Fussball-UrteilFolgenschweres Torhüter-Foul beschäftigt die St. Galler Gerichte
SDA
30.12.2017 - 12:37
Ein Urteil des Kreisgerichts Wil SG gegen einen 4.-Liga-Torhüter nach einem folgenschweren Foul könnte zu einer Klagewelle im Amateurfussball führen. Das befürchtet der Verteidiger des Spielers, ein bekannter Sportjurist.
Der Fall beschäftigt die St. Galler Gerichte, denn der Verurteilte zieht den Entscheid ans Kantonsgericht weiter, wie Verteidiger Lucien Valloni auf Anfrage der Nachrichtenagentur sda sagte. Valloni ist auch Präsident der Spielergewerkschaft Swiss Association of Football Players (SAFP).
Der Einzelrichter des Kreisgerichts Wil hatte den Torhüter im Oktober der fahrlässigen Körperverletzung schuldig gesprochen und zu einer bedingten Geldstrafe verurteilt. Gemäss dem angefochtenen Urteil soll der Spieler auch gut 6000 Franken Schadenersatz zahlen.
Der Richter warf dem Torhüter eine krasse Spielregelverletzung vor. Indem er den heranstürmenden Gegner mit gestrecktem Bein mit den Stollen seines Fussballschuhs auf Kniehöhe getroffen habe, habe er seine Sorgfaltspflicht als Spieler verletzt.
Grenze setzen
Sport beinhalte immer Gefahren. Mit dem Urteil gelte es aber eine Grenze zu setzen zwischen erlaubter Härte und dem nicht mehr Erlaubten, begründete der Richter. "Das nützt, wie ich hoffe, dem Fussball." Immerhin unterstellte der Richter dem Torhüter keine Absicht, den Gegenspieler zu verletzen.
Ganz anders sieht der Verteidiger den Fall. Er will für den Torhüter einen Freispruch erwirken. Gemäss seiner Schilderung vor Gericht handelte es sich um einen unglücklichen Zusammenstoss. Der Torhüter habe nur gemacht, was seine Aufgabe sei, nämlich Tore verhindern. Es könne ihm keine Fahrlässigkeit vorgeworfen werden.
Solche Fouls und Verletzungen gehörten zum Grundrisiko des Fussballs, das die Spieler bewusst in Kauf nähmen. Stossend am Urteil findet Verteidiger Lucien Valloni, dass die Sicht des Schiedsrichters wenig beachtet worden sei. Dies sei ein wichtiges Element.
Junge Sportler "kriminalisiert"
Junge Menschen, die sich im Sport engagierten, würden so "kriminalisiert", sagte Valloni der Nachrichtenagentur sda. Ähnliche Fälle - wenn auch nicht immer mit derart schweren Verletzungsfolgen - gebe es im Fussball oft. Es sei nicht wünschenswert, dass solche Konflikte über die Gerichte ausgetragen würden.
Zum folgenschweren Foul war es im Mai 2016 beim Spiel FC Henau gegen den FC Wil 1900 (Breitensport) gekommen. Nach einem Konter prallten der Wiler Goalie und ein Stürmer des FC Henau im Strafraum heftig zusammen. Der Stürmer musste mit Knieverletzungen vom Platz getragen und ins Spital eingeliefert werden.
Der Schiedsrichter zeigte dem Torhüter die gelbe Karte und pfiff einen Elfmeter gegen Wil. Das Foul hatte aber auch ein juristisches Nachspiel: Der verletzte Stürmer, der am Knie operiert werden musste und mehrere Monate lang arbeitsunfähig war, zeigte seinen Gegenspieler wegen fahrlässiger Körperverletzung an.
Inzwischen liegt die detaillierte Urteilsbegründung vor. Darin weist das Gericht auf das schwere Verletzungsbild hin. "Einzig ein Angriff mit gestrecktem Bein fällt als plausible Ursache für eine derartige Verletzung in Betracht." Gegenteilige Aussagen des Torhüters erachtete das Gericht nicht als glaubwürdig.
Kritik am Schiedsrichter
Indirekt übt das Gericht auch Kritik am Schiedsrichter: Dessen Aussagen zur fraglichen Spielszene seien unklar, heisst es. Es gebe einige Anhaltspunkte dafür, dass die Grenze für einen Platzverweis, eine rote Karte, gemäss den Spielregeln erreicht gewesen wäre. Dies ist bei brutalem Spiel oder bei einem groben Foul der Fall.
Der Torhüter hätte im Spiel "richtigerweise die rote Karte erhalten müssen", schreibt das Gericht. Diese Meinung hatten vor Gericht auch der Staatsanwalt und der Anwalt des verletzten Stürmers vertreten. Dass der Torhüter im Spiel effektiv nur verwarnt worden sei, könne nicht zu seinen Gunsten den Ausschlag geben, heisst es im Urteil.
Seltene Gerichtsfälle
Dass ein Vorfall während eines Spiels vor einem Gericht landet, ist selten, ein Urteil noch seltener. Robert Breiter, der seit 15 Jahren für die Rechtsabteilung des Schweizerischen Fussballverbandes (SFV) arbeitet, kennt lediglich fünf Fälle aus allen Ligen, wie er anlässlich des erstinstanzlichen Urteils im Herbst sagte.
Rolf Müller, ein auf Sport spezialisierter Jurist, befürchtet, dass das Urteil von Wil eine Klagewelle wegen in Spielen begangener Fehler auslösen könnte. Solche Angelegenheiten sollten seiner Meinung nach auf dem Rasen oder intern geregelt werden, sagte er im Oktober der Pendlerzeitung "Blick am Abend".
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