Angst vor Virus-Auswüchsen Amerikaner kaufen Regale in Waffenläden leer

AP

19.3.2020

Virus-Ängste haben in vielen Teilen der Welt zu Hamsterkäufen und leeren Regalen in Supermärkten geführt. Aber in den USA glauben so manche, dass sie auch anders vorsorgen müssen.

Im grössten Waffenladen der Welt in Atlanta drängen sich die Kunden an den Tresen. Vor einem Geschäft in Los Angeles zieht sich die Warteschlange einen Strassenblock entlang. Ein Waffenladen in Idaho hat seine Waren rationiert, nachdem sie ihm fast ausgegangen waren. Das sind nur wenige Beispiele von vielen.

In den USA haben von Coronavirus-Ängsten angetriebene Einwohner nicht nur viele Regale in Supermärkten leergefegt: Auch der Ansturm auf Waffen und Munition hat deutlich zugenommen. Ladenbesitzer führen das auf die Sorge zurück, dass Menschen zunehmend verzweifelt und unberechenbar werden — und so wollten denn die Waffenkäufer sicherstellen, dass sie sich im Fall der Fälle schützen könnten.

Aussergewöhnlicher Ansturm

«Es ist verrückt», sagt Jay Wallace in Smyrna (US-Staat Georgia). Sein Geschäft Adventure Outdoors hat in der jüngsten Zeit fünfmal so viel Munition verkauft wie sonst üblich. Auch andere Branchenexperten sprechen von einem aussergewöhnlichen Ansturm binnen weniger Tage. Demnach sind einige Kunden Erstkäufer, andere legen sich zusätzliche Waffen zu oder einen Vorrat an Munition an — offenbar zunehmend alarmiert oder in Panik, nachdem Supermärkte teilweise leergekauft, Schulen geschlossen und alle grössere Veranstaltungen abgesagt worden sind.

In langen Schlangen zum Waffenkauf — als ob man einen Virus erschiessen könnte. 
In langen Schlangen zum Waffenkauf — als ob man einen Virus erschiessen könnte. 
Ringo H.W. Chiu/FR170512 AP/dpa

Möglicherweise spielt auch etwas die Sorge hinein, dass mancherorts versucht werden könnte, den Zugang zu Handfeuerwaffen einzuschränken. So hat kürzlich eine Bürgermeisterin in Illinois eine Anordnung unterzeichnet, die ihr das Recht geben würde, den Verkauf von Waffen und Munition zu verbieten. Einen ähnlichen Schritt hatte zuvor auch die Bürgermeisterin von New Orleans (Louisiana) unternommen.

Protest gegen Waffengewalt in Parkland, wo ein 19-Jähriger 14 Jugendliche und drei Erwachsene erschossen hatte.
Protest gegen Waffengewalt in Parkland, wo ein 19-Jähriger 14 Jugendliche und drei Erwachsene erschossen hatte.
Joe Skipper/AP

Konkrete Daten über die Verkäufe dürften erst im April vorliegen. Aber die Zahl der Kunden-Überprüfungen, die vor dem Erwerb einer Waffe vorgeschrieben sind, ist ein Indiz für den Anstieg. Nach Angaben der Bundespolizei FBI gab es im Januar und Februar insgesamt gut 5,5 Millionen — deutlich mehr als im Vergleichszeitraum 2019. Zwar nehmen in den USA die Waffenkäufe in Wahljahren generell zu, und 2020 fällt in diese Kategorie. Aber die Zahl der Überprüfungen liegt auch um fast 350'000 höher als die im Januar und Februar 2016 — ebenfalls ein Wahljahr.

«Ich habe angefangen zu sehen, wie sich Leute merkwürdig verhalten»

Betsy Terrell aus Decatur in Georgia hat nach eigenen Angaben schon seit Jahren überlegt, ob sie sich eine Schusswaffe zulegt. Nun hat sie sich dazu entschlossen — nachdem sie das Chaos in einem örtlichen Grosshandelsgeschäft sah, in denen Hamsterkäufer mit zum Überlaufen gefüllten Einkaufswagen Schlange standen. Die 61-Jährige findet, dass es in ihrer Umgebung schon genug Kriminalität gibt und befürchtet, dass es noch schlimmer wird, sollte die Corona-Pandemie die Wirtschaft zum Absturz bringen.

«Ich habe angefangen zu sehen, wie sich Leute merkwürdig verhalten», schildert Terrell. «Ich habe das Gefühl, dass es zu einem politischen Aufruhr kommen könnte ... Es macht mir Angst. Es ist erst jetzt, dass ich diese überwältigende Notwendigkeit verspüre, mich zu bewaffnen, um mich selbst zu schützen.»

Und so hat sich die Amerikanerin denn auf den Weg zum Waffengeschäft Cabela's gemacht — und war schockiert, als sie die Kundenschlange dort sah. Viele Waffen und ein Teil der Munition waren ausverkauft, aber sie konnte doch noch eine Glock 42 erstehen. «Wenn sie in meinem Nachtisch liegt, wenn ich sie niemals anfasse, bin ich glücklich darüber», sagt Terrell. Viele ihrer Freunde sind gegen privaten Waffenbesitz, und sie selbst ist etwas überrascht, dass sie sich zum Kauf entschlossen hat: «Ich habe eine Linie durchbrochen, von der ich dachte, dass ich sie niemals durchbrechen werde.»



Im Sportsmen's Warehouse in Meridian (Idaho) waren kürzlich einige Regale fast leer. Kunden wurden auf Schildern darüber informiert, dass nicht mehr als zwei Handfeuerwaffen pro Person am Tag verkauft würden. Der Laden Retting Guns im kalifornischen Culver City gab am vergangenen Freitag auf Facebook bekannt, dass hier noch genügend Waffen und eine gute Menge Munition zu haben seien. Prompt standen am Wochenende Kunden Schlange — vom Eingang den Strassenblock herunter.

«Das ist Panik»

Ed Turner ist Eigentümer von Ed's Public Safety in Stockbridge (Georgia). Er hat zwar keine Kunden erlebt, die verzweifelt «ihre Arme hochgeworfen und geschrien haben, dass das Ende der Welt da ist», sagt er. Aber er hat fünfmal mehr verkauft als sonst. «Der schlechteste Tag an der Börse seit 1987 und Regale, die leer werden — das hat anscheinend bei jedem Aufmerksamkeit erregt», sagt er mit Blick auf Rekordkursstürze an der Wall Street.

In seinen 27 Jahren im Geschäft hat Turner «niemals so etwas erlebt», sagt er. «Das ist Panik. Das ist ‹Ich werde nicht in der Lage sein, meine Familie vor den Horden und lebenden Toten zu schützen›», fügt er mit Blick auf die Zombie-Serie «The Walking Dead» hinzu.


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