Wie in der zweiten Welle Hohe Infektionszahlen in der Westschweiz – woran liegt's?

Von Anne Funk

10.3.2021

Die Infektionszahlen in der Westschweiz sind vergleichsweise hoch. (Archivbild)
Die Infektionszahlen in der Westschweiz sind vergleichsweise hoch. (Archivbild)
Bild: Keystone

Während erste Lockerungen in Kraft getreten und weitere in Aussicht gestellt sind, steigen die Inzidenzwerte in der Romandie. Doch warum verbreitet sich das Virus ausgerechnet hier stärker als im Rest der Schweiz?

Von Anne Funk

Der Fahrplan für die Lockerungen der Corona-Massnahmen steht fest: Entwickelt sich die epidemiologische Lage positiv, können ab dem 22. März weitere Schritte in Richtung Normalität unternommen werden. Das bedeutet unter anderem, dass Restaurants wieder öffnen dürfen. Doch das ist an bestimmte Bedingungen geknüpft. Nur, wenn der R-Wert unter 1 liegt und die Inzidenz seit dem 1. März gesunken ist, sind Lockerungen tatsächlich auch möglich. 

Bei aller Hoffnung: Derzeit zeichnet sich ein durchwachsenes, nicht auf Lockerungen hinweisendes Bild. Bereits die zweite Woche in Folge haben die Infektionen zugenommen. Zwar gibt es Kantone, die auf einem guten Weg sind – wie zum Beispiel Bern mit einer 14-Tage-Inzidenz von 116,9 pro 100'000 Einwohnern. Insbesondere in der Romandie ist die Lage aber eine andere, wie die folgende Grafik des Bundesamts für Gesundheit (BAG) zeigt:

Laborbestätigte Fälle der vergangenen 14-Tage in der Schweiz. (Stand 9.3.2021)
Laborbestätigte Fälle der vergangenen 14-Tage in der Schweiz. (Stand 9.3.2021)
Bild: BAG

Im Kanton Waadt ist die Inzidenz mit 267 mehr als doppelt so hoch wie in Bern. Und auch Genf verzeichnet 265,8 Infektionen pro 100'000 Einwohner. Die beiden Kantone bilden dabei keine Ausnahme, Neuenburg (231,7), Jura (210,6) und Freiburg (211) verzeichnen ebenfalls hohe Werte. Zum Vergleich: Positiver Spitzenreiter ist derzeit Schaffhausen mit einer Inzidenz von 100,8. Der Gesamtwert der Schweiz und Liechtenstein liegt  aktuell bei 168,36 pro 100'000 Einwohner.

Ist die britische Mutation der Grund?

Dass es eine besondere Situation in der Westschweiz gibt, bestätigt auch die Gesundheitsdirektorenkonferenz (GDK) auf Nachfrage von «blue News». «Es ist korrekt, dass die 14-Tage-Inzidenz in den Westschweizer Kantonen über dem Schweizer Durchschnitt von 168 Fällen pro 100'000 Einwohner liegt», so die Aussage.

Doch warum ausgerechnet hier? Laut GDK sei es «kaum möglich, die Gründe dafür zu eruieren – und wenn, dann erst mit einem gewissen zeitlichen Abstand». Das bestätigt auch das BAG: «Kantonale Unterschiede haben immer existiert und waren in den wenigsten Fällen eindeutig erklärbar.»

Blaise Genton, Chefarzt für Allgemeinmedizin der Universität Lausanne und Verantwortlicher für die Waadtländer Covid-Impfzentren, erklärt die hohen Zahlen gegenüber dem «Tages-Anzeiger» mit der kursierenden Mutation des Virus. «Wir gehen davon aus, dass der Anstieg der Infektionen auf die Zirkulation der britischen Virusvariante zurückzuführen ist.» Bei 30 bis 40 Prozent der Proben würden bereits Virusmutationen festgestellt.

Allerdings, so gibt der stellvertretende Walliser Kantonsarzt und Infektiologe Nicolas Troillet zu bedenken, werde in der Westschweiz wesentlich aktiver nach Mutationen gesucht, daher finde man auch vergleichsweise viele Fälle.



Bereits in der zweiten Welle war die Romandie Hotspot

Vielleicht lohnt des Weiteren ein Blick auf die Nachbarländer: Frankreich hat derzeit einen 7-Tage-Inzidenzwert von 219,2 pro 100'000 Einwohner. Im deutschen Bundesland Baden-Württemberg liegt dieser bei nur 60,7. Österreich verzeichnet dagegen einen wesentlich höheren Wert von 184. In Italien liegt die landesweite 7-Tage-Inzidenz bei 240,9.

Bedeuten also hohe Werte im Nachbarland auch hohe Werte im angrenzenden Kanton? Zumindest zum Teil: Während man bei Frankreich und Italien tatsächlich eine solche Vermutung anstellen könnte, sind die Zahlen im Osten relativ niedrig – obwohl in Österreich noch vergleichsweise viele Infektionen verzeichnet werden. Ausserdem gilt es zu bedenken, dass Reisetätigkeit und Grenzverkehr noch immer eingeschränkt sind, die Hauptursache ist somit sicherlich nicht in den Nachbarländern zu finden. 

Ähnlich schätzt auch das BAG die Situation ein, wie es auf Anfrage von «blue News» verdeutlicht. Es gebe auch Grenzgänger, die im Tessin oder in der Deutschschweiz arbeiten, heisst es. Sie seien «nicht mehr Überträger des Virus als Schweizer Einwohner, solange das epidemische Geschehen beidseits der Landesgrenze vergleichbar bleibt».



Dass die Romandie zum Corona-Hotspot wird, ist nicht neu. Bereits in der zweiten Welle zeigte sich ein ähnliches Bild. Schon damals hatte die Westschweiz  im Vergleich zur Deutschschweiz hohe Infektionszahlen. 

Wie aus einer Analyse der Swiss National COVID-19 Science Task Force hervorgeht, lag der Grund damals nicht darin, dass sich das Virus im Herbst dort schneller als anderswo ausbreitete, sondern an einer höheren Inzidenz im Spätsommer.

Müssen Massnahmen kantonal angepasst werden?

Die Experten sehen dafür zwei mögliche Gründe. Erstens habe die Westschweiz im Sommer im Vergleich zu anderen Regionen einen etwas höheren Anstieg der Fallzahlen gehabt. Zweitens sei die Inzidenz bereits im Juni sehr hoch gewesen, obwohl sie auf nationaler Ebene eher niedrig war.

Nach dem Höhepunkt der zweiten Welle sei die Zahl der bestätigten Fälle schneller als im Rest des Landes gesunken. Dabei dürfte auch von entscheidender Bedeutung gewesen sein, dass die Massnahmen zur Eindämmung des Virus in der Westschweiz strenger waren als in den restlichen Kantonen. 



Angesichts der aktuell hohen lokalen Zahlen und grossen Unterschiede zwischen den Kantonen stellt sich nun erneut die Frage, ob Lockerungs-Entscheidungen auf nationaler Ebene noch angebracht sind oder man ähnlich wie im Herbst strenger handeln muss.

Die GDK hat dazu eine eindeutige Meinung. «Bezüglich Massnahmen und deren Lockerungen halten wir bei den gegenwärtigen regionalen Unterschieden eine national abgestimmte Vorgehensweise ohne kantonale Differenzierungen bis auf Weiteres für sinnvoll», erklärt sie gegenüber «blue News».