Taskforce hört aufDie akute Phase der Pandemie ist vorbei, aber viele Fragen bleiben
tafi
18.2.2022
Maske adé: «Ich traue der Sache noch nicht so recht»
Seit heute müssen bis auf wenige Ausnahmen keine Masken mehr getragen werden. Das ist ungewohnt. Wie gehen die Passant*innen mit der neuen Freiheit um? Wir haben uns in Zürich umgehört.
17.02.2022
Aus dem Umgang mit der Corona-Pandemie in den vergangenen zwei Jahre sollte gelernt werden, fordern Wissenschaftler*innen. Mit der Öffnung ist das Virus nicht einfach verschwunden.
tafi
18.02.2022, 06:45
18.02.2022, 08:29
tafi
Am ersten Tag nach der Abschaffung der Maskenpflicht tastet sich die Schweiz vorsichtig an die wiedergewonnenen Freiheiten heran. Der Bundesrat hat die akute Phase der Corona-Pandemie quasi für beendet erklärt. Doch lässt sich einfach so ein Schlussstrich unter die anstrengende Zeit ziehen?
Die wichtigste Erkenntnis der vergangenen zwei Jahre sei: «Wir sind nicht gut gerüstet für Pandemien», findet Virologin Isabella Eckerle von der Universität Genf deutliche Worte im SRF-«Tagesgespräch». «Corona hat uns ziemlich kalt erwischt», bilanziert die Wissenschaftlerin und findet es «ziemlich traurig, weil die Wissenschaft immer wieder gewarnt hat». Dies sei aber nicht ernst genommen worden.
Ich bin vorsichtig positiv bezüglich der #Lockerungen in den nächsten Wochen & denke, dass der Peak der #Omicron-Welle überschritten ist - auch wenn ich glaube, dass es besser wäre, mit massiven Lockerungen bis zum Frühling zu warten. Unbedingt jedoch: #Masken beibehalten!
Auch der wissenschaftlichen Covid-19-Taskforce des Bundes wurde nach Prognosen zum Verlauf der Pandemie wiederholt «Schwarzmalerei» vorgeworfen. Im Gegenzug kam dann aus der Taskforce Kritik an der Politik: Diese müsse «endlich lernen, der Wissenschaft auf Augenhöhe zu begegnen», schrieb etwa Epidemiologe Christian Althaus, als er die Taskforce vor rund einem Jahr verliess.
Nun wird das Beratungsmandat der Taskforce zum 31. März aufgelöst, zwei Monate früher als vorgesehen. Mit der Ende März geplanten Aufhebung der «besonderen Lage» gemäss Epidemiengesetz habe die Taskforce ihren Einsatz für nicht mehr notwendig gehalten, erklärte Gesundheitsminister Alain Berset am Mittwoch und bedankte sich bei den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern für den Austausch.
Maskenpflicht hätte Rücksicht bedeutet
Dass die Pandemie mit der Aufhebung von Maskenpflicht und «besonderer Lage» nicht einfach so zu Ende ist, spüren im Moment vor allem die vulnerablen Bevölkerungsschichten: Ältere, Immunsupprimierte und Kinder unter fünf Jahren. Auf diese Gruppen müsse man den Blick nun richten, sagte Virologin Isabella Eckerle.
Hätte man auf diese Menschen Rücksicht nehmen wollen, dann hätten man die Maskenpflicht beibehalten sollen. «Low Cost, high Gain» wäre das gewesen – also eine etwas lästige Massnahme, die niemanden gross beeinträchtigt hätte, mit der aber die Risikogruppen «sehr, sehr gut» geschützt worden wären. Masken bringen laut Eckerle vor allem dann etwas, wenn es alle machen und sich nicht nur Einzelne schützen. Dafür würden auch schon die einfachen OP-Masken ausreichen.
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Das Virus verschwindet nicht einfach
Auch andere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hatten für eine Beibehaltung der Maskenpflicht plädiert. Der Bundesrat hat sie – mit Ausnahme des öffentlichen Verkehrs und in Gesundheitseinrichtungen – trotzdem abgeschafft.
Lockerungen seien angesichts der aktuellen Lage durchaus angebracht, sagt Eckerle. Die Virologin stört allerdings, dass der Entscheid mit einem Paukenschlag verkündet wurde und «das Gefühl vermittelt, die Pandemie wäre vorbei und wir könnten das Virus vergessen».
Dem sei mitnichten so. Das Virus verschwindet nicht einfach, nur weil es keine Corona-Massnahmen mehr gibt. Für die Wissenschaft ist die spannende Frage: Kommt nach Omikron noch eine neue Variante, die die Immunität wieder aushebelt? «Wir wissen nicht, was kommt, aber es ist sehr wahrscheinlich, dass noch etwas kommt», sagt Eckerle. Deswegen sei das Signal, dass alle jetzt wieder ihre Freiheiten geniessen können, falsch.
Impfpflicht wäre billiger gewesen
Eckerle ist nicht die Einzige, die nach der Corona-Öffnung vorsichtig ist. Der Infektiologe Christoph Fux vom Kantonsspital Aarau warnte in einem Interview mit der «Aargauer Zeitung»: «Wenn eine aggressive neue Variante kommt, welche die Impfimmunität umgeht, beginnt alles wieder von vorne.»
Für die Zukunft sei es daher wichtig, aus den vergangenen zwei Jahren zu lernen und getroffenen Entscheidungen zu hinterfragen. «Heute wissen wir: Irgendwann ist in dieser Pandemie jeder geimpft oder infiziert», sagt Fux. Wäre dies von Anfang an als Fakt angenommen worden, «hätte das vielleicht bei einigen Skeptikern die Angst vor der Impfung genommen».
Stattdessen habe die Schweiz «Abermillionen ausgegeben für Tests, welche bereits am Folgetag wertlos waren». Nun müsse man sich die Frage stellen: «War es das wert für die persönliche Freiheit, sich nicht impfen zu lassen?» Fux ist überzeugt: «Mit einer Impfpflicht wären wir viel schneller und billiger durch die Pandemie gekommen.»
Auch Eckerle plädiert dafür, sich langfristig besser vorzubereiten. Politik und Gesellschaft sollten schon jetzt darüber nachdenken, wie es im Herbst weitergeht. Die Covid-Taskforce hat in ihrem aktuellen Lagebericht zwei Szenarien zum Umgang mit Sars-CoV-2 in den kommenden zwölf Monaten entwickelt.
Im günstigen Fall bleibt die Immunität in der Bevölkerung gegen schwere Verläufe durch Impfungen und Infektionen hoch. Im ungünstigen Fall nimmt die Immunität gegen schwere Verläufe in der Bevölkerung schnell und stark ab.
Es kann jederzeit wieder zu einer Pandemie kommen
Um Letzteres zu verhindern, sei unter anderem eine bessere Überwachung des Infektionsgeschehens nötig: auch bei sinkenden Fallzahlen und auch in den warmen Jahreszeiten. In Grossbritannien und Dänemark etwa wisse man, «wer sich infiziert und welches Gesundheitsrisiko die Personen haben, man weiss mehr über den sozioökonomischen Status und das Alter», erklärte Heiner Bucher, Leiter des Instituts für Klinische Epidemiologie und Biostatistik Basel, im Gespräch mit blue News.
Mit diesen Daten liessen sich die in Kürze zu erwartenden Hospitalisationen und Komplikationen viel besser modellieren. «Die Schweiz hingegen ist in Sachen Statistik, das wissen wir schon seit Langem, sehr schlecht aufgestellt. Das ist bedauerlich, aber politisch so gewollt, und hängt mit der föderalistischen Organisation und Zuständigkeit im Gesundheitswesen zusammen.»
Auch Isabella Eckerle würde es begrüssen, wenn in den nächsten zwölf bis 18 Monaten Daten zur epidemiologischen Lage gesammelt werden. Eine Querschnittsüberwachung der Bevölkerung und Genomsequenzierungen seien gar nicht so aufwendig: «Dafür braucht es nur eine clevere Infrastruktur.»
Ihre grosse Hoffnung ist, «dass man jetzt nicht sagt: Puh, es ist alles vorbei und wir wollen vom Thema Corona nichts mehr hören, sondern dass wir uns bewusst machen, dass es jederzeit wieder zu einer Pandemie kommen kann». Aus dem Umgang mit dem Coronavirus in den vergangenen zwei Jahren sollte gelernt werden, wobei Eckerle fairerweise sagt, «dass niemandem bewusst war, was eine globale Pandemie wirklich bedeutet und wie sehr sie alle Bereiche unseres Lebens durchdringt».
Mit Material der Nachrichtenagentur SDA.
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