Corona-Demos Wie der Extremismus den Anschluss an die Mitte der Gesellschaft sucht

Von Julia Käser

2.10.2020

Ein Teilnehmer auf der Demonstration gegen die Corona-Beschränkungen in Berlin mit einer Fahne, auf der verschiedene Symbole aus einem Roten Kreuz ein Hakenkreuz formen.  
Ein Teilnehmer auf der Demonstration gegen die Corona-Beschränkungen in Berlin mit einer Fahne, auf der verschiedene Symbole aus einem Roten Kreuz ein Hakenkreuz formen.  
Bild: Keystone

Nazi-Symbole und Angriffe auf die Polizei: Immer wieder mischen sich extremistische Gruppierungen unter friedliche Protestbewegungen. Welche Gefahr geht von ihnen aus? 

In den letzten Wochen liessen Bilder von Reichsflaggen und Nazi-Symbole an Kundgebungen gegen die Coronamassnahmen in Deutschland aufhorchen. Im Juni machten Handyaufnahmen von einer Black-Lives-Matter-Demonstration die Runde, die gezielte Attacken auf die Polizei zeigten. 

Seien es Rechtsextreme, die für Corona-Kundgebungen mobilisieren, oder Linksextreme, die an Black-Lives-Matter-Demos mittun: Vermehrt unterwandern extremistische Gruppierungen friedliche Protestbewegungen. Das zumindest hält der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) gegenüber SRF fest. 

Auch Dirk Baier, Leiter des Instituts für Delinquenz und Kriminalprävention der ZHAW, beobachtet, wie sich extremistische Bewegungen wiederholt unter friedliche Demonstrantinnen und Demonstranten mischen. Er erkennt darin den Versuch, Personen von der eigenen Sache zu überzeugen –, «um damit mehr gesellschaftliche Schlagkraft und Anschluss an die breite Mitte der Gesellschaft zu erhalten».

Corona macht die Menschen anfälliger für Extremismus

Gerade in Krisenzeiten seien viele Menschen verunsichert. Die Verunsicherung der eigenen Weltbilder und der eigenen Identität führe zu einer Suchbewegung, sagt Baier zu «blue News». Kurz: Es wird nach neuem Halt gesucht. In diesem Zustand sei man anfälliger für eine Radikalisierung: «Extremismus bietet eindeutige Weltbilder, etwa Freund-Feind-Schilderungen. Er ist also sehr gut dazu geeignet, Sicherheit zu geben.»

Baier warnt aber auch vor zu schnellen Schlüssen. Das alleine führe nicht gleich dazu, dass extremistische Gewalt in Krisen zunehme: «Der Radikalisierungsschritt hin zu Gewalt hat noch weitere Gründe, einen Anschluss an eine radikale Gruppierung zum Beispiel.»

Nichtsdestotrotz geht von Demonstrationen, an denen extremistische Gruppen mitmischen eine bestimmte Gefahr aus. Denkt man etwa daran, wie rechtsgesinnnte Teilnehmende einer Coronademo in Berlin kürzlich versuchten, den Reichstag zu stürmen. «Solche Gruppierungen könnten Demonstrationen dazu nutzen, symbolische Aktionen auszuführen, von denen sie wissen, dass sie medial verbreitet werden», kommentiert Baier.

Extremistische Gruppierungen agieren im Verborgenen

In der Schweiz sei eher nicht mit solch einer Eskalation des Geschehens zu rechnen. Gemäss Baier agieren die extremistischen Gruppierungen hier vor allem im Verborgenen. «Unter anderem versuchen sie, Gespräche mit Demo-Teilnehmern zu führen und sie zu überzeugen.» Die Gefahr liegt demnach im Versuch, einzelne Personen abzuwerben. 

Wie erfolgversprechend ist dieses Vorgehen? Baier bezweifelt, dass es extremistischen Gruppen im grossen Stil gelingt, Personen von ihrer Sache zu überzeugen. So liessen sich die Teilnehmenden von Black-Lives-Matter-Demos zwar links im politischen Spektrum verorten –, dass sie sich zum Linksextremismus hingezogen fühlten, sei jedoch zu bezweifeln.

Dasselbe gelte für die Corona-Demonstranten: «Diese sind sehr heterogen in ihren Motiven, sodass ich nicht davon ausgehe, dass sie mehrheitlich offen für rechtsextreme Angebote sind», sagt der Experte. 

Linksextremismus aktiver als Rechtsextremismus

Trotzdem sei davon auszugehen, dass gerade rechte Gruppierungen durch die Coronapandemie einen Zulauf an Personen verzeichneten. Dies aufgrund der kursierenden Verschwörungstheorien, die teils ein fremdenfeindliches Element enthielten: «Beispielsweise wird ein Bezug zu antisemitischen Narrativen hergestellt – was zum Weltbild des Rechtsextremismus passt.» 



Der Linksextremismus hingegen erhalte bis jetzt keinen Auftrieb durch die Coronakrise –, obwohl dieser in Schweiz momentan aktiver sei als der Rechtsextremismus. «Der Linksextremismus führt meist Gewalt gegen Sachen aus. Das ist Teil der Strategie: Es sollen die Abläufe in der Gesellschaft gestört werden, Symbole der verfeindeten Ordnung angriffen werden – zum Beispiel Banken.» Für solch eine Strategie fänden sich in der Schweiz viele Ziele, sagt Baier.

Diese Präsenz des Linksextremismus verdeutlichen die Zahlen des Nachrichtendienstes. 2018 hat der NDB 226 Ereignisse im Bereich des gewalttätigen Linksextremismus registriert. Gegenüber 2017 entspricht das einer Steigerung von 13 Prozent. 

Mehr Fälle im Bereich des gewalttätigen Rechtsextremismus

Aber auch die Anzahl an gewalttätigen rechtsextremistisch motivierten Ereignissen hat in der Schweiz zugenommen. So sind dem NDB für 2018 53 Ereignisse im Bereich des gewalttätigen Rechtsextremismus bekannt. Dies bedeutet mehr als eine Verdreifachung gegenüber dem Vorjahr.

Der Rechtsextremismus sei im Gegensatz zum Linksextremismus «menschenfeindlich, in dem er verschiedenen Personengruppen das Recht auf Leben in der Schweiz abstreitet», sagt Experte Baier. Selbst wenn die Behörden die radikalisierten rechtsextremen Milieus aktuell unter Kontrolle hätten, bedeutet das nicht, dass das immer so bleibe: «Eine Gefahr der Radikalisierung vorhandener rechtsextremer Personen und Szenen gibt es auch in der Schweiz.»

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