Guanziroli am Gericht Freispruch – trotzdem sagt der Richter: «Das stinkt zum Himmel»

Von Silvana Guanziroli

12.11.2019

Ein Hauseigentümer meldete einen Einbruch und verlangte Geld von den Versicherungen. Doch später stellte sich heraus: alles gelogen. Die vermeintlichen Einbrecher waren Polizisten.
Ein Hauseigentümer meldete einen Einbruch und verlangte Geld von den Versicherungen. Doch später stellte sich heraus: alles gelogen. Die vermeintlichen Einbrecher waren Polizisten.
Bild: Keystone

Als ein Zürcher Hausbesitzer in den Ferien ist, beobachten Nachbarn, wie Männer um sein Haus schleichen. Er meldet der Versicherung einen Einbruch – doch er macht die Rechnung ohne die Polizei.

Der Vorfall ereignet sich im Sommer 2014 im Zürcher Stadtteil Schwammendingen. In den Morgenstunden des 4. August schleichen unbekannte Männer um ein Haus. Nachbarn beobachten die Szenerie, schreiten zunächst aber nicht ein.

Als der Hausbesitzer sechs Tage später aus den Ferien zurückkehrt, findet er das Haus unverschlossen vor. Er fragt bei den Nachbarn nach. Erstmals fällt in diesem Moment das Wort: Einbruch. Nur wenige Minuten später erstattet eine der Nachbarinnen Anzeige bei der Stadtpolizei Zürich. 

Wegen Ungereimtheiten in der Geschichte kommt es, wie es kommen muss. Das Paar steht schnell unter Verdacht, die ganze Geschichte nur erfunden zu haben. Heute fand vor dem Zürcher Obergericht bereits das zweitinstanzliche Verfahren in diesem Fall statt. 

Das zweitinstanzliche Verfahren findet heute vor dem Zürcher Obergericht statt.
Das zweitinstanzliche Verfahren findet heute vor dem Zürcher Obergericht statt.
Bild: Keystone

76 gestohlene Gegenstände

Insgesamt machen der Hausbesitzer und seine Gattin geltend, dass ihnen beim Einbruch 76 Gegenstände aus dem Haus gestohlen wurden. Noch im gleichen Jahr zahlen tatsächlich auch zwei Versicherer Entschädigungen in der Höhe von 26'700 Franken. So steht es in der Anklageschrift, die «Bluewin» vorliegt. Angeklagt sind sowohl der Mann wie auch seine Frau.

Was das Paar zum Zeitpunkt seiner Anzeige aber nicht weiss: Bei den unbekannten Männern, die um ihr Haus schleichen, handelt es sich nicht um Einbrecher – sondern um die Polizei. Gemäss Staatsanwaltschaft um zivile Beamte der Kantonspolizei Zürich. Nur wenige Stunden zuvor ist in Zürich ein Raubüberfall verübt worden. Der Name des Hausbesitzers wird genannt, die Polizei will deshalb in seinem Haus nach dem Rechten sehen. Mit dem Raubüberfall hat der Mann nichts zu tun, er war ja in den Ferien. Doch wie steht es mit dem Anspruch auf die Versicherungsleistung?

Die Staatsanwaltschaft ist im erstinstanzlichen Prozess überzeugt, der 41-jährige Serbe und seine 35-jährige Schweizer Frau hätten in betrügerischer Art und Weise andere am Vermögen geschädigt – indem sie «arglistig irreführend» vorgegangen seien.

Vom Motorrad bis zu den Winterfelgen

Tatsächlich versucht das Paar, auch Gegenstände als gestohlen anzugeben, die gar nicht durch die Versicherung gedeckt sind. Dabei handelt es sich um ein Kawasaki-Motorrad des Beschuldigten im Wert von 3'000 Franken. 

Das Motorrad habe ja im Garten gestanden, als es entwendet worden sei, sagt das Paar zur Versicherung. Doch die Hausratsversicherung deckt keine Motorfahrzeuge, weshalb die Auszahlung nicht vorgenommen wird.

Mehr Glück hat das Paar mit den Winterfelgen des Porsche Cayennes, den der Beschuldigte zu diesem Zeitpunkt fährt. Das Paar kassiert die Summe von 5'800 Franken von der Versicherung.

Beim betreffenden Motorrad handelte es sich um ein ähnliches Motorrad der Marke Kawasaki Ninja. Allerdings etwas älter als dieses Ausstellungsstück aus diesem Jahr.
Beim betreffenden Motorrad handelte es sich um ein ähnliches Motorrad der Marke Kawasaki Ninja. Allerdings etwas älter als dieses Ausstellungsstück aus diesem Jahr.
Bild: Keystone

Nicht der erste Versuch

Nur wenige Monate vor dem vermeintlichen Einbruch in ihr Familienhaus meldete das Paar bereits einen Autodiebstahl der Polizei. Im Januar sei der BMW des Mannes in Serbien auf einem Garagenvorplatz gestohlen worden, gaben sie an. 

Und hier soll das Paar dann laut Anklageschrift ungeschickt vorgegangen sein. Bei der Autoversicherung gab es einen Kilometerstand von 120'000 an. Doch dem Versicherer gelang es, mit einer Analyse der elektrischen Schlüssel herauszufinden, dass hier falsche Angaben gemacht wurden. Der Kilometerstand lag bereits zwei Jahre vor dem angeblichen Verschwinden des Fahrzeuges mit 129'000 Kilometer über diesem Wert. Die Versicherung kündigte darauf den Vertrag ohne entsprechende Auszahlung. 

Versicherung trägt Mitschuld

Vor Bezirksgericht hatte die Staatsanwaltschaft den Mann und die Frau wegen mehrfachen Betrugs und mehrfacher Irreführung der Rechtspflege angeklagt. Er fordert für den Serben eine Freiheitsstrafe von 15 Monaten und für seine Gattin 14 Monate. 

Dem folgte das Bezirksgericht im September 2018 allerdings nicht. Bezüglich der ausbezahlten Versicherungsleistung nahm das Gericht den Versicherer in die Mitschuld, wie im erstinstanzlichen Urteil steht, das «Bluewin» vorliegt.  Er habe, so die Richter, gar zu schnell und ohne ausreichende Abklärungen die Versuchungsleistungen ausbezahlt.

So soll niemand, der «allzu leichtgläubig auf eine Lüge hereinfällt» den Strafrichter anrufen, wie es weiter heisst. Weil es innerhalb der Anklage zudem zu Versäumnissen der Staatsanwaltschaft kam, konkret bei der Auflistung des Deliktgutes sowie der genauen Umschreibung des Tatverschuldens, musste das Paar bezüglich des vermeintlichen Einbruchs freigesprochen werden. 

Für den Fall mit dem BMW ist das Paar wegen des versuchten Betrugs zu Geldstrafen von 210 Tagessätzen zu 70 Franken für den Mann und 160 Tagessätzen zu 140 Franken für die Frau verurteilt worden. 

Eine richtige Schlappe fährt die Zürcher Staatsanwaltschaft heute vor Obergericht ein. Kurz vor Mittag spricht der Richter das beschuldigte Ehepaar von allen Vorwürfen frei. Obwohl gegen den Mann ein Verdacht bestehe und es seiner Meinung nach das ganze «gehörig zum Himmel stinkt», könne er kein anderes Urteil statt Freispruch fällen.  

Die Staatsanwaltschaft habe in ihren Untersuchungen dermassen schlecht gearbeitet, dass Widersprüche nicht geklärt werden konnten. So sei bis heute, so der Richter, der genaue Ablauf des Tathergangs nicht klar. «Hier müsste man ja praktisch die ganze Untersuchung nochmals von vorne beginnen, und selbst dann ist der Ausgang nicht klar», schliesst der Richter den Prozess.


«Bluewin»-Redaktorin Silvana Guanziroli ist als Gerichtsberichterstatterin an den Zürcher Gerichten akkreditiert. In ihrer Serie «Guanziroli am Gericht» schreibt sie über die spannendsten Strafprozesse, ordnet ausgefallene Kriminalfälle ein und spricht mit Experten über die Rolle der Justiz. Guanziroli ist seit über 20 Jahren als Nachrichtenjournalistin tätig und hat die Polizeischule der Kantonspolizei Zürich absolviert. silvana.guanziroli@swisscom.com.
«Bluewin»-Redaktorin Silvana Guanziroli ist als Gerichtsberichterstatterin an den Zürcher Gerichten akkreditiert. In ihrer Serie «Guanziroli am Gericht» schreibt sie über die spannendsten Strafprozesse, ordnet ausgefallene Kriminalfälle ein und spricht mit Experten über die Rolle der Justiz. Guanziroli ist seit über 20 Jahren als Nachrichtenjournalistin tätig und hat die Polizeischule der Kantonspolizei Zürich absolviert. silvana.guanziroli@swisscom.com.
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