Abhängigkeit Warum Kampfjets nie ganz der Schweiz gehören werden

Von Anna Kappeler

4.8.2020

Ein F-35 beim Testflug in Payerne im Juni 2019. Nun wird Kritik laut, dass die Amerikaner die Flieger per Knopfdruck vom Himmel holen könnten.
Ein F-35 beim Testflug in Payerne im Juni 2019. Nun wird Kritik laut, dass die Amerikaner die Flieger per Knopfdruck vom Himmel holen könnten.
Bild: Keystone

Kauft die Schweiz neue Kampfjets, mache sich das Land in puncto Software von den Herstellern abhängig, monieren Kritiker. Selbst der Bund gibt zu: Eine vollständige Unabhängigkeit ist nicht möglich.

Es ist eine Aussage mit Sprengkraft: «Die USA können unsere Jets auf Knopfdruck vom Himmel holen. Oder uns nicht starten lassen, wenn sie es nicht wollen.» Das sagt Nationalrätin und Sicherheitspolitikerin Priska Seiler Graf (SP/ZH) über den US-Kampfjet F-35. Er ist einer von vier Fliegern, dessen Kauf die Schweiz prüft.

Seiler Graf spielt damit auf eine bisher von der Öffentlichkeit wenig beachtete Problematik im Zusammenhang mit der neuen Kampfjet-Beschaffung an: eine mögliche Abhängigkeit der Schweiz von den Herstellern bezüglich der Kampfjet-Software.

Kritik dazu kommt nicht nur aus dem linken Lager. Auch Willi Vollenweider, Präsident der konservativen Offiziersvereinigung Gruppe Giardino, sagt: «Bei den beiden US-Jets – F-35 und F/A-18 Super Hornet – gäbe die Schweiz die Kontrolle komplett ab.»

Jets zu grossem Teil aus Elektronik

Interessant sind diese Aussagen, insbesondere in Anbetracht der Abstimmung vom 27. September. An jenem Tag entscheiden die Schweizer Stimmberechtigten, ob die hiesige Luftwaffe für sechs Milliarden Franken neue Kampfjets erhält. Den Typen-Entscheid fällt das Verteidigungsdepartement VBS danach. Zur Auswahl stehen der F-35 von Lockheed Martin, der F/A-18 Super Hornet von Boeing, der Rafale von Daussalt und der Eurofighter von Airbus.

Infobox
Keystone

Die integrierte Elektronik eines Kampfjets sammelt sehr viele Daten der Sensoren und Systeme. Es gibt dabei zwei Arten von Daten mit Relevanz. Die einen betreffen den Betrieb und die Instandhaltung des Flugzeugs und seiner Geräte. Die anderen sind Missionsdaten. Also Daten, die von den Geräten des Flugzeugs während eines Einsatzes gesammelt werden. Sie geben Auskunft darüber, wohin der Jet geflogen ist, und was er vor Ort gemacht hat. Diese Daten will das Land meist nicht mit anderen teilen. (aka)

Alle modernen Kampfflugzeuge bestehen zu einem grossen Teil aus Elektronik (siehe Infobox rechts). «Dazu gehört», sagt der ehemalige Luftwaffenoffizier Roger Harr, «etwa das Flugregelsystem, Radar- und optische Sensoren und Waffensysteme.» Von zunehmender Bedeutung sei auch die Sprach- und die Datenkommunikation über geschützte sogenannte Data-Links, zu Deutsch Datenfunk-Verbindungen.

«Gerüchte, dass Amerikaner On-/Off-Schalter haben sollen»

Vor allem beim F-35A sei der Anteil an modernster Elektronik sehr ausgeprägt, sagt auch Harr. «Seit Jahren kursieren Gerüchte, wonach die Amerikaner einen On-/Off-Schalter haben sollen.» Tatsache sei: «Niemand weiss genau, welche Möglichkeiten die Hersteller wirklich haben, um die Systeme im Betrieb zu beeinflussen», sagt Harr. Dahinter steckten sicherheitspolitische Überlegungen. «Die wenigen Personen, die mehr wissen, dürfen verständlicherweise nicht reden.»

Harr wird grundsätzlich. «Unabhängigkeit vom Hersteller zu haben, ist bei modernen Waffensystemen und Kampfjets illusorisch.» Mit zunehmender Komplexität der Flugzeuge steige die Abhängigkeit der Kunden. «Alle Hersteller versprechen zwar das Blaue vom Himmel, doch es gibt keinen Anbieter, bei dem die Schweiz keine Abhängigkeit hätte.» Weiter sagt er: «Diese Abhängigkeit wollen wir zwar nicht, aber wir haben keine Wahl.»

Ein eigenes Flugzeug zu entwickeln, wäre viel zu teuer. «Und dass wir Flugzeuge brauchen, ist klar. Also müssen wir welche kaufen.»

«Diese Abhängigkeit wollen wir zwar nicht, aber wir haben keine Wahl.»

Anders sieht das Vollenweider von der Gruppe Giardino. «Unsere Forderung: Die Schweiz baut die kritischen Software-Systeme unter eigener Kontrolle ein.» Man solle nur das flugtaugliche Gerüst der neuen Jets kaufen. «Wenn Israel das – beim F-35 – geschafft hat, warum wir nicht auch?», fragt Vollenweider. Allein bei der Ruag würden mehrere Tausend Hightech-Spezialisten arbeiten.

VBS: «Vollständige Unabhängigkeit nicht möglich»

Diese Forderung sei unrealistisch, entgegnet das Verteidigungsdepartement VBS: «Der Aufbau des ganzen Know-how und die Beschaffung aller Ersatzteile, sodass die Schweiz auf Dauer das Flugzeug völlig selbstständig betreiben könnte, wäre viel zu teuer und wirtschaftlich ineffizient», sagt ein Pressesprecher. Die Schweizer Industrie wäre technisch und finanziell nicht in der Lage, ein eigenes Kampfflugzeug samt allen Komponenten zu produzieren.

Und wie sieht es mit der Abhängigkeit von der Software aus? «Eine vollständige Unabhängigkeit vom Hersteller bzw. vom Herstellerland ist nicht möglich», sagt auch das VBS.



Auf die Frage, bei welchem der vier Jets die Schweiz bei der betriebswichtigen Software die grösste Unabhängigkeit hätte, antwortet der VBS-Sprecher allgemein: «Technologische Abhängigkeiten und gegebenenfalls daraus resultierende Nachteile werden im Rahmen der Evaluation sorgfältig überprüft, ebenso Möglichkeiten, diese zu reduzieren.»

F-35 ist der Ferrari – «doch ungeeignet»

Es ist besonders der Tarnkappenjet F-35, der unter Beschuss gerät. «Dass militärnahe Leute am liebsten den F-35 hätten, ist ein offenes Geheimnis», sagt der ehemalige Nationalrat und Sicherheitspolitiker Boris Banga (SP/SO). Er könne das nachvollziehen: «Ein Autofan möchte ja auch am liebsten den Ferrari.» Doch er bezweifle, dass der F-35 der beste Flieger für die Schweiz sei. «Beim F-35 haben die Amerikaner allein Zugang zu betriebswichtigen Software-Codes», sagt auch er. «Es ist bekannt, dass Lockheed Martin hier rigoros ist.»

Schweiz ohne vollen Zugang zu Quellcodes der F-35-Software

Stichwort Datenaustausch: Kontaktieren wir dazu also die Hersteller. Lockheed Martin antwortet, die Schweiz erhalte wie alle internationalen F-35-Nutzer die komplette Kontrolle («complete control») darüber, welche Daten das Land teilen möchte. Allerdings würde die Schweiz nicht vollen Zugang zu Quellcodes der F-35-Software erhalten. «Das ist keine Anforderung des New-Fighter-Aircraft(NFA)-Programms», sagt ein Sprecher. Und was wäre, sollte sich die Schweiz dafür entscheiden, überhaupt keine Daten in die USA zu senden? Dazu sei die Schweiz nicht gezwungen, das wäre kein Problem, so die Antwort.

«Entscheidet ein Land, keine Daten zu senden, könnte das zu Engpässen führen.»

Welche Konsequenz hätte das auf die Betriebskosten – zum Beispiel auf das in der Schweiz notwendige Ersatzteillager? «Wegen des aktuell laufenden Wettbewerbs kann Lockheed Martin nichts zu den Kosten sagen.» Entscheide ein Land, keine Daten zu senden, «würden normale Anforderungen für Ersatzteile nicht automatisch übermittelt. Das könnte zu Engpässen führen». Das wäre laut Lockheed Martin bei allen Kampfjets des New-Fighter-Aircraft(NFA)-Programms der Fall und würde womöglich ein grösseres Lager an Ersatzteilen in der Schweiz nötig machen.

Boeing mit ähnlichem Prozess wie bisher

Wie äussert sich das ebenfalls amerikanische Unternehmen Boeing, das mit den F/A-18 Super Hornet im Rennen ist, auf die gleichen Fragen? Boeing ist hierzulande bestens bekannt, lieferte es doch bereits die heutigen F/A-18 C/D der Schweizer Luftwaffe. Der Prozess bei den Super Hornet würde ähnlich sein wie bei den jetzigen Hornet, so ein Boeing-Sprecher.

«Boeing arbeitet eng mit seinen Kunden zusammen, um sich zu versichern, dass ihre Daten geschützt sind.» Operationale Daten und solche zur Instandhaltung zu teilen, würde der Schweiz bessere Reparaturprognosen erlauben, dabei habe die Schweiz die Möglichkeit zu kontrollieren, welche Daten – falls überhaupt welche – mit Boeing geteilt würden. «Die Entscheidung, ob Daten geteilt werden, wird weder das Flugzeug noch die Preisgestaltung beeinflussen», so der Boeing-Sprecher.



Boeing betont die zurzeit ausserordentlich gute Zusammenarbeit («excellent working relationship») zwischen der Schweiz, der US Navy und Boeing.

«Ungewiss, was Software im Hintergrund macht»

Blicken wir deshalb auf die aktuelle Zusammenarbeit zwischen Boeing und der Schweiz im Zusammenhang mit den F/A-18 Hornet. Vollenweider von der Gruppe Giardino nennt ein Beispiel von Abhängigkeit im Zusammenhang mit den F/A-18 Hornet. «Da werden die Schweizer Techniker weggeschickt, wenn die Techniker des Lieferanten in Schweizer Werkstätten Updates an der Avionik vornehmen.» Und: «Was die Software im Hintergrund dann sonst noch alles macht, wissen wir nicht», sagt Vollenweider.

«Da werden die Schweizer Techniker weggeschickt, wenn die Techniker des Lieferanten in Schweizer Werkstätten Updates an der Avionik vornehmen.»

Der ehemalige Sicherheitspolitiker Banga erwähnt den ersten Absturz einer F/A-18 in der Schweiz. Am 7. April 1998 stürzte ein F/A-18-Doppelsitzer der Schweizer Luftwaffe im Wallis auf einem Trainingsflug ab, beide Insassen kamen ums Leben. Dazu sagt Banga: «Da kamen die Amerikaner zuerst und ohne Schweizer Vertreter, um zu schauen, was das Problem war. Und dabei haben sie Daten abgesaugt.» Banga war in jenem Jahr Vizepräsident der Sicherheitspolitischen Kommission (SiK) des Nationalrats.

Das Verteidigungsdepartement VBS sagt dazu: «Flugunfälle von Militärluftfahrzeugen werden unabhängig vom Flugzeughersteller durch die Militärjustiz und die Sparte Flugsicherheit des Armeestabs untersucht.» Bei Bedarf könne dabei die Expertise von Fachleuten oder Organisationen im In- und Ausland beigezogen werden. Die Aufklärung der Ursachen eines Flugunfalls lägen sowohl im Interesse des VBS wie in jenem des Herstellers.

«Wird die Expertise des Herstellers beigezogen, geht es um Abklärungen von einzelnen, sehr spezifischen technischen Sachverhalten», sagt der Pressesprecher des VBS weiter. Dies gelte namentlich auch für die US Navy und die Firma Boeing nach den Unfällen etwa im Wallis. Boeing wiederum antwortet auf Anfrage, man leiste auf Wunsch gerne Hilfe und verweist für Details zu diesem Vorgang ans VBS.

Airbus: «Keine Black Boxes bei uns»

An dieser Stelle zurück zu den beiden europäischen Jet-Hersteller im Rennen. Airbus sagt via eines Sprechers über seinen Eurofighter: «Wenn man sich für Eurofighter entscheidet, ist der Datenzugang vollumfänglich und uneingeschränkt möglich, es gibt also keine sogenannten Black Boxes, wie es teilweise bei anderen Herstellern der Fall ist.» Allen Nationen stünden vom Hersteller die gleichen Softwarestandards und Leistungskapazitäten zur Verfügung. Und die Softwaredaten des Fliegers seien für jede Nutzernation zugänglich.

«Die Eurofighter-Partnerländer profitieren alle gemeinsam von ihren Flugzeugdaten, sind aber stets ihr eigener Herr und können entscheiden, welche Daten aufgrund ihres nationalen Interesses ausschliesslich im Land verbleiben.» Beim Eurofighter gebe es keine Version A (mit optimaler Daten-Ausrüstung und Leistungsfähigkeit) und einer Export-Version B (mit reduzierter Leistung).

Keine Antwort innert der gesetzten Frist kommt von der französischen Firma Daussalt und ihrem Rafale.

«Die Frage ist: Wo fahren wir weniger schlecht?»

Was bleibt? Dazu nochmals der ehemalige Luftwaffenoffizier Harr: «Die Frage ist: Wo fahren wir weniger schlecht?» Abhängigkeiten beim Data-Link und beim GPS gäbe es überall, zudem hätten viele europäische Jets zum Teil amerikanische Systeme eingebaut. «Ich gehe davon aus, dass Abhängigkeiten bei jedem Anbieter bestehen, bei den beiden europäischen Typen sind wir vermutlich etwas weniger abhängig als bei den amerikanischen.»

Diese Aussage teilen Altnationalrat Banga, Gruppe Giardino-Präsident Vollenweider und SiK-Mitglied Seiler Graf. Letztere ist deshalb «klar für einen europäischen Flieger». Ihre Begründung: «Wenn schon abhängig, dann so wenig wie möglich, und lieber von Europa als von den USA.»

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