Brasilien Amazonas am Scheideweg

AP

14.12.2019

Ein Teil des Amazonas-Regenwaldes neben Sojafeldern. Die massenhafte Abholzung 2018/2019 ist laut WWF die höchste seit 2008 — damals wurden mehr als 12'000 Quadratkilometer Regenwaldgebiet im Amazonas zerstört.
Ein Teil des Amazonas-Regenwaldes neben Sojafeldern. Die massenhafte Abholzung 2018/2019 ist laut WWF die höchste seit 2008 — damals wurden mehr als 12'000 Quadratkilometer Regenwaldgebiet im Amazonas zerstört.
Bild: Leo Correa/AP/dpa

Lastwagen mit Holz, Getreide und Sojabohnen: Auf der Strasse Transamazônica in Brasilien herrscht reger Frachtverkehr. Präsident Bolsonaro lässt die Infrastruktur weiter ausbauen. Umweltschützer befürchten noch mehr Abholzung.

Bei Anbruch der Dunkelheit tauchen zwei Holzlaster ohne Kennzeichen aus dem Dschungel auf. Sie rumpeln über Schotterstrassen im brasilianischen Amazonasgebiet, die von einem Nationalforst wegführen. Geladen habe sie jahrhundertealte Baumstämme. Die Fahrer biegen auf eine dunkle Landstrasse ab und von dort auf einen Abzweig in den Wald, wo sie ihre Fracht ausliefern. Bis zum Morgen sind die Stämme zum Zerhacken ausgelegt an der abgelegenen Sägemühle.

Zwei zusammen mehr als 8000 Kilometer lange Schneisen wurden während der Militärdiktatur in den 1970er Jahren in den Dschungel geschlagen. Das hat die Industrie in den abgelegenen Teil der Region Pará gebracht — und die Abholzung. Die Einheimischen sorgen sich, dass sie dabei zerrieben werden.

Traum von der Kolonisation

Die Schnellstrassen treffen sich zuerst in der Stadt Ruropolis. Die Militärregierung versprach hier einst Land, um Menschen in eine geplante landwirtschaftliche Gemeinde zu locken. Der 53-jährige Hilquias Soares erinnert sich an einen Regierungsbeamten, der in seinem Heimatort ausrief: «Wer will nach Pará gehen?»

Seine Familie ergriff die Chance und traf kurz nach der Einweihung der Ortschaft durch Präsident Emílio Médici hier ein. In Archivaufnahmen ist zu sehen, wie Médici ein Schild enthüllt mit der Aufschrift: «Das brasilianische Volk reagiert auf die Herausforderung der Geschichte und besetzt das Herz der Amazonasregion.» Kinder spielen auf Wippen und zeigen T-Shirts mit Aufdrucken der sich kreuzenden Strassen, die sich über die Breite des Landes erstrecken.

Ein Baumstamm steht auf einem verbrannten Feld.
Ein Baumstamm steht auf einem verbrannten Feld.
Bild: Leo Correa/AP/dpa

Der 69-jährige Bewohner Dedé Diniz erinnert sich: «Es gab einen Traum der Kolonisation, Land zu bekommen und zu sehen, ob wir hier bessere finanzielle Bedingungen haben können.»

Der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro hatte die Wahl im vergangenen Jahr mit Unterstützung von Bauern, Truckern und Bergarbeitern gewonnen. Er liess den Wunsch aus der Zeit der Diktatur wieder aufleben, im grössten tropischen Regenwald der Welt Bauprojekte voranzutreiben.

Doch seine Ankündigung kommt in einer anderen Phase der Menschheitsgeschichte: Heute haben Wissenschaftler erkannt, dass der um 20 Prozent geschrumpfte Amazonas-Wald angesichts von Klimawandel und Kohlenstoffbelastung unverzichtbar ist. Einige sind sogar der Meinung, dass sich Amazonien einem irreversiblen Wendepunkt nähert. Insofern befindet sich Brasilien selbst an einem Scheideweg.

Überlastete Strassen

Von Ruropolis aus verlaufen die Transamazônica und die BR-163 gemeinsam Richtung Westen, bevor sie sich nach etwa 110 Kilometern an einem kleinen Kreisel trennen. Während der Mais- und Sojaernte fahren hier täglich 2600 Lastwagen auf dem Hin- oder Rückweg zum nahegelegenen Fluss Tapajós durch.

Dort fahren die Lkws in Umschlaghäfen. Getreide wird zunächst auf Lastkähne und nach mehrtägiger Fahrt flussabwärts auf Schiffe verladen und dann in die ganze Welt verschickt, vor allem nach China.

Seit Bolsonaros Amtsantritt vor einem Jahr wurde nach Jahrzehnten der Verzögerung der Sojakorridor auf der BR-163 zur Transamazônica vollständig gepflastert. Es soll nur der Anfang sein von einer Serie von Projekten zur Entwicklung der Region, wie Infrastrukturminister Tarcísio de Freitas ankündigte. Dazu gehört unter anderem eine drei Milliarden Dollar teure Getreide-Bahnlinie parallel zur BR-163, um die Strasse zu entlasten. Die Regierung wirbt dafür um ausländische Investoren.

Ein totes Gürteltier liegt auf einem Weg nahe Itaituba. Laut WWF ist die Entwaldung im Amazonas außer Kontrolle geraten.
Ein totes Gürteltier liegt auf einem Weg nahe Itaituba. Laut WWF ist die Entwaldung im Amazonas außer Kontrolle geraten.
Bild: Leo Correa/AP/dpa

Bessere Anbindung

Die beiden Schnellstrassen erschlossen den Regenwald. Aus der Luft betrachtet ist die Landschaft auf beiden Seiten von gezackten Stichen aus gerodetem Wald durchsetzt. Doch die Strassen selbst und die bessere Anbindung sind nach Angaben von Umweltschützern nicht das Problem. Besorgniserregend sei vielmehr, dass sich durch Bolsonaros Rhetorik illegale Rodungen verstärkt hätten, erklärt Paulo Barreto, Forstingenieur und Forscher der Umweltgruppe Imazon.

Zudem sabotiere die Regierung die Arbeit ihrer eigenen Umweltbehörde, beklagt er: «Wenn das so weitergeht, wird die Abholzung in der Gegend explodieren.»

Nach offiziellen Angaben stieg die Entwaldung in der Amazonasregion in den zwölf Monaten bis Juli um fast 30 Prozent auf den höchsten Stand seit elf Jahren. 40 Prozent der Verluste entfallen allein auf den Staat Pará und konzentrieren sich auf Gebiete an der Transamazônica und der BR-163.

Die Uhr tickt. Schon jetzt wird die Region wärmer und trockener und verliert ihre Kapazität zur Wasseraufbereitung, wie der Klimawissenschaftler Carlos Nobre von der Universität von São Paulo erklärt. In 15 bis 30 Jahren könnte der grösste Teil zur Savanne werden.


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