Diskriminierung Strassen mit Frauennamen muss man in der Schweiz lange suchen

Von Gil Bieler

14.8.2020

Zum Tag der Frau machten Aktivisten der Unia im letzten Jahr aus dem Thomasweg in Zürich den Taminiqueweg.
Zum Tag der Frau machten Aktivisten der Unia im letzten Jahr aus dem Thomasweg in Zürich den Taminiqueweg.
Bild: Keystone/Walter Bieri

Was Strassennamen angeht, kann in der Schweiz von Gleichstellung keine Rede sein. Wie selten Strassen, Wege und Plätze nach Frauen benannt werden, zeigt eine Umfrage in mehreren Schweizer Städten. 

Ist Mumbai den Schweizer Städten in Sachen Gleichstellung etwa voraus? Die indische Wirtschaftsmetropole hat vor einigen Tagen ein Zeichen gesetzt, um Frauen im öffentlichen Raum besser sichtbar zu machen: Auf den ersten Lichtsignalen der 12-Millionen-Stadt leuchten neu Ampelfrauen statt Ampelmännchen in Rot und Grün auf.

In der Schweiz gibt es im öffentlichen Raum eine klare Männerdominanz. Und zwar nicht nur, was die Ampelmännchen angeht: So sorgte es landesweit für Schlagzeilen, als die Stadt Genf im Januar auf 250 Strassenschildern männliche durch weibliche Piktogramme ersetzte.

Und auch punkto Strassennamen kommen Frauen zu kurz, wie eine Umfrage bei mehreren Städten zeigt. Denn, obwohl Frauen gemäss Bundesamt für Statistik 50,4 Prozent der Bevölkerung ausmachen, sind in Zürich, Bern, St. Gallen und Basel immer noch klar mehr Strassen nach Männern benannt. Aber immerhin: Es tut sich was in dieser Frage.

Bern: «Frauen deutlich untervertreten»

Beginnen wir in der Bundesstadt. Die städtische Abteilung für Geoinformation nennt «Bluewin» auf Anfrage 23 Strassen, Wege und Plätze, die nach bekannten Frauen benannt sind: Die Liste reicht von A wie Apgarweg (benannt nach Virginia Apgar, die das Beurteilungssystem für Neugeborene entwickelte) über die Seilerstrasse (nach Anna Seiler, Stifterin des Inselspitals) bis zum Wildermettweg (nach Maria Margaretha von Wildermett, Erzieherin der russischen Zarin Alexandra).

Dem gegenüber stehen rund 150 nach Männern sowie knapp 50 nach weiteren Personennamen (Familiengeschlecht, Geschwister, etc.) benannte Strassen. Also: ein deutliches Ungleichgewicht.

Für den Berner Gemeinderat – die Stadtregierung – steht fest: «Die Frauen sind bei der Strassenbenennung nach Personen deutlich untervertreten.» In Zukunft sollen daher Frauen bei der Benennung von Strassen bevorzugt werden. Der Gemeinderat unterstützt eine entsprechende Forderung, die Grünen-Politikerin Regula Bühlmann mit einer Motion eingebracht hatte.

Umfrage
Sollten mehr Strassen nach Frauen benannt werden?

Einen ersten Schritt hin zu mehr Gleichberechtigung gab es jüngst zu beobachten: Wegen der Weiterentwicklung des Inselareals galt es im April, zehn neue Strassen zu benennen. Und bei jenen, die nach Personen benannt werden, kamen für einmal ausschliesslich Frauen zum Zug: Anna-Seiler-Allee, Mechthild-von-Seedorf-Weg, Anna-von-Krauchthal-Weg und Bela-von-Thun-Weg sind das Ergebnis davon.

Zürich: 50 berühmte Namensgeberinnen

In der Stadt Zürich sind von rund 2'500 Strassen gut 166 nach bekannten Männern benannt, also zum Beispiel: Alfred-Escher-Strasse. Hinzu kommen rund 45 Strassen mit männlichen Vornamen, wie die Josefstrasse. Das erklärt Charlotte Koch Keller von der Strassenbenennungskommision auf Anfrage von «Bluewin».

Demgegenüber stehen rund 50 nach prominenten Frauen benannte Strassen (wie die Anna-Heer-Strasse, benannt nach der Ärztin) und 40 weitere Strassen mit weiblichen Vornamen – etwa wie die Bertastrasse. Bei diesen Zahlen handelt es sich jedoch lediglich um Richtwerte, da es keine Statistik zu dieser Frage gibt.

Die erste Frau, nach der in Zürich eine Strasse benannt wurde, heisst übrigens Eleonore Cramer-Mylius. Die Benennung geschah gemäss NZZ 1882 als Würdigung der Eleonorenstiftung.

Basel: Frauen sollen stärker berücksichtigt werden

113 Strassen, Wege und Plätze in Basel sind nach einer Person benannt – doch nur acht davon nach einer Frau. Das zeigt eine Zusammenstellung des kantonalen Bau- und Verkehrsdepartements für «Bluewin». Es gibt also, was die Gleichberechtigung angeht, noch viel Luft nach oben.

Die letzte Benennung nach einer Frau erfolgte im Frühling mit dem Anne-Frank-Platz. Die erste weibliche Namensgeberin war 1964 Mathilde Paravicini: Nach der Pionierin der Kinderhilfe wurde damals eine Strasse benannt. Weitere Beispiele sind die Julia Gauss-Strasse (nach der Historikerin und Forscherin) sowie der Maja-Sacher-Platz (nach der Kunstmäzenin).



Generell würden Personennamen in Basel «eher zurückhaltend (…) eingesetzt, wobei hier wenn möglich auf eine vermehrte Ehrung von Frauen geachtet werden soll». Das hält der Regierungsrat (Regierung) des Kantons Basel-Stadt in einer Antwort zuhanden des Grossen Rates (Parlament) fest.

St. Gallen: Fortschritte seit den Neunzigerjahren

In der Stadt St. Gallen gibt es knapp über 1’050 Strassen-, Wege- und Platznamen, wie Benjamin Hartmann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Direktion Planung und Bau, auf Anfrage erklärt. Davon sind 211 nach Personen benannt – und auch hier zeigt sich ein krasses Ungleichgewicht: 184 Männer und nur 20 Frauen.

In sieben Fällen geht die Namensgebung sowohl auf Frauen als auch auf Männer zurück. «Dies ist möglich, da die Stadt St. Gallen Benennungen nur nach den Familiennamen vornimmt», erklärt Hartmann. So wurde beispielsweise vor Kurzem der Scherrerplatz getauft. «Namensgebende waren dabei drei Männer – Eduard Scherrer, erster Stadtammann der vereinigten Stadt, Heinrich Scherrer, Regierungsrat sowie National- und Ständerat, Paul Scherrer, Physiker – und eine Frau: Hedwig Scherrer, Grafikerin und Malerin.»

Man sei bemüht, bei Benennungen Frauen vermehrt zu berücksichtigen, und habe seit den Neunzigerjahren den Frauenanteil auch deutlich steigern können.

Frauenorganisationen vergeben Preis

Dass bei den Strassennamen in der Schweiz von einer Gleichbehandlung der Geschlechter keine Rede sein kann, zeigt sich auch im Kanton Basel-Landschaft. Eine Auszählung der «Gruppe 14. Juni» – eines losen Verbundes von Frauenorganisationen – zeigte, dass im ganzen Baselbiet nur eine einzige Strasse nach einer Frau benannt war. Demgegenüber standen 70 Strassen mit Männernamen. 

Um Gemeinden zu motivieren, mehr Strassen nach Frauen zu benennen, riefen die Frauenorganisationen den Preis «Prix Promenade» ins Leben. In den Jahren seither wurden weitere zehn Strassen nach weiblichen Baselbieter Persönlichkeiten benannt. In Gelterkinden wurde etwa mit dem Irma Gysin-Weg die erste Gemeinderätin geehrt. 

Astra schon 2011 für geschlechtsneutrale Verkehrsschilder

Und wie sieht es mit den Verkehrsschildern aus?

Beim Bundesamt für Strassen (Astra) verweist man auf Bemühungen aus dem Jahr 2011: Als damals eine Totalrevision der Signalisationsverordnung anstand, schlug das Astra vor, dass Piktogramme auf Strassenschildern geschlechtsneutral gestaltet werden. Doch dies wurde in der Anhörung verworfen, wie Astra-Mediensprecher Thomas Rohrbach sagt – entsprechend blieben die Piktogramme unverändert.

«Die Darstellung einiger Signale erscheint heute nicht mehr ganz zeitgemäss», sagt Rohrbach. Doch gingen die Vorstellungen darüber, wie Signale auszusehen hätten, stark auseinander. Die aktuelle Praxis beim Bund sieht so aus, dass neu hinzukommende Signale mit geschlechtsneutralen Personenpiktogrammen versehen würden – dazu zählen «Schlittelnde» oder «Skifahrende».

Frau mit Kind: Die Signalisation für Fussgängerzonen kommt ganz ohne Mann aus. 
Frau mit Kind: Die Signalisation für Fussgängerzonen kommt ganz ohne Mann aus. 
Bild: Keystone

Ferner würden auf einigen neueren Signalen auch Frauen dargestellt. So zeigt etwa das Verkehrsschild für eine Fussgängerzone eine Frau mit Kind. Das Schild für einen Fussweg zeigt dagegen einen Mann mit Kind.

Trotz aller Genderüberlegungen, eines bleibt sich gleich: «Die zentrale Anforderung an die Gestaltung von Signalen ist die Klarheit und Einfachheit, sodass sie möglichst für alle Verkehrsteilnehmenden verständlich sind», hält Rohrbach fest. 

Zurück zur Startseite