Grosse Lüge statt grosser LiebeFalsche Märchenprinzen ergaunern Millionen Franken
falu, sda
12.7.2022 - 04:30
Sie bauen online über soziale Netzwerke oder Datingplattformen eine Beziehung zu ihren Opfern auf – und erleichtern sie anschliessend um viel Geld. Sogenannte Romance-Scam-Betrüger haben schweizweit allein in diesem Jahr schon über vier Millionen Franken ergaunert.
Keystone-SDA, falu, sda
12.07.2022, 04:30
12.07.2022, 06:00
SDA
Die Mitteilung liess aufhorchen: Anfang Juli teilte die Kantonspolizei Aargau mit, seit Jahresbeginn summiere sich in ihrem Kanton die Deliktsumme bei Romance Scams auf weit über eine Million Franken. Bei dieser Masche geben sich Betrügerbanden online als fiktive Person aus und bauen eine Beziehung zu ihren Opfern auf.
Als jüngstes Beispiel diente der Fall einer 62-Jährigen: Ein angeblicher Doktor, gutaussehend, für die Uno im Sudan tätig, meldete sich über Facebook bei ihr. Es folgte ein reger Austausch, er erlangte ihr Vertrauen. Nur: Die Frau war einer Kunstfigur auf den Leim gegangen. Misstrauisch wurde sie erst, als sie bereits mehrere Zehntausend Franken ärmer war.
So gab der angebliche Doktor etwa an, er habe für seine Tochter ein Geschenk gekauft in der Schweiz. Die Aargauerin solle bitte das an ihre Adresse bestellte Gerät in den Sudan weiterleiten. Auf der Rechnung blieb sie sitzen. Einmal überwies die Geprellte gar über 20'000 Franken für angebliche Zoll- und Frachtgebühren.
Romance Scams gehören zum wachsenden Bereich der digitalen Kriminalität. Schweizweit sind für vergangenes Jahr 776 solcher Fälle mit 714 Geschädigten in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) aufgeführt, für die Jahre davor existieren keine gesonderten Zahlen. Der überwiegende Teil der Opfer war über 40 Jahre alt, dazu waren etwa zwei Drittel weiblich und ein Drittel männlich.
Nur gut 12 Prozent der Romance-Scam-Fälle sind laut PKS letztes Jahr aufgeklärt worden. Weil diese Art des Betrugs leicht aus dem Ausland begangen werden kann, ist die Aufklärung schwierig. Das Aargauer Beispiel zeigt, dass es dabei sehr schnell um sehr viel Geld gehen kann.
Die Kantonspolizei Thurgau berichtete etwa von einem Fall im laufenden Jahr, bei dem die Deliktsumme fast 45'000 Franken betrug. In St. Gallen ist ein Fall mit einem Umfang von fast 95'000 Franken bekannt. Und die Bündner Kantonspolizei weiss von einem Betrug im vergangenen Jahr, bei dem das Opfer rund 600'000 Franken an Kriminelle bezahlt und verloren hatte.
Über 2,5 Millionen Franken in Zürich und im Aargau
Eine Umfrage der Nachrichtenagentur Keystone-SDA unter den Schweizer Kantonspolizeien zeigte: Allein in diesem Jahr haben Romance-Scam-Betrüger schon über vier Millionen Franken von ihren Opfern erschlichen. Der Löwenanteil davon entfällt auf die Kantone Zürich (1,5 Millionen Franken) und Aargau (über 1 Million Franken). Auf sie folgen St. Gallen (423'000 Franken), Freiburg (400'000 Franken) sowie Graubünden und Neuenburg (je 250'000 Franken).
Nicht alle Kantone machten Angaben zu den Deliktsummen, drei liessen die Antwortfrist ohne Rückmeldung verstreichen.
Betroffene melden sich aus Scham nicht
Die offiziellen Zahlen könnten aber trügerisch sein: «Möglicherweise ist die Zahl der eingegangenen Anzeigen für diese Art von Kriminalität nur die Spitze des Eisbergs», schreibt etwa die Zuger Polizei. Wie viele andere auch, geht sie von einer hohen Dunkelziffer aus. Betroffene würden sich aus Scham ob ihrer Naivität, auf solche Betrüger hereingefallen zu sein, gar nicht erst melden.
Die Behörden haben denn auch eine sehr dezidierte Haltung zu diesen Verbrechen: «Romance Scam ist eine äusserst perfide Form des Cyberbetrugs», sagte ein Sprecher der Bündner Kantonspolizei. «Es handelt sich hier um eine sehr fiese Art von Betrug.
Die Gefühle der Opfer werden hemmungslos ausgenutzt», hiess es bei den Luzernern. «Diese Betrugsmasche ist besonders bösartig, weil sie nicht nur finanzielle, sondern auch emotionale Schäden bei den Opfern verursacht», sagte ein Sprecher der Berner Kantonspolizei.
Ein äusserst drastisches Beispiel für mögliche Folgen kommt aus der Waadt: Im vergangenen Jahr nahm sich dort ein Opfer von Romance-Scam-Betrügern das Leben, wie die Polizei mitteilte. «Geld ist eine Sache, aber man darf nicht den psychologischen Schaden vernachlässigen, den die Opfer dieser Art von Betrug erleiden», hiess es.
«Früher gab es den Heiratsschwindler in Kleinanzeigen»
Begünstigt wird diese Masche durch die fortschreitende Digitalisierung. Durch das Internet sei es viel einfacher und kostengünstiger eine Vielzahl von Leuten zu kontaktieren als auch schon. «Früher gab es den Heiratsschwindler in Kleinanzeigen» führte ein Sprecher der Polizei Basel-Landschaft aus. «Die Reichweite solcher Kleinanzeigen war in der Regel auf die jeweilige Zeitung beschränkt.»
Immerhin: Eine knappe Mehrheit der Polizeien, die dazu Angaben machten, sehen keine allgemeine Zunahme bei den Romance-Scam-Fällen. Dort scheinen sich die Zahlen auf dem Niveau der Vorjahre zu halten. Die Nidwaldner Kantonspolizei weist darauf hin, dass solche Fälle oft gehäuft aufträten. Dazu lasse die Höhe der Deliktsummen auch kein Rückschluss auf allfällige Tendenzen zu, da es in einzelnen Fällen um sehr viel Geld gehen könne.
«Problematik eher stabil»
Das veranschaulicht etwa der Kanton Freiburg. Obwohl sich dort der Schaden seit Jahresbeginn auf rund 400'000 Franken beläuft, schreibt die Polizei: «Für den Kanton Freiburg ist diese Problematik eher stabil. Wir stellen sogar einen leichten Rückgang fest.»
Im Tessin werden laut Kantonspolizei durchschnittlich zehn Romance-Scam-Fälle pro Jahr registriert. Die jüngsten Meldungen weisen Schadensbeträge in einer Spanne von mehreren Zehntausend bis über hunderttausend Franken auf. Über das letzte Jahrzehnt betrachtet, macht die Polizei dort eine leichte Zunahme aus. Die Tessiner raten deswegen: «Vertrauen Sie niemals jemandem, den Sie nur über das Internet kennen.»