Konzerne in der Pflicht Wieso die Räte seit Jahren wegen einer Initiative streiten

Julia Käser / SDA

2.6.2020

Philippe Bauer, FDP, und Pirmin Schwander, SVP, an einer Medienkonferenz zum indirekten Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative. 
Philippe Bauer, FDP, und Pirmin Schwander, SVP, an einer Medienkonferenz zum indirekten Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative. 
Bild: Keystone

Dauerbrenner Konzernverantwortungsinitiative: Erneut wurde sich das Parlament beim indirekten Gegenvorschlag nicht einig. Weshalb die Zeit drängt und welche widersprüchlichen Angaben kursieren. 

Seit rund drei Jahren beschäftigt sich das Parlament schon mit dem Volksbegehren «Für verantwortungsvolle Unternehmen – zum Schutz von Mensch und Umwelt», kurz: Konzernverantwortungsinitiative. Diese fordert, dass Unternehmen mit Sitz in der Schweiz auch für Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden von Tochtergesellschaften im Ausland haften.

Sowohl Stände- als auch Nationalrat lehnen die Initiative ab. Dennoch ist sie zum Dauerbrenner im Parlament geworden. Mittlerweile drängt die Zeit, eine Einigung wurde aber auch heute Dienstag nicht erzielt. 

Worüber wird gestritten, wenn beide Räte dagegen sind?

Gestritten wird über einen indirekten Gegenvorschlag zur Initiative. Während zuerst darüber gezankt wurde, ob es überhaupt eines solchen bedürfe, stehen mittlerweile zwei unterschiedliche Entwürfe im Raum. 

Der Vorschlag des Nationalrats sieht wie die Initiative vor, dass Firmen belangt werden können, wenn Tochtergesellschaften im Ausland Bestimmungen zum Schutz von Menschenrechten und Umwelt verletzen. Jedoch schränkt der Nationalrat die Haftungsregelungen ein. 

So wären die Konzerne nur für direkt Kontrollierte, nicht aber für Lieferanten verantwortlich. Gelten soll die Regelung zudem ausschliesslich für Unternehmen ab einer bestimmten Grösse oder mit besonderen Risiken. 



Anders der Ständerat: In seinem indirekten Gegenvorschlag, der ursprünglich vom Bundesrat ins Spiel gebracht worden war, verzichtet er ganz auf entsprechende Haftungsregelungen. Stattdessen will man auf Sorgfalts- und Berichterstattungspflichten setzen. 

Die Sorgfaltsprüfungspflicht beschränkt sich diesem Vorschlag nach auf bestimmte Konfliktmineralien und Kinderarbeit. Zur Berichterstattung wären nur Gesellschaften des öffentlichen Interesses verpflichtet. Wer trotz Verpflichtung keinen Bericht vorlegt oder unwahre Angaben macht, riskiert eine Busse von bis zu 100'000 Franken. 

Wäre die Schweiz der erste Staat mit Haftungsregelungen?

Dazu kursieren unterschiedliche Rechtsgutachten. Gemäss einem neuen Rechtsvergleich der Initianten würde die Schweiz mit der Konzernverantwortungsinitiative im europäischen Mittelfeld liegen. Das Gutachten zeige, dass die Schweiz mit der Vorlage keine striktere Rechtsordnung hätte, als sie etwa Frankreich, die Niederlande oder Grossbritannien bereits haben.

Das Gutachten der Gegnerinnen und Gegner kommt zu einem anderen Schluss: Die Initiative sei ein Unikum und falle aus dem Rahmen, heisst es seitens des Wirtschaftsdachverbands Economiesuisse. Mit der Konzernverantwortungsinitiative würde die Schweiz eine Sonderregulierung schaffen, die weltweit beispiellos wäre. Dasselbe gelte für den Gegenvorschlag des Nationalrats.

Wie viele Schweizer Arbeitsplätze wären betroffen?

Um zu überprüfen, wie viele Unternehmen vom Nationalratsvorschlag betroffen wären, hat das Wirtschaftskomitee succèSuisse – das diesen ablehnt – eine Studie in Auftrag gegeben. Darin kommt die Forschungsstelle Sotomo zum Schluss, dass es sich um bis zu 80'000 Firmen und damit rund 13 Prozent aller Unternehmen sowie 26 Prozent aller Arbeitsplätze in der Schweiz handeln könnte.

Dabei gibt es regionale Unterschiede: In den Kantonen Jura, Glarus, Neuenburg und Zug fallen 35 bis 40 Prozent aller Vollzeitstellen auf Unternehmen, die einer Risikotätigkeit nachgehen. Am unteren Ende der Skala befinden sich die Kantone Waadt, Bern, Wallis und Graubünden. Dort entfallen nur 15 bis 20 Prozent der Vollzeitstellen auf Firmen mit einer Risikotätigkeit. 

Die Auswertung der Daten lieferten eine Schätzung der potentiell von einer Pflicht zur Durchführung von Sorgfaltsprüfungen betroffenen Unternehmen, heisst es in der Studie. Nicht alle müssten am Schluss tatsächlich Sorgfaltsprüfungen durchführen. 

Was will eigentlich der Bundesrat?

Man befinde sich auf der Zielgeraden, sagte Bundesrätin und Justizministerin Karin Keller-Sutter am Dienstag im Parlament. Der Bundesrat lehne sowohl die Volksinitiative wie auch den Vorschlag des Nationalrats ab. «Die Ansicht des Bundesrats hat sich seit 2017 aber entwickelt», führte Keller-Sutter aus. So sei man mittlerweile davon überzeugt, dass ein indirekter Gegenvorschlag doch notwendig sei und unterstütze jenen des Ständerats.

Jedes Unternehmen müsse selbstverständlich für den Schaden haften, den es verursache. Doch laut Keller-Sutter ist das bereits heute der Fall. Der Vorschlag des Nationalrats schaffe wie die Initiative eine neue Haftungsregelung, deren Risiken kaum abschätzbar seien. «Aus Sicht des Bundesrats ist auf ein solches Wagnis zu verzichten», so Keller-Sutter. 

Wieso muss langsam, aber sicher eine Einigung her?

Eigentlich wäre die parlamentarische Behandlungsfrist am 10. April ausgelaufen. Doch aufgrund der Corona-Pandemie konnten die entscheidende Schlussabstimmung im März nicht durchgeführt werden.



Die Zeit drängt deshalb, weil die Initiative planmässig diesen Herbst vors Volk kommen sollte. Kann auch eine für nächste Woche geplante Einigungskonferenz nicht helfen, wird die Vorlage ohne indirekten Gegenvorschlag zur Abstimmung kommen. Einigt sich das Parlament doch noch auf den Nationalratsvorschlag in seiner jetzigen Form, wird die Initiative zurückgezogen. 

78 Prozent Befürwortung im Volk – oder doch 46 Prozent?

Nicht nur inhaltlich herrscht Uneinigkeit über die Konzernverantwortungsinitiative, auch zu ihren Chancen an der Urne kursieren widersprüchliche Angaben. Sowohl das Initiativkomitee als auch die Gegenseite haben das Forschungsinstitut Link beauftragt, die Zustimmung im Volk zu messen.

Laut den Initianten würden Stand heute 78 Prozent der Stimmberechtigten Ja zur Konzernverantwortungsinitiative stimmen. Ganz anders das Fazit der Umfrage der Gegenseite: Demnach beläuft sich die Zustimmung im Volk auf gerade einmal 46 Prozent. Welche Angabe in die richtige Richtung tendiert, wird sich zeigen – sofern es (endlich) zur Abstimmung kommen wird.

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