Bundesrats-Entscheid Und wer denkt an die Kinder?

Von Lukas Meyer

14.8.2021

Kinder mit Maske in der Schule. 
Kinder mit Maske in der Schule. 
Bild: Keystone

Der Bundesrat will in die Normalisierungsphase übergehen und höhere Fallzahlen in Kauf nehmen. Was bedeutet das für die Kinder? Eine gewisse Durchseuchung wurde bei ihnen schon immer zugelassen, sagt ein Experte.

Von Lukas Meyer

14.8.2021

Ungeimpfte ohne Symptome sollen ab 1. Oktober ihre Tests selber bezahlen. Das schlägt der Bundesrat vor. Ausgenommen davon sind Personen, die sich nicht impfen lassen können, und Kinder bis 12 Jahre. Der Grund: Für Kinder dieser Altersgruppe gibt es noch keine zugelassene Impfung. 12- bis 17-Jährige können sich dagegen mit den Vakzinen von Pfizer/Biontech und Moderna impfen lassen.



Da alle Menschen in der Schweiz über kurz oder lang mit dem Coronavirus konfrontiert würden, geht der Bundesrat davon aus, dass eine Zunahme der Infektionen, der Hospitalisierungen und der Todesfälle nicht zu vermeiden ist. Zur Situation der Kinder schreibt die Regierung nur so viel: «Der Bundesrat ruft die Kantone dazu auf, in den Schulen repetitive Tests durchzuführen und so zum Schutz der Kinder beizutragen.» 

Durchseuchung wurde immer schon zugelassen

Wird so eine Durchseuchung der Kinder in Kauf genommen? Das habe man in einem gewissen Masse schon immer zugelassen, sagt Christoph Aebi, Kinderarzt und Infektioologe am Insel-Spital Bern, auf Anfrage von «blue News». «Es ist angemessen, das gegenwärtig weiterzuführen, aber die Massnahmen auch nicht weiter zu reduzieren, weil das ganze Ausmass des Verhaltens der hochkontagiösen Delta-Variante noch nicht genau abschätzbar ist.»

Seit Beginn der jüngsten Infektionswelle seien in der Schweiz nicht mehr Kinder erkrankt – aber der Anstieg habe auch erst begonnen. «Aus den USA wissen, dass 1 bis 2 Prozent der infizierten Kinder hospitalisiert werden müssen», so Aebi. Das entspreche ungefähr dem Wert, der in der Schweiz seit Beginn der Pandemie beobachtet werde.

Das multisystemische inflammatorische Syndrom (PIMS) hingegen korreliere eng mit der Gesamtfallzahl. Dabei handelt es sich um eine Überreaktion des Immunsystems mit tagelangem hohen Fieber, oft begleitet von Bauchschmerzen, Erbrechen, Durchfall und Ausschlägen. «Wir werden also bei einem Anstieg der Gesamtfallzahl wieder mehr Kinder mit PIMS hospitalisieren müssen, sofern die Delta-Variante diese entzündliche Erkrankung vier bis sechs Wochen nach der Infektion auch triggert.»

Nervosität wegen Delta und Long Covid

Die Datenlage ist aber gerade bei der Delta-Variante noch sehr dünn. In den USA sind viele Ärzte nervös, da sie gefährlicher sein könnte für Kinder, wie der «Spiegel» berichtet. Dort stecken sich immer mehr Kinder an, und es landen auch mehr im Spital. Der Immunologe Anthony Fauci, der auch US-Präsident Joe Biden in der Krise berät, sagt dazu in einem Video: «Die Jüngsten sind momentan sehr verletzlich, weil sie ungeimpft sind.»

Zudem gibt es Berichte über Fälle von Long-Covid bei Kindern. Auch hierzu gibt es aber noch sehr wenig Daten und Studien. Doch auch bei niedrigen Schätzungen wären bei einer Durchseuchung aller Kinder in der Schweiz Zehntausende betroffen, schreibt «Watson».

Ein Kind wird getestet: Für unter 12-Jährige ist das weiterhin kostenfrei.
Ein Kind wird getestet: Für unter 12-Jährige ist das weiterhin kostenfrei.
KEYSTONE

«Kinder und Jugendliche können sich infizieren und das Virus weitergeben», sagt auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG). Infektionen verliefen aber meist ohne oder mit nur milden Symptomen. Schwere Verläufe könnten in Einzelfällen nicht ausgeschlossen werden.

Repetitive Tests an Schulen bleiben wichtig

Zusammen mit der Erziehungsdirektorenkonferenz habe man eine detaillierte Risikoeinschätzung sowie einen darauf abgestimmten Massnahmenkatalog zum Schutz der Kinder und Jugendlichen zum Schulbeginn erstellt, so das BAG. «Ziel ist, durch regelmässiges Testen den Eintrag vor SARS-CoV-2 in das Schulsetting frühzeitig zu erkennen und durch geeignete Massnahmen eine Ausbreitung zu verhindern, sodass ein geordneter Unterricht stattfinden kann. Die Umsetzung liegt bei den Kantonen.»



Solange Kinder unter 12 Jahren nicht geimpft werden könnten, seien Massnahmen wie Masketragen, Abstandhalten, Lüften und Hygiene am besten für ihren Schutz, schreibt der «Spiegel». «Kinder unter 12 Jahren können nicht geimpft werden, aber sie können sich infizieren», findet auch Epidemiologe Marcel Tanner im Gespräch mit «blue News». Daher blieben Tests ein wichtiges Instrument, um Infektionsherde aufzuspüren.

Müsste man die Auslastung von Kinderspitälern separat anschauen und Massnahmen vorsehen, wenn diese eine kritische Grenze erreichen, wie einige Stimmen fordern? Nein, findet Kinderarzt Christoph Aebi. «Die Erfahrungen zeigen, dass hospitalisationsbedürftige Fälle von Covid die Kinderspitäler bisher auch nicht annähernd in Engpässe geführt haben.»

Er erwarte das auch nicht von der Delta-Variante – «aber die Pandemie hat schon oft alle unsere Prognosen in den Wind geschlagen». Ein gutes Monitoring der Virusaktivität sei deshalb weiterhin essenziell.