Huawei-Kameras «Digitale Augen»: Erhält China Zugriff auf Daten aus aller Welt?

Dusan Stojanovic/AP

18.10.2019

Das System besteht aus Kameras, die mit einer Software zur Gesichtserkennung verbunden sind. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz kann auch geprüft werden, ob sich Personen «auffällig» verhalten.
Das System besteht aus Kameras, die mit einer Software zur Gesichtserkennung verbunden sind. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz kann auch geprüft werden, ob sich Personen «auffällig» verhalten.
Bild: Darko Vojinovic/AP/dpa

Beim Verkauf von Kameras mit Gesichtserkennung ist Huawei führend. Zu den Abnehmern zählen auch repressive Regierungen. Kritiker warnen, dass die Führung in Peking dadurch Zugriff auf unzählige Daten aus aller Welt erhalten könnte.

In der Innenstadt von Belgrad gibt es sie inzwischen an allen Ecken – mit diesen «digitalen Augen» haben die Behörden die Bürger stets im Blick. Viele Serben überlegen es sich deswegen jetzt zweimal, ob sie wirklich an Demonstrationen teilnehmen wollen. Der populistische Präsident Aleksandar Vucic ist umstritten. Doch wer sich öffentlich gegen ihn stellt, muss wegen der Überwachungskameras mit direkter Vergeltung rechnen. Und das ist nur Teil des Problems.

Die serbische Regierung beteuert, die aus China stammende Technik diene allein zur Bekämpfung der Kriminalität in der Millionenstadt. Aktivisten sehen dabei aber nicht nur ihre Privatsphäre bedroht. «Das System kann genutzt werden, um politische Gegner zu verfolgen, um sie in jedem Moment zu beobachten, was ganz und gar gesetzeswidrig ist», sagt der ehemalige serbische Datenschutzbeauftragte Rodoljub Sabic.

Das System besteht aus Kameras, die mit einer Software zur Gesichtserkennung verbunden sind. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz kann auch geprüft werden, ob sich Personen «auffällig» verhalten. Das Unternehmen Huawei hat die Technik in mehreren Hundert Städten auf der ganzen Welt installiert. Angesichts des Vorwurfs der USA, dass sich die Regierung in Peking bei vielen Produkten von Huawei eine Hintertür gesichert habe, gibt diese Verbreitung zu denken – zumal es sich bei den Kunden oft um Länder handelt, die wirtschaftlich von China abhängig sind.

Nach Angaben von serbischen Oppositionellen werden die Daten schon jetzt missbraucht. Die Polizei habe Video-Aufnahmen von Demonstrationen an regierungsnahe Medien weitergegeben, einschliesslich der Namen der zu sehenden Teilnehmer, sagen sie. Präsident Vucic selbst hat stolz verkündet, die Sicherheitskräfte seien nun in der Lage, bei regierungskritischen Protesten «jeden Kopf» zu zählen.

Gesichtserkennung in immer mehr Ländern

Die Polizei in Belgrad bestreitet jeglichen Missbrauch des Huawei-Systems, das schon bald etwa 1000 Kameras an 800 Standorten in der Stadt umfassen soll. Das chinesische Unternehmen erklärte in einer Stellungnahme, es agiere im Einklang mit «allen geltenden Vorschriften und Gesetzen» – in Serbien ebenso wie in allen anderen Ländern, in denen es geschäftlich tätig sei.

Gesichtserkennung wird inzwischen in sehr vielen Ländern genutzt. Und zumindest in den demokratischen wird dabei intensiv über die richtige Balance zwischen erhöhter Sicherheit und Schutz der Privatsphäre diskutiert. Zugleich mehren sich die Vorbehalte gegenüber Huawei. Denn in China sind alle Unternehmen zur Zusammenarbeit mit den Geheimdiensten verpflichtet. Die chinesischen Behörden könnten somit auch Zugriff auf im Ausland gesammelte Daten erhalten.

Der Technologiekonzern weist den Vorwurf, unter Kontrolle der eigenen Regierung zu stehen, zurück – und kann sich trotz einiger Sanktionen, vor allem von Seiten der USA, kaum über einen Mangel an Kundschaft beklagen. Das «Safe Cities» genannte System ist inzwischen gerade in solchen Staaten verbreitet, die auch sonst enge Beziehungen zu China pflegen. Insgesamt ist es derzeit in etwa 230 Städten im Einsatz.
Dutzende Millionen Menschen sind also betroffen.

Chinesische Aktivisten bemalen ihr Gesicht, um die Gesichtserkennung der Kameras zu verwirren.
Chinesische Aktivisten bemalen ihr Gesicht, um die Gesichtserkennung der Kameras zu verwirren.
Bild: Darko Vojinovic/AP/dpa

In einer Werbebroschüre von Huawei heisst es, die Überwachungstechnik könne auch auf weite Distanz «abnormales Verhalten» erkennen, die Bewegungen von Autos und Personen verfolgen, die Grösse von Menschenansammlungen berechnen und Warnungen an eine Kommandozentrale schicken, wenn etwas verdächtig sei. Die lokalen Behörden könnten dann auf Grundlage dieser Warnungen aktiv werden. Auf der Unternehmenswebseite wird ein Beispiel geschildert – den Angaben zufolge konnte nach einem Unfall mit Fahrerflucht in Belgrad der Verdächtige mithilfe der Gesichtserkennung später in China gefasst werden.

«Politisch motivierte» Überwachung

Serbien strebt zwar einen Beitritt zur EU an. In den vergangenen Jahren ist das Balkanland aber immer mehr auch zu einem Sprungbrett für China in Europa geworden. Mit Milliardenkrediten hat Peking dort den Bau von Straßen, Bahnstrecken, Brücken und Kraftwerken ermöglicht. In Belgrad helfen sogar chinesische Polizisten beim Streifendienst – die Massnahme wird damit begründet, dass immer mehr Touristen aus China in die Stadt kämen. Die demokratischen Strukturen in Serbien sind so schwach, dass derartige Auswüchse des chinesischen Einflusses selten hinterfragt werden.

Eine Überwachungskamera mit Gesichtserkennung in Belgrad.
Eine Überwachungskamera mit Gesichtserkennung in Belgrad.
Bild: Darko Vojinovic/AP/dpa

Auch in ganz anderen Ländern werden chinesische Investitionen in die Infrastruktur von einem Einsatz der Huawei-Technik begleitet. Die Regierung in Uganda lässt sich die Video-Überwachung umgerechnet etwa
115 Millionen Euro kosten. Ziel ist laut Präsident Yoweri Museveni auch hier die Kriminalitätsbekämpfung. Aus Sicht des prominenten Aktivisten Bobi Wine dagegen ist das Projekt «politisch motiviert». «Sie tun das nicht wegen der Sicherheit», sagt sein Sprecher Joel Ssenyonyi. «Es geht ihnen in erster Linie darum, Jagd auf politische Gegner zu machen.»

Nach Angaben der Carnegie-Stiftung für internationalen Frieden setzen mindestens 75 Staaten bereits auf Künstliche Intelligenz zur Gesichtserkennung – und in etwa 50 dieser Staaten werden die Systeme von Huawei genutzt. «Es ist sehr unklar, welche Sicherheitsvorkehrungen dabei getroffen werden», sagt der Carnegie-Experte Steven Feldstein. «Wo werden Bilder gespeichert? Wie lange werden sie gespeichert? Wie steht es mit der Rechenschaftspflicht? Welche Art von Operationen werden mit diesen Überwachungskameras in Verbindung stehen?»

Auf dem Platz der Republik im Herzen von Belgrad hat eine Bürgerrechtsgruppe ein Zelt aufgebaut. Aktivisten sprechen Passanten an und fragen sie, ob ihnen klar sei, dass sie gerade von allen Seiten beobachtet würden. «Wir wollen nicht in einer Big-Brother-Gesellschaft leben», sagt Ivana Markulic. Von der Regierung wolle sie nicht nur wissen, wo die Kameras versteckt seien und was sie dafür bezahlt habe – sondern vor allem, was mit den gesammelten Daten geschehe.


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