Drohender Bergsturz Brienzer Rutsch bleibt trotz präziser Überwachung unberechenbar

SDA, gbi

17.5.2023 - 15:00

Vier Systeme überwachen Berg über evakuiertem Bergdorf Brienz

Vier Systeme überwachen Berg über evakuiertem Bergdorf Brienz

Der abrutschende Berg über dem evakuierten Bündner Bergdorf Brienz dürfte laut den involvierten Experten der bestüberwachte in der Schweiz sein. Vier verschiedene Systeme und 90 Messpunkte überwachen die Bewegung des abrutschenden Berghangs millimetergenau.

17.05.2023

Der Hang oberhalb des Bergdorfs Brienz GR wird mit Hightech-Systemen überwacht. Darum weiss man: Die problematische «Insel» rutscht aktuell mit 20 Zentimeter am Tag ab. Wann sie abbricht, ist trotzdem unklar.

17.5.2023 - 15:00

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die Experten des Frühwarndienstes haben auf einer Medienkonferenz informiert, wie der Berghang in Brienz überwacht wird. 
  • Gleich vier Systeme sind im Einsatz, um die Bewegung der abrutschenden Gesteinsmassen zu registrieren.
  • Derzeit bewegt sich der kritische Teil des Berghangs rund 20 Zentimeter am Tag.
  • Das wahrscheinlichste Szenario sind derzeit mehrere kleinere Felsstürze.
  • Der Prozess dürfte laut Prognose in den nächsten drei bis 20 Tagen in Gang kommen. 
  • Mehr zur aktuellen Situation erfährst du in unserem Ticker.

Der abrutschende Berghang Brienz GR dürfte der am besten überwachte in der ganzen Schweiz sein: Das unterstrichen die zuständigen Fachleute an einer Medieninformation vom Mittwoch in Chur. Vier verschiedene Systeme mit 90 Messpunkten registrieren die Bewegung der abrutschenden Gesteinsmassen millimetergenau.

Aktuell liegt die Bewegung des kritischen Teils des Berghangs, der sogenannten «Insel», bei 20 Zentimetern am Tag, wie Stefan Schneider, Leiter des installierten Frühwarndienstes, vor den Medien ausführte.

Trotz genauster Überwachung: In welcher Form und wann genau die Gesteinsmassen auf das evakuierte Bergdorf niedergehen, muss sich zeigen. Aktuell würden die Modellrechnungen einen Felssturz – oder schlimmstenfalls Bergsturz – in drei bis 20 Tagen prognostizieren.

Drei Szenarien sind denkbar

Das wahrscheinlichste Szenario seien mehrere kleinere Felsstürze, die den Gebäuden im Dorf nur kleine Schäden zufügen sollten. Möglich sei aber ausserdem ein grosser, zäher Niedergang, oder – das schlimmste Szenario – eine rascher, besonders zerstörerischer Bergsturz.

Erwartet wird der Abbruch von bis zu zwei Millionen Kubikmetern Gestein, was einem Volumen von rund 2000 Einfamilienhäusern entspricht. Unvorstellbare Massen sind das. Christan Gartmann, der Kommunikationsverantwortliche der Gemeinde, erklärte für blue News kürzlich, wie man sich das vorstellen muss.

Christian Gartmann erklärt den Bergsturz von Brienz

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Der Frühwarndienst der Gemeinde Albula/Alvra, zu der Brienz gehört, beobachtet seit Längerem die Bewegungen des Brienzer Rutsches und berät den Gemeindeführungsstab. Vorgesehen ist, unmittelbar vor einem Abbrechen mehrere Strassen und die Albula-Bahnlinie der RhB zu sperren.

Für die Überwachung des Rutschhangs ist ein fünfköpfiges Geologen-Team unter der Leitung von Schneider zuständig. Dieses befand sich am Mittwoch im höchsten Bereitschaftsgrad. Eine Geologin und vier Geologen werteten mehrmals täglich «von Hand» die Daten der vier Überwachungssysteme aus. «Es ist Mathematik im Hintergrund, aber man muss die Resultate kritisch hinterfragen», erklärte Schneider.

Für die Geologen sei nicht die absolute Rutschgeschwindigkeit der zentrale Faktor, sondern die Art des Geschwindigkeitszuwachses. Steigt das Rutschtempo exponentiell, schauen sie genau hin.

Kameras, Radar, GPS und Tachymeter

Im Einsatz stehen vier verschiedene Technologien. Ein Geo-Radar überwacht die Bewegung des Berghanges ganzflächig. Ein im Dorf stehendes Tachymeter misst die Bewegung von Reflexionspunkten, die am Berg angebracht wurden. Weitere Daten liefern GPS-Stationen. Und schliesslich sind zwei hochauflösende Kameras auf die rutschende Bergflanke über dem 84-Seelen-Dorf gerichtet.

Zusätzlich ist für die Sicherheit der Strasse unterhalb der Rutschung ein Steinschlagradar installiert. Dieses registriert herabkullernde Felsblöcke und sperrt jeweils automatisch die Strasse.

Das sei die einzige automatisierte Massnahme rund um den Brienzer Rutsch, erklärte Schneider. Alle anderen Entscheidungen würden von Menschen getroffen. Nebst dem Geologenteam des Frühwarnsystems und dem Gemeindeführungsstab sind auch Fachleute des Kantons

Gemeinde ist evakuiert

Seit vergangenem Freitag um 18 Uhr ist Brienz komplettt evakuiert, es gilt die Gefahrenstufe Rot. Das bedeutet, dass das gesamte Dorf nun nicht mehr betreten werden darf. «Plünderungen sind höchst unwahrscheinlich», erklärte Gartmann dazu. Die Brienzerinnen und Brienzer hätten schliesslich alles Wertvolle mitgenommen.

Insgesamt sechs Strassensperren wurden errichtet. Betonelemente verhindern ein Passieren der Strassen komplett. Das Dorf wird währenddessen elektronisch überwacht. Ausserdem wurde eine Flugverbotszone über dem Dorf eingerichtet. Diese gilt auch für Drohnen. 

So geht es in Brienz weiter

  • Phase Orange: Diese gilt seit dem 9. Mai. Ein Felssturz droht innert einer bis drei Wochen. Die Bevölkerung muss das Dorf bis spätestens Freitag um 18 Uhr verlassen haben – samt Katzen und Hunden, Nur Grossvieh bleibt in den Ställen. Alle Zufahrtsstrassen sind gesperrt, Ausnahmen gibt es nur für Bewohner*innen.
  • Phase Rot: Ein Felssturz droht in vier bis zehn Tagen. Ab jetzt gilt ein generelles Betretungsverbot für das gesamte Dorf, auch das Grossvieh wird aus dem Dorf geholt.
  • Phase Blau: Ein Felssturz steht unmittelbar bevor. Jetzt wird auch die Kantonsstrasse zwischen Tiefencastel und Vazerol gesperrt, genauso die Albulalinie der RhB unterhalb des Dorfes und die daran entlangführende Landwasserstrasse. Auch die beiden westlichsten Häuser von Surava werden evakuiert.

SDA, gbi