Ethiker über Waffenexporte «Es gibt gute Gründe, sich an Waffenlieferungen zu beteiligen»

Von Andreas Fischer

8.3.2023

Ständerat lehnt Motion für die Wiederausfuhr von Kriegsmaterial ab

Ständerat lehnt Motion für die Wiederausfuhr von Kriegsmaterial ab

Der Ständerat hat am Montag ausführlich über eine Weitergabe von exportiertem Kriegsmaterial diskutiert. Eine Motion für eine Lockerung der Nichtwiederausfuhr-Vorgaben lehnte er aber ab.

06.03.2023

Der Ukraine hilft die restriktive Haltung der Schweiz bei Waffen-Exporten nicht. Zudem gibt es gute Gründe, sich an Waffenlieferungen zu beteiligen, wie ein Zürcher Ethik-Professor erklärt.

Von Andreas Fischer

8.3.2023

Die Sache mit dem Kriegsmaterial ist gar nicht so einfach. Auf der einen Seite vermeldet das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) ein Allzeithoch bei den Rüstungsexporten: 2022 haben Schweizer Unternehmen Kriegsmaterial für 955 Millionen Franken ins Ausland verkauft. Auf der anderen Seite wurden Panzerfahrzeuge, Munition und Ersatzteile zwar in 60 Länder exportiert, darunter Saudi-Arabien und Katar. Aber nicht in das eine Land, um das sich derzeit die meisten Diskussionen drehen, wenn es um Schweizer Waffen geht.

Soll die Schweiz – allenfalls über Drittländer – Waffen an die Ukraine liefern oder nicht?

Darüber wird in Politik und Gesellschaft derzeit kontrovers debattiert: Erst am Montagabend scheiterte im Ständerat eine Motion für eine Lockerung der Nichtwiederausfuhr-Vorgaben. Im Parlament sind aber noch fünf weitere Vorstösse zu diesem Thema hängig.

Kontroverse Diskussionen

Gegner jedenfalls lehnen Waffenlieferungen mit Verweis auf die Neutralität ab oder verweisen auf das Kriegsmaterialgesetz, das eine direkte Lieferung an Kriegsländer verbietet. Befürworter betonen, dass die Schweiz trotz ihrer Neutralität Position beziehen müsse. Zudem funktioniere die bewaffnete Neutralität nur mit einer gesunden Rüstungsindustrie.

In Bern, das bestätigte Simon Plüss vom Seco vor den Bundeshausmedien, gibt es durchaus Befürchtungen, dass gute Kunden wie Deutschland oder Dänemark bald anderswo einkaufen, weil die Schweiz sehr restriktiv ist, wenn es um die Weitergabe von Rüstungsgütern geht: «Wenn Europa als Markt wegbricht, dann hat die Schweiz ein Problem.»

Gute Gründe, sich an Waffenlieferungen zu beteiligen

Egal ob Neutralität, Kriegsmaterialgesetz oder wirtschaftliche Überlegungen, im Kern geht es bei den Diskussionen immer um die Frage: Kann es sich die Schweiz noch leisten, sich aus Konflikten wie dem Krieg gegen die Ukraine herauszuhalten? Ist es ethisch vertretbar, Rüstungsgeschäfte mit einem Land wie Saudi-Arabien zu machen, das eine aktive Rolle im Krieg im Jemen spielt, aber der Ukraine die Unterstützung zu verweigern?

«Nein», sagt Peter Schaber, Professor für Angewandte Ethik an der Universität Zürich, im Gespräch mit blue News. «Es gibt gute ethische Gründe, sich an Waffenlieferungen für die Ukraine zu beteiligen.» Der Punkt sei, dass man damit einem Land helfe, sich in einem Selbstverteidigungskrieg gegen eine Aggression zu wehren. «Es gibt keine Zweifel, dass man ein Recht hat, sich selbst zu verteidigen. Und dass man jemandem dabei helfen darf, scheint mir auch klar zu sein.»

Gegner von Waffenlieferungen berufen sich auf das Neutralitätsprinzip und sagen, wenn geliefert wird, dann müssten beide Seiten bedacht werden. Diese Auffassung teilt Schaber «aus ethischer Sicht schlicht und einfach nicht: Dass man sich neutral verhalten soll in Konflikten, in denen eine Seite klarerweise einen Aggressionskrieg führt.»

Es sei nicht einsichtig, sagt Schaber, inwiefern es gerechtfertigt sein soll, dem Selbstverteidiger nicht helfen zu dürfen. Aus diesem Grund sei es auch vertretbar, dem Gesuch Deutschlands zu entsprechen, Leopard-2-Panzer von der Schweizer Armee zurückkaufen zu dürfen.

Das Neutralitätsgebot muss nicht aufgegeben werden

Zum Beispiel die Grünen würden sich gegen das oben beschriebene Szenario nicht wehren, wie Nationalrätin Marionna Schlatter blue News erklärt hat.

Dies, weil es die Partei als nicht gleichbedeutend mit einem Kriegsmaterial-Export sieht: Gegen den wehren sich die Grünen weiterhin, was die Ständeräte der Partei in der geschlossenen Ablehnung der Motion für eine Lockerung der Nichtwiederausfuhr-Vorgaben am Montagabend zeigten.

Deutschland würde von der Schweiz gern Kampfpanzer vom Typ Leopard II, hier in einer Ruag-Wartungshalle in Thun, zurückkaufen. Doch Bern ziert sich bislang.
Deutschland würde von der Schweiz gern Kampfpanzer vom Typ Leopard II, hier in einer Ruag-Wartungshalle in Thun, zurückkaufen. Doch Bern ziert sich bislang.
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Ist diese Argumentation scheinheilig? «Wahrscheinlich ist das eine Interpretationssache: Weil in dem Fall nicht direkt in ein Kriegsgebiet geliefert würde. Die Grünen tun sich einfach schwer: Sie möchten keine Ausnahme zulassen», so Schaber. Dabei seien im speziellen Fall des Kriegs gegen die Ukraine Ausnahmen auf jeden Fall zulässig: «Wie gesagt: Ich sehe vom ethischen Standpunkt her kein Problem darin, Deutschland diese Waffen und Munition zu liefern.»

Bei der instabiler werdenden Weltlage könnte es in Zukunft allerdings häufiger zu Konflikten und Kriegen kommen. Sollte die Schweiz also grundsätzlich das Neutralitätsprinzip überdenken? «Man muss das Neutralitätsgebot nicht vollständig aufgeben», gibt der Ethiker zu bedenken. 

Schaber sieht Mittlerdienste als einzig zu würdigenden Gedanken in Bezug auf Neutralität. «Diese Überlegung scheint im Ukrainekrieg aber irrelevant zu sein. Russland hat die Vermittlerangebote der Schweiz abgelehnt.» In anderen Konflikten müsse man die Lage allerdings immer wieder neu bewerten.

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