Imame in der Schweiz – Teil 2 Wer bringt Hassprediger zum Schweigen?

Von Lia Pescatore

6.8.2021

Nicht nur online finden Hassprediger eine Plattform. Auch in Schweizer Moscheen sind sie unterwegs – und machen in den Medien Schlagzeilen. (Symbolbild)
Nicht nur online finden Hassprediger eine Plattform. Auch in Schweizer Moscheen sind sie unterwegs – und machen in den Medien Schlagzeilen. (Symbolbild)
Bild: Keystone/EPA/Legnan Koula

Im Kampf gegen islamistische Hetzer scheinen die Schweizer Moscheen hilflos. Nun prüft die Politik Massnahmen, aber auch ein muslimischer Verband schreitet ein. Zweiter Teil der Serie über muslimische Geistliche.

Von Lia Pescatore

6.8.2021

Sie hetzen gegen «Ungläubige», befürworten die Gewalt gegen Frauen oder die wörtliche Auslegung des islamischen Rechts. Aussagen von Hasspredigern schockieren. So auch diese vom libyschen Prediger Abu Ramadan:  Er soll in einer Predigt in der Bieler Moschee gegen Andersgläubige gehetzt haben. Nachdem Medien Audio-Ausschnitte seiner Predigt publik machten, wurde Ramadan als Imam abgesetzt. Nun wurde Anklage gegen ihn erhoben.

Die Moscheen bringen solche Fälle in Erklärungsnot. Warum werden solch umstrittene Prediger überhaupt eingeladen oder angestellt? Pascal Gemperli von der Föderation Islamischer Dachorganisationen in der Schweiz (Fids) begründet dies mit den fehlenden Ressourcen der Moscheen, die Prediger einer gründlichen Überprüfung zu unterziehen.

Vielmals werde erst im Nachhinein erkannt, dass ein Prediger problematisch sein könnte. Zum Beispiel, weil er später verhaftet wurde und dadurch die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zieht. Moscheen könnten dann nur noch passiv reagieren: «Die Prediger werden dann nicht nochmals eingeladen», betont Gemperli.

Ständerat will ein Imamregister prüfen

Eine unbefriedigende Situation, die auch in der Politik seit Jahren für Diskussion sorgt. Einig ist man sich, dass Handlungsbedarf besteht. Doch wie? Die Sicherheitskommission des Ständerats will den Nutzen von verschiedenen Massnahmen prüfen lassen. Konkret soll der Bundesrat die Vor- und Nachteile einer Einführung eines Bewilligungsverfahrens für Imame und eines öffentlichen Imamregisters aufzeigen.

Der Bundesrat unterstützt das Postulat, vom Ständerat wurde es in der Sommersession stillschweigend angenommen.

Der nationale Dachverband Fids indes reagiert skeptisch. Pascal Gemperli befürchtet, dass dadurch Imame unter einen Generalverdacht gestellt werden. Zudem kämen die Vorschläge einer Sonderbehandlung des Islams gleich. «Alle Religionen müssen gleichbehandelt werden.»



Waadt geht eigenen Weg

Eine eigene Lösung hat der kantonale Verband in Waadt gesucht. Waadtländer Moscheen können seit wenigen Wochen Gastprediger durch eine Bundesstelle einer Sicherheitsprüfung unterziehen lassen.

In den letzten Jahren war die Waadtländer Union der muslimischen Verbände (Uvam) immer wieder mit umstrittenen Predigern konfrontiert. Jüngst machte Scheich Béchir Ben Hassen, der 2015 und 2018 in einer Moschee bei Lausanne das Freitagsgebet hielt, Schlagzeilen. Er soll die Anschläge auf die Redaktion von Charlie Hébdo gerechtfertigt haben.

«Das Konzept dient dem Eigenschutz»

Pascal Gemperli
Pascal Gemperli, president de l'UVAM, Union Vaudoise des Associations Musulmanes, pose pour le photographe pendant une visite a l'occasion de la creation d'un espace confessionnel destine aux defunts de religion musulmane au Cimetiere du Bois-de-Vaux, lors d'une conference de presse, ce mercredi, 25 mars 2015, a Lausanne. (KEYSTONE/Jean-Christophe Bott)
KEYSTONE

Pascal Gemperli (43) ist 2005 zum Islam konvertiert. Er präsidiert den muslimischen Verband des Kanton Waadts (Uvam) und vertritt den nationalen Dachverband Fids vor den Medien, wo er auch gern in den Medien als «Vorzeigekonvertit» gehandelt wird. Zudem sitzt er für die Grünen im Waadtländer Gemeinderat. 

Gemperli war an der Initiierung des Modells beteiligt. Er präsidiert neben seiner Tätigkeit beim Schweizer Dachverband Fids den kantonalen Verband Uvam. «Das Konzept dient auch dem Eigenschutz», einerseits für die Moscheen: Sie könnten damit belegen, dass sie alles in ihrer Macht unternommen hätten.

Eigenschutz biete es aber auch dem Verband, der bei den Vorfällen häufig als Sprachrohr diene: Den Moscheen sei klar kommuniziert worden, dass der Verband in Zukunft keine Verantwortung mehr übernehmen werde, sagt Gemperli. «Bisher wurde dieses Angebot noch nicht genutzt, dafür ist es zu neu», sagt Gemperli.

Begrüsst wird diese Möglichkeit von Hansjörg Schmid, Direktor des Schweizerischen Zentrums für Islam und Gesellschaft. Das Zentrum wurde 2015 infolge der Minarett-Intiative an der Universität Freiburg eingerichtet, um den Dialog zwischen Wissenschaft, Religion und Gesellschaft zu stärken. «Es ist nachhaltiger, die Selbstverantwortung der Religionsgemeinschaften zu fördern, als dass immer der grosse Papa Staat kontrollieren muss», sagt Schmid. 

Waadt will staatliche Anerkennung

Die Kooperation mit dem Staat stärken will auch der kantonale Verband Uvam. Erster Ansprechpartner ist dabei der Kanton. Für die Regelung des Verhältnisses von Staat und Religion sind die Kantone zuständig.

Öffentlich-rechtlich anerkannte Religionsgemeinschaften

  • Evangelisch reformierte Kirche (in allen Kantonen ausser Genf und Neuenburg)
  • Römisch-katholische Kirche (in allen Kantonen ausser Genf und Neuenburg)
  • Christkatholische Kirche (Aargau, Basel-Landschaft, Basel-Stadt, Bern, Luzern, Sankt Gallen, Schaffhausen, Solothurn und Zürich)
  • Jüdische Gemeinden (Basel-Stadt, Bern, Freiburg und Sankt Gallen)

Der kantonale Verband hat ein grosses Ziel: Er will sich staatlich anerkennen lassen – ein Novum in der Schweiz. Bisher sind vor allem christliche und jüdische Gemeinschaften anerkannt. Ausnahme sind die Aleviten im Kanton Basel-Stadt: Sie verfügen über eine sogenannte kleine Anerkennung, deren Rechte, aber auch Pflichten, weniger weit gehen wie jene der öffentlich-rechtlichen.

Eine kleine Anerkennung strebt auch der Kanton Waadt an. «Diese Anerkennung wäre wie ein Stempel, der uns als gesellschaftskompatibel auszeichnet – und auch unsere Imame», sagt Gemperli dazu. Dadurch könnte auch Hinterhofmoscheen indirekt das Handwerk gelegt werden.

Kaum neue Religionsgemeinschaften anerkannt

In vielen Kantonen ist der rechtliche Weg komplett versperrt: Es wäre eine kantonale Verfassungsänderung nötig, um neue Religionsgemeinschaften anerkennen zu können. In den Kantonen St. Gallen und Bern sind in den letzten Jahren Verfassungsänderungen in diesem Punkt sistiert worden.

«Leider ist die Politik in vielen Kantonen für diesen Schritt noch nicht bereit», sagt Gemperli. Die Kantone würden die Diskussion lieber meiden. «Es geht um die emotionale Frage, ob der Islam als Teil unserer Gesellschaft akzeptiert wird oder nicht», sagt Gemperli.

Die Integration der muslimischen Religionsgemeinschaften sei aber auch auf einer praktischen Ebene möglich, betont Gemperli und verweist auf den Kanton Zürich. 2017 wurde dort eine muslimische Seelsorge etabliert, nächstes Jahr soll eine kantonale Ausbildung für Imame folgen (siehe Teil 3), eine rechtliche Anerkennung war dafür nicht nötig.  

«Schlussendlich braucht es die Zusammenarbeit, um die Integration zu fördern. Ob dies auf gesetzlicher Ebene oder nur auf der praktischen Ebene geschieht, ist letzten Endes nicht relevant», sagt Gemperli.

Gibt das mehr Geld vom Staat?

In der Waadt erhofft man sich von der Anerkennung auch finanzielle Erleichterung. Es bestehe die Möglichkeit, dass der Staat Aufgaben wie Seelsorge oder Extremismusprävention, die im öffentlichen Interesse sind, mit Fördergeldern unterstützt, erklärt Gemperli. «Die Miete der Moschee oder der Lohn des Imams werden aber nicht vom Staat übernommen.»

Religionsgemeinschaften mit kleiner Anerkennung

  • Evangelisch reformierte Kirche (Genf und Neuenburg)
  • Römisch-katholische Kirche (Genf und Neuenburg)
  • Christkatholische Kirche (Genf und Neuenburg)
  • Jüdische Gemeinden (Waadt und Zürich)
  • Basler Gemeinde der Christengemeinschaft (Basel-Stadt)
  • Neuapostolischen Kirche  (Basel-Stadt)
  • Alevitische Vereine (Basel-Stadt)

Dadurch könne auch der Job des Imams finanziell attraktiver werden, der häufig auch ehrenamtliche Arbeit enthält. Gemperli kann sich vorstellen, dass dadurch auch die Abhängigkeit von ausländischer Finanzierung gemindert werden kann.

Bis der Entscheid über die Anerkennung fällt, kann es aber noch Jahre dauern. Gemperli: «Wir gehen davon aus, dass der Prozess bis mindestens 2027 dauert.»