Arbeitsrecht Was darf ich, wenn ich krankgeschrieben bin?

Silvana Guanziroli

28.2.2019

Die Grippe zwingt derzeit viele Betroffene ins Bett.
Die Grippe zwingt derzeit viele Betroffene ins Bett.
Keystone

Die Grippe hat die Schweiz fest im Griff. Viele Arbeitnehmer sind derzeit krankgeschrieben. Darf ich überhaupt das Haus verlassen? Das sagt der Arbeitsrechtler.

Die Nase tropft, die Glieder schmerzen, das Fieber steigt in die Nähe der 40-Grad-Marke. Die klassischen Grippebeschwerden quälen derzeit viele Betroffene in der Schweiz, die Infektionskrankheit hat Mitte Februar einen neuen Höchststand erreicht. Die Folge: Zahlreiche Arbeitnehmer sind krankgeschrieben und erholen sich zuhause vom Infekt. Bei einer richtigen Grippe, so heisst es, braucht es mindestens eine Woche Genesungszeit. 

Am Ende der Erholungsphase fühlt sich der Patient wieder deutlich besser. Und nicht erst ab diesem Zeitpunkt stellt sich die Frage: Was darf ich, wenn ich noch krankgeschrieben bin? Der Zürcher Rechtsanwalt und Fachanwalt Arbeitsrecht, Denis G. Humbert, ist da der Experte. Er erklärt, worauf Arbeitnehmer und Arbeitgeber achten müssen:

Herr Humbert, darf ich das Haus verlassen, wenn ich krankgeschrieben bin?

Die Frage hängt davon ab, welche Art von Krankheit vorliegt und wie lange diese dauert. Aus arbeitsrechtlicher Sicht besteht jedenfalls kein explizites Verbot, das Haus zu verlassen. Krank sein ist nicht mit Hausarrest gleichzusetzen. Hat der kranke Mitarbeiter zudem keine Angehörigen, die für ihn die Einkäufe tätigen, muss er das ja selber tun. Ebenfalls notwendig sind zudem Arztbesuche oder ärztlich angeordnete Erholungsaufenthalte ausserhalb der eigenen vier Wände.



Was ist, wenn man von einem Arbeitskollegen in der Stadt gesehen wird, dieser das dem Chef meldet und darauf die Kündigung ins Haus flattert? 

Das Schweizerische Obligationenrecht regelt bei Unfall und Krankheit den Kündigungsschutz. Nach Artikel 336c darf dem Arbeitnehmer im ersten Dienstjahr während maximal 30 Tagen, ab dem zweiten bis zum fünften während 90 Diensttagen und ab dem sechsten Dienstjahr während 180 Tagen nicht gekündigt werden. Die Entlassung, die während dieser Sperrfristen ausgesprochen wird, ist nichtig. Eine Ausnahme gibt es allerdings: Der Kündigungsschutz gilt nicht, wenn eine arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit vorliegt, wie bei einer psychischen Belastung am Arbeitsplatz. Die Firma kann in diesem Fall eine Kündigung aussprechen.

Der Arzt rät einem Patienten, nach einer akuten Depression wieder unter Leute zu gehen. Darf man also während der Krankschreibung Sport treiben oder Samstagnacht im Club feiern?

Massgebend ist, was der Arzt sagt. Falls er feststellt, dass für den Genesungsprozess das Betreiben von Sport förderlich ist, ist dagegen nichts einzuwenden. Ausgiebiges Feiern in einem Club lässt hingegen Zweifel an einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit aufkommen. Die Beweispflicht für eine Krankheit liegt beim Arbeitnehmer. In einem solchen Fall ist es für ihn schwierig, das Bestehen einer Krankheit nachzuweisen.



Was, wenn ich während den Ferien erkranke? Hat das Auswirkungen auf meinen Ferienbezug?

Der Erholungswert der Ferien ist durch die Krankheit beeinträchtigt. Darum gilt: Die durch Krankheit verlorenen Ferientage werden beim Vorlegen eines Arztzeugnisses gutgeschrieben. Anders sieht es bei unbezahlten Ferien aus. Der Nachteil der Krankheit trifft hier allein  den Arbeitnehmer.

Welche Gebote sieht das Arbeitsrecht für Krankgeschriebene vor?

Der Arbeitnehmer ist beweispflichtig. Er muss schlüssig darlegen können, dass er aufgrund einer Krankheit seiner Arbeit nicht nachgehen kann. Auf Verlangen des Arbeitgebers muss er zudem ein Arztzeugnis vorlegen. Zu beachten ist, dass einem Arztzeugnis kein absoluter Beweiswert zukommt. Ein Richter kann sich darüber hinwegsetzen, wenn sich aus den Umständen ergibt, dass die Arbeitsunfähigkeit nicht bestanden hat. Zweifel an der Richtigkeit des Artzeugnisses können bestehen, wenn der Beginn der attestierten Arbeitsunfähigkeit mehrere Tage vor der Erstkonsultation, unmittelbar vor oder nach einer Kündigung oder vor dem Antrittsdatum verweigerter Ferien liegt.

Was muss man unter der Treuepflicht verstehen?

Der Arbeitnehmer muss gemäss seiner Treuepflicht nach Art. 321a Abs. 4 des schweizerischen Obligationenrechts alles unterlassen, was den Arbeitgeber wirtschaftlich schädigen könnte. Eine Folge dieser Treuepflicht ist: Die Firma, die ein Arbeitszeugnis anzweifelt, kann vom Arbeitnehmer verlangen, sich auf ihre Kosten von einem Vertrauensarzt des Betriebs untersuchen zu lassen. Verweigert der Arbeitnehmer diesen Arztbesuch, kann der Arbeitgeber die Lohnfortzahlung einstellen.

Denis G. Humbert ist ein Zürcher Rechtsanwalt und Experte im Bereich Arbeitsrecht.
Denis G. Humbert ist ein Zürcher Rechtsanwalt und Experte im Bereich Arbeitsrecht.
zvg
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