Deutsche blicken über die Grenze Die Schweiz, das «Corona-Paradies»?

Von Anne Funk

13.4.2021

Tagestouristen geniessen Anfang April das Frühlingswetter an der Seepromenade von Luzern.
Tagestouristen geniessen Anfang April das Frühlingswetter an der Seepromenade von Luzern.
Bild: Keystone/Urs Flueeler

Deutschland und die Schweiz: ähnliche Infektionslage, aber unterschiedliche Strategien mit unterschiedlichem Erfolg. Blickt man da aus dem Nachbarland etwa neidisch zu den Eidgenossen?

Von Anne Funk

13.4.2021

Glaubt man einem Reporter der «Bild», ist man im Nachbarland Deutschland ziemlich neidisch auf die Corona-Politik hierzulande. Gar als «Corona-Paradies» wird die Schweiz in einem Bericht betitelt.

Besagter Reporter hat sich am vergangenen Wochenende in Zug umgesehen und festgestellt, dass hier offenbar alles viel besser läuft als in Deutschland. Von einer «Stadt im Glück» ist da unter anderem die Rede, geschildert werden Szenen an der Seepromenade: Bei frühlingshaften Temperaturen habe der Reporter «nur glückliche Menschen» gesehen, Bars und Lokale, die Speisen und Getränke zum Mitnehmen anbieten, haben geöffnet, es gibt mobile Getränkewagen, welche Softdrinks, Wein und Chips verkaufen.



Pedalo mieten, mit einem Ausflugsdampfer über den See schippern, all das sei möglich in der Schweiz. In der Innenstadt haben Geschäfte geöffnet, lediglich eine Maske sei notwendig, um diese zu betreten. Ein negativer Test werde nicht benötigt.

Die Polizei sei dagegen kaum zu sehen gewesen, und wenn, dann verteilten sie nur freundlich Zettel mit dem Hinweis auf die Maskenpflicht. «Hetzjagden auf die Passanten gibt es nicht», so der Kommentar des Reporters.

Düstere Stimmung beim Nachbarn?

«Hetzjagden», «glückliche Menschen mit Mut zum Leben», «Stadt des Glücks» – liest man diese Aussagen, fragt man sich, wie schlimm der «Bild»-Reporter die Lage im eigenen Land beurteilt. Besonders aus deutscher Perspektive, wie die Autorin dieses Artikels sie hat, wundert man sich – gibt es aufgrund der Corona-Politik keine glücklichen Menschen mehr in Deutschland. Fehlt gar der Mut zum Leben? Und ist man neidisch auf den Nachbarn im Süden?

Zugegeben, die Corona-Politik der Bundesrepublik lässt derzeit mehr und mehr Bürger verzweifeln – und wenn nicht verzweifeln, dann zumindest den Kopf schütteln. Eine Verpflichtung zum Homeoffice? Gibt es nicht, ganz im Gegensatz zur Schweiz. Maskenpflicht am Arbeitsplatz? Nur teilweise,  wer am Platz sitzt und genug Abstand zu den Kollegen hat, darf die Maske abnehmen.

Deutsche Schulen sind dagegen immer wieder geschlossen, private Zusammenkünfte sind nur mit einem weiteren Haushalt möglich, auch, wenn diese draussen stattfinden. Da blickt man aus Deutschland sicherlich mit etwas Neid über die Grenze.



In der Schweiz ist es den Bürgern erlaubt, sich mit bis zu 15 Personen zu treffen, in Innenräumen können private Treffen und Feste mit bis zu 10 Personen stattfinden. In seinem Bericht schreibt besagter «Bild»-Reporter zusammenfassend, die Massnahmen in der Schweiz «passen auf einen Bierdeckel».

Auch wenn das vielleicht ein wenig übertrieben ist, es trifft den Kern der Sache doch ganz gut: Die in Deutschland getroffenen und geltenden Massnahmen sind unübersichtlich, teils nicht nachvollziehbar und vor allem: nicht landesweit einheitlich.

Massnahmen in Deutschland verwirren

Zwar gibt es einen Massnahmenkatalog der Bundesregierung, inklusive einer Notbremse bei hohen Inzidenzwerten, allerdings liegt die letztendliche Entscheidung bei jedem Bundesland selbst. So dürfen im nördlichsten Bundesland Schleswig-Holstein Gastronomen seit Montag ihren Aussenbereich wieder öffnen – vorausgesetzt, die Inzidenz liegt stabil bei 100.

Das Saarland geht gleich mehrere Schritte weiter und öffnet in einem Modellprojekt nahezu komplett. Wer einen negativen Test vorweisen kann, darf einkaufen, ins Kino oder in den Aussenbereich eines Restaurants. Ähnlich handhabt es das baden-württembergische Tübingen, das als erste Stadt einen solchen Modellversuch startete.

Derweil halten sich andere Städte wiederum an die empfohlene Notbremse ab einem 7-Tage-Inzidenzwert von 100. So werden ab Mittwoch in der bayerischen Landeshauptstadt München aufgrund der hohen Inzidenz wieder Zoos und Museen schliessen, Geschäfte dürfen nur noch für Click & Collect öffnen, nachts gilt von 22 bis 5 Uhr eine Ausgangssperre.



Schweizer Corona-Politik zeigt Wirkung

Kurios dabei: Bereits am Ostersonntag trat diese verschärfte Regelung in Kraft, wurde aufgrund niedrigerer Infektionszahlen nach drei Tagen aber wieder aufgehoben. Ziemlich genau eine Woche später ist es wieder Zeit für die Notbremse. Also ja – als Deutsche blickt man schon das ein oder andere Mal neidisch über die Grenze. Doch ebenso ist man sich bewusst, dass Einschränkungen notwendig sind, um die Corona-Lage in den Griff zu bekommen.

Das hat in der Schweiz offenbar zuletzt besser funktioniert: Denn obwohl Ende 2020 die Todesrate dort noch deutlich über der in Deutschland lag, ist nun das Gegenteil der Fall. Trotz milderer Massnahmen sterben in der Schweiz weniger Menschen an den Folgen einer Corona-Erkrankung.

Was es allerdings auch in Deutschland nicht gibt, sind «Hetzjagden auf Passanten». Natürlich weisen Ordnungshüter Maskenverweigerer auf das Tragen des Schutzes hin. Und natürlich muss die Polizei regelmässig illegale Partys und Zusammenkünfte mit mehr als 100 Personen auflösen. Doch beides ist diesseits wie jenseits der Grenze der Fall. Allerdings ohne Hetze.