Früheste Weinlese aller Zeiten Wie sich Weinbauern in Bordeaux an den Klimawandel anpassen

AP/toko

28.8.2022 - 00:00

Die Weinlese beginnt im prestigeträchtigen Anbaugebiet Bordeaux wegen der Dürre in diesem Jahr schon Mitte August.
Die Weinlese beginnt im prestigeträchtigen Anbaugebiet Bordeaux wegen der Dürre in diesem Jahr schon Mitte August.
AP Photo/Francois Mori

Im Wettlauf mit dem Klimawandel haben sich Frankreichs Weinbauern einiges einfallen lassen. Dieses Jahr bringt das weniger, aber besseren Ertrag. Doch mancher fragt sich, wie lange noch alle mithalten können.

DPA, AP/toko

Gesunde Reben hängen reif und schwer an den Weinstöcken im prestigeträchtigen Anbaugebiet Bordeaux. Die Landschaft sieht eigentlich aus wie immer. Doch in diesem Jahr ist etwas ganz anders als sonst in einer der berühmtesten Weinregionen Frankreichs.

Die Weinlese hat schon Mitte August begonnen – so früh wie noch nie. Es war sehr trocken und die Weinbauern passen sich dem Klimawandel an.

Exzellente Trauben

In der Region Bordeaux hat es von Ende Juni bis Mitte August nicht geregnet, Riesige Waldbrände haben Kiefernwälder zerstört. Aber die Saison mit Hitzewellen und Waldbränden hat paradoxerweise dazu beigetragen, dass es in diesem Jahr exzellente Trauben gibt, auch wenn der Ertrag geringer ist. Um diese Ernte zustande zu bringen, mussten sich die Winzer einiges einfallen lassen.

In Bordeaux und anderswo in Europa sehen Weinbauern die Folgen der Klimaveränderungen unmittelbar – und machen sich Sorgen über das, was noch kommen könnte. Bis jetzt sei die Erderwärmung sehr positiv, sagt Fabien Teitgen, der als technischer Direktor auf dem Weingut Château Smith-Haut-Lafitte in Martillac südlich von Bordeaux arbeitet. «Aber wenn man in die Zukunft blickt und man die Temperatur um ein Grad und mehr erhöht, verliert man die Frische in der Ausgewogenheit des Weines», warnt er.

Dutzende Helfer knien zwischen den Weinstöcken, pflücken die Trauben mit der Hand und packen sie in Körbe. Die Trauben werden sofort gepresst. Der Saft kommt in Tanks und dann in Fässer. Daraus soll Weisswein der berühmten Marke Pessac-Léognan werden. Der Rotwein kommt gleich danach an die Reihe.

Trockenheit verändert Arbeit der Winzer

Eric Perrin ist einer der Eigentümer des Guts Château Carbonnieux. Als er ein Kind war, Anfang der 70er Jahre, habe die Weinlese Mitte September begonnen, erinnert er sich. In diesem Jahr haben sie am 16. August angefangen. Aber die Ernte 2022 – die werde womöglich die beste, die es je gab, sagt Perrin. Die Trauben seien gesund und ausgewogen. Hitze und Trockenheit hätten zudem Krankheiten wie Mehltau verhindert.

Wein wird auf Château Carbonnieux seit Jahrhunderten angebaut. 1787 war ein gewisser Thomas Jefferson hier zu Besuch. Der spätere dritte Präsident der Vereinigten Staaten pflanzte damals einen Pekannussbaum, der immer noch steht. Heute kredenzt Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron ausgewählten Gästen manchmal einen Château Carbonnieux.

Die Trockenheit hat die Arbeit der Winzer verändert. Früher haben sie die Stöcke so beschnitten, dass die Trauben so viel Sonne wie möglich abbekamen. Die Sonnenwärme bringt mehr Zucker in die Trauben, was wiederum für einen höheren Alkoholgehalt sorgt. In diesem Jahr hätten seine Leute mehr Blattwerk stehen lassen, um den Trauben etwas Schatten zu gönnen, erläutert Teitgen. Das sorgt für mehr Säure und Frische.

Die Ernte dürfte dieses Jahr in der Region 15 bis 20 Prozent geringer ausfallen als sonst, rechnet Teitgen vor. Die Trauben seien nicht so gross geworden und auf einigen Flächen hätten sie Sonnenbrand bekommen. Aber die Qualität des Weines werde das nicht schmälern.

«Einige Parzellen haben schwer gelitten»

Vor dem Turm des Weinguts Château Smith-Haut-Lafitte aus dem 14. Jahrhundert wässert Manon Lecouffe sorgfältig neugepflanzte Weinstöcke – eine unverzichtbare Arbeit. Wenn die Stöcke ein paar Jahre alt sind, haben sich ihre Wurzeln so weit vorgearbeitet, dass sie an Wasser tief in der Erde herankommen und Dürren ohne allzugrosse Schäden überstehen. Dieses Jahr sei es aber so trocken gewesen, dass die Güter auch ältere Weinstöcke bewässern durften, sagt Lecouffe. Das sei in Bordeaux sonst verboten, sagt Lecouffe. «Einige Parzellen haben schwer gelitten, so dass die Blätter abfallen.»

Die Winzer erwägen auch, die Parzellen nicht mehr so dicht zu bebauen, damit sie weniger Wasser brauchen – oder die Erde so zu bearbeiten, dass sie die Feuchtigkeit tief im Boden besser hält. Experten grübeln, ob neue Weinsorten die Lage verbessern könnten.

Wissenschaftler sind seit langem der Meinung, dass der vom Menschen verursachte Klimawandel die Häufigkeit von Wetterextremen erhöht. Sie sagen, dass heissere Luft, wärmere Ozeane und schmelzendes Meereis den Jetstream verändern. Dadurch würden Stürme, Überschwemmungen, Hitzewellen, Dürren und Waldbrände zerstörerischer.

Klimaerwärmung wird zum Alltag

Auf Gut Château Olivier, aus dem Pessac-Léognan-Weine kommen, verkostet Direktor Laurent Lebrun mit seinen Leuten eine Parzelle nach der anderen, um zu entscheiden, wann die Lese losgehen kann. Die Folgen der globalen Erwärmung seien mittlerweile Teil des Alltags, sagt Lebrun. Der Wandel schreite schnell voran. «Wir müssen unsere Denkweise neu programmieren», sagt er. «Wir haben immer noch viele Mittel zur Verfügung, die in wärmeren Regionen bereits genutzt werden.»

Auch weiter südlich, in Italien, Spanien und Portugal, hat die Weinlese in diesem Jahr Wochen früher begonnen, weil Trauben verschrumpeln und Sonnenbrand bekommen. Auch dort rechnen die Winzer mit geringeren Erträgen und hoffen auf bessere Qualität. Der italienische Agrarverband Coldiretti erwartet wegen der hohen Preise für Energie und Ausgangsstoffe, dass die Kosten um 35 Prozent steigen.

Weil die Winter nicht mehr so kalt sind, treiben die Weinstöcke früher aus. Französische Winzer fürchten, dass das früher beginnende Wachstum dann durch späte Fröste gestört wird – und Hagel könnte die Arbeit eines ganzen Jahres binnen Minuten zertrümmern.

Auf Château Carbonnieux fürchtet Perrin, einige kleinere Winzer könnten mit dem Wandel nicht mehr Schritt halten. «Klima-Ereignisse haben sei 2017 zu geringeren Ernten geführt», sagt er. «Das wird mit Sicherheit nicht jeder überleben.»