Explosion in Beirut Werden benötigte Staatsgelder in die Schweiz verschoben?

Von Julia Käser

7.8.2020

Nach der Explosion im Libanon bleibt die Kritik an den politischen Eliten laut. Sie sollen schmutzige Gelder verschoben haben – auch in die Schweiz. Ein Politiker erhebt jetzt Vorwürfe gegen den Bundesrat. 

Der Libanon steht vor dem Staatsbankrott, eine Hungerkrise droht und auch die politische Lage ist alles andere als stabil: Wiederholt wird das Land von Unruhen und Protesten eingeholt. Nun hat die tödliche Explosion in Beirut vom Dienstag das Land noch tiefer in die Krise gestürzt. 

Die Zerstörung ist enorm, doch Geld für den Wiederaufbau fehlt. Das durch die Coronapandemie geforderte und ohnehin schon marode Gesundheitssystem ist überlastet. Vor diesem Hintergrund wird die Verzweiflung der Bevölkerung grösser – und lässt ihre Wut auf die als korrupt geltende Regierung weiter wachsen. 

So ist es in der Nacht auf Freitag zu Protesten vor dem Parlamentsgebäude in Beirut gekommen, wie sie seit Oktober 2019 schon fast an der Tagesordnung stehen. Nebst Korruption wird der politischen Elite auch die Verschwendung von Staatsgeldern vorgeworfen. 

Mehr als zwei Milliarden Dollar auf Schweizer Konten?

Die Bevölkerung prangert unter anderem an, dass die unrechtmässig erworbenen Vermögenswerte ins Ausland transferiert würden – auch in die Schweiz. Laut lokalen Medienberichten sollen seit Herbst 2019 libanesische Gelder im Wert von über zwei Milliarden Dollar auf Schweizer Bankkonten überwiesen worden sein.

Geld, das im Libanon nun zum Wiederaufbau fehlt?

«Ja», sagt Nationalrat Fabian Molina (SP). Doch die Explosion sei in dieser Hinsicht bloss die Spitze des Eisbergs. «Im Libanon leben zwei Millionen Flüchtlinge aus Syrien und Palästina – das Geld wird längst dringend benötigt.» Im März hat er im Parlament deshalb eine Interpellation eingereicht, in der er den Bundesrat dazu auffordert, Stellung zu nehmen. Das tat er.

Dieser verwies in seiner Antwort darauf, dass die libanesischen Behörden der Sache nachgehen würden. Im Januar habe die Schweiz ein entsprechendes libanesisches Rechtshilfeersuchen erhalten. Das Leisten von Rechtshilfe ist eine Möglichkeit, Gelder aus illegalen Tätigkeiten zu blockieren.

Auf Anfrage bestätigt das Bundesamt für Justiz (BJ) den Erhalt eines entsprechenden Gesuchs. Dieses habe man geprüft und sei zum Schluss gekommen, dass zusätzliche Informationen notwendig seien, um gegebenenfalls Rechtshilfe leisten zu können, so Sprecherin Ingrid Ryser.

Darum habe man die libanesischen Behörden denn auch gebeten. «Das Bundesamt für Justiz wartet nun auf eine Antwort.» 

«Bevölkerung sollte bloss beruhigt werden»

Dass das Rechtshilfeersuchen lückenhaft ist, erstaunt Molina nicht. «Schliesslich haben die libanesischen Behörden kein Interesse daran, dass das Geld wirklich blockiert wird.» Seiner Auffassung handelt es sich demnach eher um eine Alibiübung seitens libanesischer Staatsführung. «Es ist Reaktion auf die Massenproteste. Das Ziel war es bloss, die Bevölkerung zu beruhigen.» 

Eine weitere Möglichkeit, Vermögenswerte zu sperren, bietet das Potentatengeldergesetz. Damit der Bundesrat eine solche Sperre anordnen kann, müssen vier Bedingungen erfüllt sein.

Bedingungen, damit Vermögenswerte gesperrt werden können:

  • Im Herkunftsstaat muss die Regierung die Kontrolle verloren haben.
  • Der Korruptionsgrad muss notorisch hoch sein.
  • Die Gelder müssen wahrscheinlich durch Korruption erworben sein.
  • Die Sperrung der Wahrung der Interessen der Schweiz dienen.

Laut Molina sind die ersten drei Bedingungen zweifelsohne gegeben. «Die Korruption ist offensichtlich.» Dass die Regierung die Kontrolle verloren hat, trifft laut dem Nationalrat auch zu. «Saad Hariri, der zu Beginn der Proteste Ministerpräsident war, ist längst zurückgetreten.» 

Das Problem liege folglich beim viertem Punkt: dem Interesse der Schweiz. Molina spricht von einem Gummi-Paragrafen. Gemeinsam mit Rechtsexpertinnen und -experten sei er diesem nachgegangen. Man sei zum Schluss gekommen, dass dem Vorhaben, rechtlich gesehen nichts im Wege stehe. 

Alles eine Frage der Politik? 

Molina: «Letztendlich ist die Frage, ob die libanesischen Gelder blockiert werden sollen, politischer Natur.» Heisst: Wenn er wollte, könnte der Bundesrat die Vermögenswerte sperren. «Alles, was man tun kann, ist politischen Druck auszuüben», sagt Molina.  

Der Bundesrat sieht das Ganze offensichtlich anders. Im Mai antwortete er Molina: «Nach sorgfältiger Prüfung der Situation im Libanon ist der Bundesrat der Ansicht, dass diese Voraussetzungen nicht kumulativ erfüllt sind.» Man verfolge die Entwicklung im Libanon weiter. 

Auf Nachfrage von «Bluewin» heisst es beim zuständigen Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA), man habe der Antwort des Bundesrats nichts hinzuzufügen.

Ansetzen sollte man laut Molina idealerweise viel früher: beim Geldwäschereigesetz. «Die Banken sind dazu verpflichtet, nur Gelder aus legalen Tätigkeiten anzunehmen.» Handle es sich bei den Vermögenswerten aus dem Libanon tatsächlich um illegale Gelder – und davon gehe mit grosser Sicherheit er aus, so Molina – hätten die Banken geschlampt.

Experte will die Banken in die Pflicht nehmen

«Es braucht eine bessere Aufsicht und höhere Strafen für Banken, die ihre Pflicht nicht wahrnehmen», fordert der SP-Politiker. Doch dieses Anliegen fand diesen Frühling im Parlament keine Mehrheit. Eine Verschärfung des Geldwäschereigesetzes wurde im März vom Nationalrat abgeschmettert. 

Die Banken in die Pflicht nehmen – das fordert auch Korruptionsexperte Mark Pieth. Es gelte abzuklären, wer über das Geld verfüge. Stamme das Geld von Politikern, sei es auf jeden Fall suspekt. Das sagt Pieth im Hinblick auf die 2 Milliarden Dollar, die auf Schweizer Bankkonten liegen sollen. 

«Haben die Schweizer Banken das Gefühl, dass es sich um Geldwäscherei handelt, müssten sie das gemäss Artikel 9 des Geldwäschereigesetzes melden», erklärt der Experte. 

Der diplomatische Weg über die Politik sei aussichtslos. «Die alte Regierung war korrupt, die neue ist es auch.» Folglich könne der Bundesrat über den offiziellen Weg in dieser Sache kaum etwas erreichen. Pieth: «Die Mitglieder der politischen Elite haben ja eben gerade ein Interesse daran, dass das Geld hier parkiert ist –, um es vor dem Verfall des libanesischen Pfundes zu schützen.»

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