Suchtexperte warnt «Die E-Zigaretten-Epidemie wird auch in der Schweiz kommen»

dor

11.10.2019

Eine Frau raucht eine E-Zigarette vom kalifornischen Marktführer Juul, der wegen zweifelhafter Methoden bei der Vermarktung und Jugendschutz-Bedenken schon länger in der Kritik steht.
Eine Frau raucht eine E-Zigarette vom kalifornischen Marktführer Juul, der wegen zweifelhafter Methoden bei der Vermarktung und Jugendschutz-Bedenken schon länger in der Kritik steht.
Bild: Keystone/Ennio Leanza

Jugendliche in den USA machen es vor – aber auch in der Schweiz werden sich E-Zigaretten epidemieartig ausbreiten, sagt ein Suchtexperte. Alkohol bleibe hierzulande aber der «Killer Nummer eins» bei 15- bis 24-Jährigen.

Noch ist die E-Zigarette selten die Einstiegsdroge für Jugendliche in der Schweiz. Aber das wird dem Suchtexperten Gerhard Gmel zufolge nicht so bleiben. «Die E-Zigaretten-Epidemie wird auch bei uns kommen», sagt Gmel, der für die Stiftung Sucht Schweiz arbeitet und an der Universität Lausanne im Bereich Suchtmedizin forscht, in einem am Freitag veröffentlichten Interview mit der «Neuen Zürcher Zeitung».

Anders als in den USA seien E-Zigaretten als Einstiegsdroge derzeit nur ein «minimales Phänomen». Die Schweizer Jugendlichen seien aber nicht etwa vernünftiger als die Jugendlichen in den USA, sagt Gmel. Die langsame Verbreitung hat ihm zufolge einen viel negativeren Ursprung: «Das Rauchen ist bei uns einfach noch nicht so verpönt wie in den USA.» Dort seien die Jungen aufgrund einer weitgehenden Ablehnung von Zigaretten sehr offen für Alternativen wie Juul, die schnell Teil der Jugendkultur geworden seien. Die Schweiz hinke dieser Entwicklung – wie so oft im Suchtbereich – um 10 bis 15 Jahre hinterher.

Die Behauptung von E-Zigaretten-Herstellern, ihre Produkte seien eine Ausstiegshilfe für Raucher, muss man laut Gmel differenziert betrachten. Es gebe sicherlich einige langjährige starke Raucher, die es dank den neuen Produkten schaffen, auszusteigen – für andere sei sie eine Einstiegsdroge.

«Betrachtet man jedoch die Gruppe der jungen Männer, dann nutzen die Raucher einfach zusätzlich noch E-Zigaretten – etwa, weil diese in der Kneipe erlaubt sind», sagt der Forscher, der die erste Schweizer Langzeitstudie zum Substanzkonsum von jungen Männern in der Schweiz, «C-Surf», leitet.



Gefährlichste weiche Droge für Jugendliche: Alkohol

Es gibt dem Forscher zufolge keine Statistik, die belegen würde, dass heute viel weniger 19-Jährige rauchen als noch vor zehn Jahren: «Es mag einzig sein, dass der Druck etwas geringer geworden ist auf jene, die in einer Clique nicht rauchen.» Immerhin bei Kindern unter 15 Jahren sei ein Rückgang zu sehen.

Die für Jugendliche mit Abstand am gefährlichste weiche Droge sei weiterhin der Alkohol. «Tabak macht zwar wahnsinnig schnell abhängig, aber die Konsequenzen spürt man erst 20, 30 Jahre später», sagt Gmel. Cannabis sei unter diesen drei Substanzen jene, die am wenigsten Schaden anrichte.

Als funktionierende Prävention spricht sich Gmel unter anderem für Preiserhöhungen aus, da diese die Verfügbarkeit von Alkohol einschränken würden. Das sei das A und O der Prävention. «Sie kriegen ja mittlerweile im Supermarkt einen Liter Bier für einen Franken», moniert der Forscher. «Alkohol ist schlicht zu günstig.»

Zusätzlich müsste das Mindestalter erhöht und die Verkaufszeiten eingeschränkt werden, wie dies im Kanton Waadt gemacht werde. «Nach 21 Uhr dürfen hier keine Spirituosen und kein Bier zum Mitnehmen mehr verkauft werden. Die Hospitalisierungen wegen Alkoholintoxikation sind seither stark zurückgegangen – bei Jugendlichen um bis zu 50 Prozent», gibt Gmel zu Protokoll.

«Killer Nummer eins»

Auf die Frage der «NZZ», warum Erwachsene bei einem Verkaufsverbot ab 21 Uhr darauf verzichten müssen, um 21.10 Uhr am Kiosk um die Ecke ein Bier zu kaufen, sagt Gmel: «Erwachsene können ja vorausplanen. Dann kommen sie kaum in die Situation, in der sie abends sagen müssen: Huch, jetzt hab ich kein Bier da.» Eine Gesellschaft müsse sich fragen, was wichtiger sei: Die 24-Stunden-Verfügbarkeit von Alkohol oder der Jugendschutz.« Alkohol ist bei 15- bis 24-Jährigen der Killer Nummer eins», warnt Gmel. «Das vergisst man immer wieder.»

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