Labors am Limit Testen wie bisher könnte bald nicht mehr drinliegen

Von Gil Bieler

8.1.2022

Spucken, bitte: Schüler*innen einer Zürcher Gymnasialklasse nehmen an einem Pooltest teil. (Archivbild)
Spucken, bitte: Schüler*innen einer Zürcher Gymnasialklasse nehmen an einem Pooltest teil. (Archivbild)
Bild: Keystone/Gaetan Bally

In der Schweiz werden so viele Corona-Tests durchgeführt wie noch nie. Die Labors stossen mit der Auswertung an ihre Grenzen und fordern: Die Regeln, wer sich wann testen lassen soll, müssen überarbeitet werden.

Von Gil Bieler

8.1.2022

Die Omikron-Welle treibt nicht nur die Fallzahlen in die Höhe. Schweizerinnen und Schweizer müssen sich auch in Rekordzahl auf das Coronavirus testen lassen. Der vorläufige Rekordwert wurde am Dienstag erreicht, mit 79'815 PCR-Tests. Hinzu kamen rund 17'000 Antigentests, die das Bundesamt für Gesundheit (BAG) vermeldete.

Und es sei zu befürchten, dass die Infektionszahlen und damit auch die Zahl der Tests noch weiter ansteige, warnt der Verband der medizinischen Laboratorien der Schweiz (FAMH).

Für die Laborbetreiber*innen ist daher klar: Die Regeln, welche Personen wann getestet werden, seien überholt. «Wenn man sieht, wie schnell sich Omikron ausbreitet, müssen wir das Testregime dringend anpassen», bekräftigt Martin Risch, Vorstandsmitglied des FAMH, auf Anfrage.

«Spitzentage, kein Dauerzustand»

Aber Moment: Patrick Mathys vom BAG sagte diese Woche vor den Medien, es gäbe Kapazitäten von rund 100'000 PCR-Tests pro Tag. Hat er damit zu etwa hoch gegriffen? Grundsätzlich sei das kein unrealistischer Wert, sagt Martin Risch. «Aber dann sprechen wir von Spitzentagen, nicht von einem Dauerzustand.»

Denn auch in den Labors fielen derzeit mehr Angestellte krankheitsbedingt aus. Hinzu komme, dass die Festtage besonders arbeitsintensiv gewesen seien. «Es gibt Mitarbeitende, die jetzt auch einmal Ferien nötig hätten. All das muss man einkalkulieren», so Risch.

Beim BAG ist man sich der hohen Belastung der Labors bewusst, wie Mediensprecher Jonas Montani auf Anfrage erklärt. Bei einer hohen Nachfrage könnten vermehrt Antigen-Schnelltests eingesetzt werden. «So können die Testkapazitäten auch unabhängig von den Laboratorien hochgefahren werden», erklärt Montani. 

Sollte es dennoch zu Engpässen kommen, schlägt das BAG den Kantonen und Labors ein Vorgehen nach Prioritäten vor.

Priorisierung des BAG bei Engpässen:

  • Erste Priorität: Personen mit Symptomen sowie Kontaktpersonen von positiv getesteten Fällen.
  • Zweite Priorität: repetitive Pooltests in Gesundheitseinrichtungen, Schulen und Betrieben.
  • Dritte Priorität: Tests für Covid-19-Zertifikate und Reisen.

Der Laborverband unterstützt diese Prioritätensetzung grundsätzlich. Er differenziert aber noch etwas weiter und empfiehlt all seinen Mitgliedern, sich an die folgende Kategorisierung zu halten:

Priorisierung gemäss Labor-Verband: 

  • Erste Priorität: Personen mit Symptomen sowie Kontaktpersonen von positiv getesteten Fällen.
  • Zweite Priorität: repetitive Pooltests in Gesundheitseinrichtungen.
  • Dritte Priorität: repetitive Tests in Schulen und Betrieben.
  • Vierte Priorität: Tests für Covid-19-Zertifikate und Reisen.

Gerade die Tests für Zertifikate oder Reisen dienten «lediglich dem Individualinteresse» und würden nichts zur Pandemiebekämpfung beitragen. Darum sollten sie zuletzt berücksichtigt werden.

Zusätzlich stellt der Verband Forderungen an den Bund. Die wichtigste: Die Regel, dass ein positiver Antigentest durch einen PCR-Test bestätigt werden muss, solle gekippt werden. Antigentests hätten einen «hohen positiven Vorhersagewert», das Überprüfen sei damit eine «unangemessene Nutzung der diagnostischen Ressourcen».

Beim BAG prüft man eine solche Anpassung in der Tat bereits. Nach einem positiven Antigen-Schnelltest müsste man diesen künftig unmittelbar dem kantonalen Contact Tracing sowie dem BAG melden, schreibt Mediensprecher Montani. Ein PCR-Bestätigungstest dagegen würde hinfällig. 

Die Begründung: In der aktuellen Phase sei man bei einem positiven Antigen-Schnelltest «mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich infiziert». «Falsch positive» Tests sind hier in der aktuellen epidemiologischen Lage sehr unwahrscheinlich». Eine weitere Anpassung der Teststrategie werde geprüft. 

Aargau gibt repetitive Tests an Schulen auf

Dass das Testregime an seine Grenzen stösst, zeigt sich im Aargau. Der Kanton hat diese Woche beschlossen, die repetitiven Tests an den Schulen bis auf Weiteres einzustellen. Grund: natürlich Omikron.

Die Zahl positiver Pool-Proben habe sich «innert weniger Wochen vervielfacht», begründet der Aargauer Regierungsrat in einer Mitteilung. «Mit einer höheren Anzahl positiver Pool-Proben steigt auch der Bedarf nach Nachtestungen, was bei den Testresultaten zu Wartezeiten von über 48 Stunden führt.» Mit solchen Fristen liessen sich Infektionsketten nicht mehr wirksam unterbrechen.



Martin Risch vom Labor-Verband sagt dazu: In den allermeisten Fällen könnten PCR-Tests auch heute noch innerhalb von 24 Stunden nach Eintreffen im Labor ausgewertet werden. «Wir können den Zeitplan relativ gut einhalten.» Aber: An manchen Tagen würden die Tests gestaffelt eintreffen, an anderen alle auf einmal – was zu Verzögerungen führen könne.

Auch Risch findet, dass die repetitiven Tests in der aktuellen Situation an Nutzen verlören: «Je höher die Positivitätsrate ist, desto weniger effizient sind Pooltests. Denn jeder positive Pool löst viel Arbeit aus und macht zusätzliche Handgriffe nötig.» Dass der Kanton Aargau die Tests an den Schulen bis auf Weiteres eingestellt hat, könne er unterstützen. «Mit einer Priorisierung würden wir sicherstellen, dass die Kapazitäten sinnvoll genutzt werden, was auch die Planbarkeit erhöhen würde.»

Generell gelte: Werde in Schulen und Betrieben seltener oder gar nicht mehr getestet, würde das die Laboratorien in der aktuellen Situation entlasten. Das steht jedoch in starkem Kontrast zu den Empfehlungen der wissenschaftlichen Covid-19-Taskforce des Bundes. Alain Di Gallo, Direktor der Klinik für Kinder und Jugendliche der Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel, erklärte vor den Medien: Die Taskforce rate dringend zu repetitiven Tests an den Schulen, zwei- oder besser sogar dreimal pro Woche.

«Um wirksam zu sein, sollten Tests so häufig wie möglich durchgeführt werden.»

Alain Di Gallo, National COVID-19 Science Task Force, spricht waehrend einer Medienkonferenz zur aktuellen Situation des Coronavirus, am Dienstag, 4. Januar 2022 in Bern. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)

Alain Di Gallo

Wissenschaftliche Covid-19-Taskforce.

Auf Anfrage bekräftigt Di Gallo: Mit regelmässigen Tests in Schulen könnten Covid-19-Infektionen auch bei fehlenden oder milden Symptomen frühzeitig erkannt und Übertragungsketten unterbrochen werden. «Um wirksam zu sein, sollten Tests jedoch regelmässig und so häufig wie möglich durchgeführt werden, und die Tests sollten alle Kinder einbeziehen.»

So weit die Empfehlung der Taskforce. Wie die Corona-Massnahmen umgesetzt würden, sei aber Sache der Kantone und Schulen. 

Taskforce-Experte: «Das wichtigste Ziel ist die Offenhaltung der Schulen»

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Der starke Anstieg der Neuansteckungen mit dem Coronavirus macht auch vor den Kindern nicht halt. Dennoch müsse das Ziel sein, Schulschliessungen zu vermeiden, eklärt Taskforce-Mitglied Alain Di Gallo.

04.01.2022

Dass wegen Omikron bald neue Test-Vorschriften nötig werden dürften, klang auch Patrick Mathys vom BAG an. Bei anhaltend hohen Fallzahlen werde es nicht mehr möglich sein, im heutigen Umfang zu testen. Denkbar wäre etwa, dass sich Personen mit Symptomen gar nicht mehr testen lassen müssten, sondern freiwillig in Quarantäne begeben würden.

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