entschloss sich, ihr Leben zu beenden. Ein Suizidversuch mit Schmerzmitteln scheiterte – dann stösst sie auf das neue Angebot in der Schweiz.
Sie verkauft fast ihren gesamten Besitz und reist mit 40’000 Dollar nach Europa. Über die Niederlande kommt sie in die Schweiz – und erlebt daraufhin «finanzielle Ausbeutung» und «Medienstress», wie die NZZ berichtet.
So sei Campbell in ein Luzerner Luxushotel eingebucht worden, das für fünf Nächte über 7000 Dollar gekostet habe. Sie habe sich als «einfaches Südstaaten-Girl» völlig fehl am Platz gefühlt.
«Du brauchst dein Geld nicht mehr»
Zudem sei sie von ihrem Betreuer Florian Willet sowie von Fiona Stewart – die beiden führen zusammen den Schweizer Exit-International-Ableger namens «The Last Resort» – finanziell ausgebeutet worden. Beide hätten darauf bestanden, persönliche Ausgaben von Campbells Kreditkarte abzubuchen.
Lebensmittel, Restaurantrechnungen, Tickets und sogar Spielzeug für Stewarts Hund habe die Amerikanerin bezahlt. «Du wirst sowieso bald sterben, also brauchst du dein Geld nicht mehr», soll Stewart, die zudem die Lebenspartnerin Nitschkes ist, zu ihr gesagt haben.
Stewarts Geschäftspartner Florian Willet widerspricht der Darstellung im Brief: «Sterbensgewillten Personen unsererseits unter die Nase zu reiben, dass sie ohnehin bald gestorben sein werden, wäre eine Grobheit und Unappetitlichkeit, die uns befremdlicher nicht sein könnte», wird er von der NZZ zitiert.
Jessica Campbell sei ausserdem ständig von Journalisten umlagert worden. Auch bei intimen Momenten wie dem Verstreuen der Asche ihrer Eltern sei sie von ihren Betreuern zu einem Medienspektakel gedrängt worden. «Der Medienzirkus stand immer im Vordergrund, während ich immer kränker und schwächer wurde», schrieb sie in ihrem Brief.
Verantwortliche bestreiten Vorwürfe
Die Sarco-Premiere scheiterte letztlich an Campbells wachsendem Misstrauen gegenüber den Verantwortlichen. Auch hätten Berichte über mögliche strafrechtliche Konsequenzen eines Sarco-Einsatzes ihre Zweifel verstärkt.
Nach dem Abbruch liess Exit International Campbell mittellos in Zermatt zurück. Aus Angst vor Obdachlosigkeit und Sorge vor schlechter medizinischer Versorgung wollte sie nicht mehr in die USA zurückkehren. «Ich habe alles geopfert, alle Ressourcen aufgebraucht und alle Verbindungen abgebrochen, in dem Glauben, Sarco werde mir ein friedliches Ende bieten», schreibt Campbell.
Die Sarco-Verantwortlichen bestreiten die Vorwürfe. Florian Willet bezweifelt gegenüber der NZZ, dass der Brief überhaupt von der «richtigen» Jessica stamme. Die eigenen Reisekosten würden sie selbst tragen und auch ein Medienstress sei nicht vorhanden gewesen. «Sie schien an Aufmerksamkeit und an Gesprächen mit Journalisten allgemein Freude zu haben», so Willet.
*Name geändert
Suizid-Gedanken? Hier findest du Hilfe:
Diese Stellen sind rund um die Uhr für Menschen in suizidalen Krisen und für ihr Umfeld da.
Beratungstelefon der Dargebotenen Hand: Telefonnummer 143 oder www.143.ch
Beratungstelefon Pro Juventute (für Kinder und Jugendliche): Telefonnummer 147 oder www.147.ch