Suizidfall Céline Politikerin fordert einen Cybermobbing-Straftatbestand

Von Jennifer Furer

4.3.2020

Nach dem Suizid der 13-jährigen Céline forderten ihre Eltern damals die Einführung eines Straftatbestandes für Cybermobbing. Jetzt wird eine SP-Politikerin konkret. 

Als die 13-jährige Céline am 28. August 2017 Suizid begeht, ist sie zuvor monatelang gemobbt worden, in der Schule, vor allem aber im Internet – die Schweizer Medien berichteten allesamt. Höhepunkt der Peinigung damals: Célines damaliger Schwarm verlangt anzügliche Bilder des jungen Mädchens – und schickt sie an seine Ex-Freundin, die Céline beschimpft. Céline nimmt sich das Leben.

Lockiges braunes Haar, die Mundwinkel zu einem Lächeln hochgezogen, die Augen strahlen – das Bild, das Céline in einem glücklichen Moment zeigt, tragen ihre Eltern, Nadya und Candid Pfister, stets bei sich. 
Lockiges braunes Haar, die Mundwinkel zu einem Lächeln hochgezogen, die Augen strahlen – das Bild, das Céline in einem glücklichen Moment zeigt, tragen ihre Eltern, Nadya und Candid Pfister, stets bei sich. 
zvg

Vorstoss noch in dieser Session

Per Strafbefehl wird der heute 17-jährige Dietiker wegen Nötigung und wegen mehrfacher Pornografie verurteilt. Célines Eltern fechten das Urteil an. Sie forderten eine Verurteilung wegen sexueller Nötigung und eine härtere Bestrafung. Das Gericht sah das anders. Die Strafe für den 17-Jährigen blieb bei einem Arbeitseinsatz von vier Tagen.

Die Strafe hat die Diskussion um die Einführung eines Cybermobbing-Straftatbestandes neu entfacht. Einen solchen kennt die Schweizer Justiz bisher nicht. Es gibt aber typische Straftatbestände, die bei Cybermobbing erfüllt werden – wie etwa Nötigung, Drohung und Beschimpfung.



Gabriela Suter, Nationalrätin und Präsidentin der SP Kanton Aargau, will diese Gesetzeslage ergänzen. Wie sie Bluewin.ch sagt, wird sie noch in dieser Session einen Vorstoss einreichen, der einen neuen Straftatbestand für Cybermobbing fordert.

Position der Opfer stärken

«Cybermobbing soll zum Straftatbestand werden, wie dies in Österreich bereits der Fall ist. Ich bin überzeugt, dass dies eine präventive, abschreckende Wirkung hätte und die Position der Mobbing-Opfer stärken würde», sagt Suter.

Im Gegensatz zu früher gehe Mobbing auf dem Pausenplatz nach der Schule weiter und verschiebe sich in die Social-Media-Kanäle wie WhatsApp, Instagram oder Snapchat. «Das Opfer wird permanent angegriffen und ist auch zu Hause nicht mehr vor Beleidigungen sicher», so Suter.

Ins gleiche Horn bläst GLP-Politikerin Chantal Galladé, die als Schulpräsidentin in der Kreisschulpflege in Winterthur Stadt-Töss amtet.

«Als das Strafgesetz gemacht wurde, gab es noch kein Internet und kein Social Media. Diesen neuen Gegebenheiten muss Rechnung getragen werden, wenn wir keine rechtsfreien Räume wollen, in denen die Opfer schutzlos sind», sagt sie. «Ich glaube, dass viele der Generation, die jetzt Gesetze machen, sich zu wenig bewusst sind, was im Internet alles stattfindet und wie prägend das für die junge Generation ist.»

Signal der Gesellschaft

Vorhandene Straftatbestände decken laut Galladé den Bereich Cybermobbing nicht angemessen ab. «Opfer müssen sich mit ihnen behelfen, weil sie keine andere Möglichkeit haben, aber es wird der Tat nicht oder nur teilweise gerecht. Opfer brauchen ganz klar die Möglichkeit, sich gegen das Cybermobbing an sich zu wehren und dieses anzuzeigen.»

Es brauche «ganz klar» das Signal der Gesellschaft und der Politik, dass Cybermobbing nicht geduldet wird. «Es ist eine andere Ausgangslage, wenn man einem Jugendlichen sagen kann, dass das, was er tut oder getan hat, nicht nur drin liegt, sondern strafbar ist und Konsequenzen hat – auch rechtlich.»

Célines Eltern froh über Vorstoss

Florence Brenzikofer, Grünen-Nationalrätin und Delegierte des Lehrerinnen- und Lehrervereins Baselland, ist sich nicht sicher, ob ein neuer Cybermobbing-Straftatbestand Abhilfe schafft: «Ob ein neuer Straftatbestand das Problem löst, ist aus meiner Sicht nicht klar. Doch es muss darüber diskutiert werden. Deshalb finde ich den Vorschlag prüfenswert.»

Für Brenzikofer seien besonders die frühe Aufklärungsarbeit und genügend Ressourcen in der Prävention essenziell. «Kindern und Jugendlichen ist oft nicht bewusst, welche Auswirkungen Cybermobbing auf das reale Leben hat. Social-Media-Kompetenzen müssen deshalb früh gefördert werden und zwar nicht einmalig, sondern wiederkehrend der Stufe und den Problemen angepasst», so Brenzikofer. Wichtig scheint der Politikerin aber auch die Aufklärungsarbeit der Eltern.

Célines Eltern sagen zu Bluewin.ch: «Wir freuen uns, dass im Bereich Cybermobbing etwas passiert», sagt Candid Pfister. Es sei für ihn unbegreiflich, dass jemand, der eine andere Person im Internet mobbt, etwa «nur» wegen Beschimpfung verurteilt werde. «Es ist doch nicht das Gleiche, ob jemand einem anderen auf der Strasse ein Schimpfwort an den Kopf wirft oder ob jemand eine andere Person über eine längere Zeit öffentlich mobbt.»


Brauchen Sie Hilfe? Hier können Sie reden.

Diese Stellen sind rund um die Uhr für Menschen in suizidalen Krisen und für ihr Umfeld da.

Beratungstelefon der Dargebotenen Hand: Telefon 143, www.143.ch Beratungstelefon Pro Juventute (für Kinder und Jugendliche): Telefon 147, www.147.ch

Weitere Adressen und Informationen: www.reden-kann-retten.ch

Adressen für Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben

Refugium – Verein für Hinterbliebene nach Suizid: www.verein-refugium.ch Nebelmeer – Perspektiven nach dem Suizid eines Elternteils: www.nebelmeer.net

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