Kriegsmaterial-Weitergabe Schweizer Waffen könnten doch noch in die Ukraine kommen

Von Andreas Fischer

12.5.2023

Wiederausfuhr von Waffen soll unter Bedingungen möglich sein

Wiederausfuhr von Waffen soll unter Bedingungen möglich sein

Die Wiederausfuhr von Kriegsmaterial soll unter Bedingungen möglich werden. Das hat die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats (SIK-S) am Donnerstag entschieden – im Einklang mit ihrer Schwesterkommission. Nun kann ein Gesetzesentwurf ausgearbeitet werden.

12.05.2023

Drittländer könnten Schweizer Waffen doch noch weitergeben: Sicherheitspolitiker des Ständerats befürworten, das Kriegsmaterialgesetz aufzuweichen. Hier sind die Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Von Andreas Fischer

12.5.2023

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die Wiederausfuhr von Schweizer Kriegsmaterial soll unter gewissen Umständen möglich werden, haben Sicherheitspolitiker des Ständerats entschieden.
  • Die Weitergabe von Waffen ist an strenge Bedingungen geknüpft.
  • Der Nationalrat arbeitet eine entsprechende Änderung des Kriegsmaterialgesetzes aus, die vom Parlament bestätigt werden muss und dem Referendum unterliegt.
  • Die Neutralität der Schweiz ist laut Experten nicht gefährdet.

Bern gibt die Blockadehaltung auf: Unter gewissen Bedingungen könnte die Schweiz Waffenexporte zukünftig doch erlauben. Weil die Sicherheitspolitische Kommission des Ständerats (SIK-S) einer parlamentarischen Initiative der Nationalratskommission überraschend deutlich mit 8 zu 5 Stimmen Folge gab, kann nun ein entsprechender Gesetzesentwurf ausgearbeitet werden.

Damit kommt nach monatelangen Diskussionen Schwung in die Debatte um eine Änderung des geltenden Kriegsmaterialgesetzes (KMG). Dieses verbietet dem Bundesrat bislang, ausländische Anfragen für eine Weitergabe von Schweizer Waffen zu bewilligen.

Doch mit dem nun erfolgten «Grundsatzentscheid» der SIK-S, wie ihn Kommissionspräsident Werner Salzmann (SVP) nannte, liegt eine Änderung des KMG in Reichweite. Bei der Erarbeitung des Textes müssen allerdings noch viele offene Fragen beantworten werden. Hier sind die wichtigsten Antworten.

Warum beschäftigt sich das Parlament überhaupt mit den Waffenexporten?

Insbesondere im Zusammenhang mit Russlands völkerrechtswidrigem Angriffskrieg gegen die Ukraine hatte die strikte Schweizer Haltung zuletzt für immer stärkere Irritationen bei westlichen Partnern gesorgt. Völkerrechtler Andreas Müller von der Universität Basel warnte im Interview mit blue News davor, dass die Schweiz damit politisches Kapital, auch für die Zukunft, verspiele, «weil sie loyale und wohlwollend eingestellte Leute in vielen Nachbarländern verprellt».

Was will der Bundesrat?

Der Bundesrat will bisher partout keine Änderung am Kriegsmaterialgesetz. Dies hatte Bundespräsident Alain Berset bei einem Staatsbesuch in Berlin zuletzt unterstrichen.

Indes ist seit Monaten eine Reihe von parlamentarischen Vorstössen hängig, die einen Kriegsmaterial-Kompromiss anstreben. National- und Ständerat diskutieren verschiedene Vorschläge für Ausnahmeregelungen.

Was wurde jetzt genau entschieden?

Beim aktuellen Vorstoss handelt es sich um einen «kombinierten Ansatz». Dieser sieht vor, dass der Bundesrat künftig im Einzelfall eine Nichtwiederausfuhr-Erklärung ausnahmsweise auf fünf Jahre befristen kann.

Welche Bedingungen gäbe es bei der Wiederausfuhr?

Das Bestimmungsland von Schweizer Waffen und Munition darf die Menschenrechte nicht schwerwiegend verletzen, es darf keine Gefahr bestehen, dass das Kriegsmaterial gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wird, und das Bestimmungsland darf nicht in einen internen oder internationalen bewaffneten Konflikt verwickelt sein.

Anders ausgedrückt dürften Staaten mit den gleichen oder ähnlichen Werten wie die Schweiz Kriegsmaterial, das sie vor mindestens fünf Jahren gekauft haben, weitergeben. Damit dürfte zum Beispiel Deutschland die Munition für den Flugabwehrpanzer Gepard an die Ukraine liefern. Und Dänemark wäre es erlaubt, Kiew seine ausgemusterten Radschützenpanzer Piranha III aus Schweizer Produktion überlassen.

Dürften Rüstungsgüter auch an kriegführende Staaten weitergegeben werden?

Die Wiederausfuhr wäre in diesem Fall möglich, wenn der betroffene Staat von seinem völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrecht Gebrauch macht. Dies muss von einer Resolution des UN-Sicherheitsrates festgestellt werden – was durch das Vetorecht der ständigen Mitglieder unwahrscheinlich ist. Zum Beispiel blockiert Russland die entsprechende Resolution zur Ukraine.

Aus diesem Grund sieht die Gesetzesänderung eine weitere Ausnahme vor: So kann auch die Uno-Vollversammlung mit Zweidrittelmehrheit das Selbstverteidigungsrecht eines Staates bestätigen – wie im Krieg gegen die Ukraine im März 2022 geschehen.

Ist die Neutralität nun am Ende?

Laut Kommissionspräsident Werner Salzmann müsse «im Detail geprüft» werden, ob die vorgeschlagene Lösung mit dem Neutralitätsrecht vereinbar wäre. Völkerrechtler Andreas Müller sagt dazu: «Das aktuelle Thema mit dem Verbot des Weiterverkaufs von Schweizer Waffen und Munition ist weitgehend selbst gemacht. Das völkerrechtliche Konzept der Neutralität wurde über die Jahrzehnte derart aufgeweicht, dass es eigentlich nur noch wenige harte Vorgaben gibt.»

Ein von SP, Mitte, GLP und FDP in Auftrag gegebenes Gutachten kommt ebenfalls zum Schluss, dass das Neutralitätsrecht nach dem Haager Abkommen von 1907 nicht mehr gelte. Und selbst wenn das Neutralitätsrecht von damals noch gelten würde, wäre die Wiederausfuhr von Kriegsmaterial dennoch möglich.

Ab wann würde das angepasste KMG gelten?

Die Gesetzesänderung würde gemäss dem Vorschlag auch rückwirkend gelten.

Wie geht es nun weiter?

«Wir sind nur einen kleinen Schritt weiter, Waffen indirekt in die Ukraine zu liefern», dämpfte Werner Salzmann die Erwartungen, dass der Kriegsmaterial-Kompromiss rasch umgesetzt werden könnte. «Die Vorlage wird frühestens im nächsten Jahr im Ständerat beraten.»

Wer hat das letzte Wort?

Es ist durchaus möglich, dass es im weiteren parlamentarischen Prozess noch Änderungen an dem Entwurf gibt. Das letzte Wort könnte dann das Stimmvolk haben: Gesetzesänderungen auf Bundesebene unterstehen dem Referendum. Käme es zustande, würde es die Änderung des Kriegsmaterialgesetzes weiter verzögern.

Mit Material der Nachrichtenagentur Keystone-SDA.

Dänemark will Radschützenpanzer vom Typ Piranha III an die Ukraine liefern, Deutschland Munition aus Schweizer Produktion: Das könnte in Zukunft erlaubt sein.
Dänemark will Radschützenpanzer vom Typ Piranha III an die Ukraine liefern, Deutschland Munition aus Schweizer Produktion: Das könnte in Zukunft erlaubt sein.

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