Verblasster «Sehnsuchtsort» Nur noch 6,5 Prozent der Jungen befürworten einen EU-Beitritt

uri

23.9.2022

Die Flaggen der EU und der Schweiz am Zürichsee im Jahr 2015: Die junge Generation hält immer weniger von einem Beitritt. 
Die Flaggen der EU und der Schweiz am Zürichsee im Jahr 2015: Die junge Generation hält immer weniger von einem Beitritt. 
Archivbild: KEYSTONE

Vor 30 Jahren hat das Stimmvolk gegen einen Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum gestimmt. Seither hat das Image der EU vor allem bei den Jüngeren gelitten. Dafür gibt es gute Gründe, wie Experten darlegen.

uri

23.9.2022

Früher war die jüngere Generation in der Schweiz am EU-freundlichsten. Bei der letzten Nachwahlbefragung haben indes nur noch 6,5 Prozent der jungen Erwachsenen einen Beitritt der Schweiz zur EU befürwortet. Bei keiner anderen Altersgruppe war die Unterstützung so tief.

Das berichtete Radio SRF mit Verweis auf eine von Smartvote durchgeführten Analyse am Freitag. Demnach waren in den 1990er Jahren bei der Altersgruppe der jungen Erwachsenen zwischen 18 und 34 Jahren noch 59,2 Prozent für einen EU-Beitritt der Schweiz. 31,8 Prozent lehnten ihn hingegen ab. 

Bis zum Jahr 2019 hat sich dieses Verhältnis grundlegend gewandelt: Nur noch 6,5 Prozent der jungen Erwachsenen sprechen sich dafür aus. 77,9 Prozent wollen dem Staatenbund hingegen fernbleiben. Damit seien die 18- bis 34-Jährigen sogar die EU-skeptischste Altersgruppe, berichtet SRF.

Begeisterung schrumpft seit den 2000er Jahren 

Als Grund für diese Entwicklung sieht Politgeograf Michael Hermann, dass nach der Enge des Kalten Krieges Europa in den 1990er Jahren für viele Jüngere noch ein «Sehnsuchtsort» gewesen sei. In den 2000er Jahren habe die Unterstützung für den EU-Beitritt dann aber abgenommen.

Das nicht zuletzt wegen der erfolgreichen bilateralen Abkommen, wachsender Skepsis gegenüber der Personenfreizügigkeit und wegen des Umgangs der EU mit den Südländern in der Euro-Krise.

Herrmann erklärt die ausgeprägte EU-Skepsis der Jüngeren heute zudem damit, dass diese ihre politische Sozialisierung erfahren haben, als der Beitritt bereits vom Tisch gewesen sei. Für die wenigsten sei das Thema deshalb eine Herzensangelegenheit, während viele Ältere ihren Grundüberzeugungen treu geblieben seien.

EU-Errungenschaften sind für viele heute selbstverständlich

Zwei weitere Gründe für den Schwund der Begeisterung bei den Jungen nennt der Europa-Experte Fabio Wasserfallen gegenüber SRF: Diese Altersgruppe kenne harte Grenzen wie früher nicht mehr. Errungenschaften der EU, wie freies Reisen oder auch das Arbeiten im Ausland, sei für sie bereits eine Selbstverständlichkeit.

Auch seien für sie die Vorteile eines Beitritts nicht klar ersichtlich. Dabei werde dieser «gerade für die Jungen» dann attraktiv, wenn sie einen Nutzen sehen könnten, etwa in wirtschaftlicher Hinsicht oder wenn dadurch das politische System stabilisiert werde. Vor diesem Hintergrund sei es für die Jungen in der Schweiz heute schwer zu erkennen, weshalb sie für ihre Lebensperspektive einen EU-Beitritt bräuchten.

Männer erstmals EU-freundlicher als Frauen

Auffallend an den Ergebnissen der letzten Nachwahlbefragung von 2019 ist zudem, dass erstmals mehr Männer als Frauen einen Beitritt befürworteten. Mit einer Zustimmungsrate von 15,6 Prozent der Männer gegenüber 13,4 Prozent bei den Frauen war der Unterschied allerdings klein.

Nach wie vor gehören die Wählerinnen und Wähler der linken Parteien zu den grössten Befürwortern eines EU-Beitritts. Bei der SP-Wählerschaft war 2019 die Zustimmungsrate mit 43 Prozent deutlich höher als bei der Wählerschaft der Grünen mit einer Zustimmungsrate von 33 Prozent. 2015 lagen die Zustimmungsrate beider Parteien bei 37 (Grüne) beziehungsweise 38 Prozent (SP).

Für die Analyse stützte sich Smartvote auf Datensätze der Selects-Nachwahlbefragungen, welche auf jeweils mehreren Tausend Interviews mit Wählerinnen und Wählern beruhen. Wie Smartvote gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA ausführte, dürften die Zustimmungsraten in den Umfragen bis und mit 2003 indes als eher zu hoch erscheinen. Die generellen Tendenzen, die aus den Daten hervorgingen, seien aber schlüssig.

Mit Material von SDA