Keine Touristen Hotel auf den Kanaren gibt Migranten Obdach

AP

18.4.2021

Der senegalesische Migrant Fode Top schaut aus seinem Hotelzimmer auf der spanischen Insel Gran Canaria: Weil die Zimmer leer stehen, bieten Hotelbetreiber jungen Männern Unterschlupf.
Der senegalesische Migrant Fode Top schaut aus seinem Hotelzimmer auf der spanischen Insel Gran Canaria: Weil die Zimmer leer stehen, bieten Hotelbetreiber jungen Männern Unterschlupf.
Renata Brito/AP/dpa

Spanien hat Migranten auf den Kanaren zeitweise in leerstehenden Hotels untergebracht. Nun gibt es neue Flüchtlingslager, ein Hotelbetreiber und seine Frau kümmern sich aber trotzdem weiter um die jungen Männer — auf eigene Kosten.

Als die Touristen wegen der Corona-Pandemie plötzlich wegblieben, ahnten Hoteldirektor Calvin Lucock und Restaurantchefin Unn Tove Saetran nicht, dass ihr Leben bald erneut eine unerwartete Wendung nehmen würde. Das britisch-norwegische Pärchen betreibt mehrere Resorts auf Gran Canaria. Dass sie leer standen, sollte sich als Glücksfall herausstellen. Allein 2020 kamen rund 23'000 Migranten aus Afrika auf den Kanaren an.

Die Männer, Frauen und Kinder waren in kaum seetüchtigen Booten übergesetzt, und die spanische Regierung wusste zuerst nicht, wohin mit ihnen. Schliesslich kamen die Migranten in Hunderten Hotelzimmern unter, die wegen der Reisebeschränkungen in der Pandemie frei waren. Hoteldirektor Lucock konnte somit die meisten seiner Mitarbeiter weiter beschäftigen.

Familie kümmert sich um die jungen Männer

Doch der Vertrag mit der Regierung lief im Februar aus. Tausende Menschen wurden aus den Hotels in grosse, neu gebaute Flüchtlingscamps gebracht — aber nicht alle blieben dort. «Als wir die Türen schlossen, stellten wir fest, dass draussen eine Schlange von Menschen stand», sagt Saetran, eine ehemalige Lehrerin, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AP. Einige der «Jungs», wie sie sie nennt, waren auf der Strasse gelandet, nachdem sie aus den staatlichen Aufnahmezentren verwiesen wurden.

Andere hatten diese bewusst verlassen, weil sie überfüllte Lager oder Abschiebung fürchteten. Saetran sagt, sie habe nicht schlafen können bei dem Gedanken, dass ihre Hotelzimmer leer waren und die jungen Männer auf der Strasse leben sollten. Also öffneten Saetran und Lucock wieder, dieses Mal auf eigene Kosten.

«Sie hatten solche Angst, sie wussten nicht, wohin sie gehen sollten, und es gab keine andere Lösung», sagt Saetran, die seit den 1990er-Jahren mit Lucock auf den Kanaren lebt und eine Tochter hat. Nun kümmert sich die Familie zusammen mit einigen Hotelangestellten und anderen Freiwilligen um die Migranten, versorgt sie mit Essen aus dem Restaurant und mit Unterkünften im Hotel: 58 junge Männer, darunter acht unbegleitete Minderjährige, die zumeist aus Marokko, dem Senegal und anderen westafrikanischen Ländern stammen und aus verschiedenen Gründen durch das Raster des staatlichen Aufnahme- und Integrationssystems gefallen sind.

Überfüllte Lager, zu wenig Essen, unhygienische Zustände

Einer von ihnen ist Fode Top, ein 28 Jahre alter Fischer aus dem Senegal, der seine Heimat im November verliess, um in Europa eine bessere Arbeit zu finden. Zu Hause gebe es keinen Fisch mehr im Meer, nachdem chinesische und europäische Boote jahrelang industriellen Fischfang betrieben hätten. Heutzutage könne kaum jemand mehr vom Fischen leben, sagt er.

Dazu kam noch, dass Tops dreijähriger Sohn eine lebensrettende und teure Herz-Operation benötigte. Um die Arztrechnungen zu bezahlen, lieh sich Top Geld, das er nicht zurückzahlen konnte und weswegen er bedroht wurde. «Wenn ich in den Senegal zurückkehre, werde ich Probleme kriegen. Viele Probleme», sagt er.



Die staatlichen Flüchtlingscamps auf den Kanaren haben jedoch ebenfalls mit Problemen zu kämpfen. Es gibt Berichte über überfüllte Lager, zu wenig Essen, unhygienische Zustände und fehlende rechtliche Unterstützung und medizinische Versorgung. Vor Kurzem gerieten auf Teneriffa zwei Migrantengruppen aneinander, und die Polizei schritt mit Gummigeschossen ein.

Normalerweise ziehen die Kanarischen Inseln mit ihren sonnenverwöhnten Stränden Millionen Menschen aus nördlicheren europäischen Ländern an. Aber für die Migranten in Lucocks Hotel in Puerto Calma ist dies kein Urlaub. Für sie waren die Inseln nur eine Zwischenstation auf dem Weg nach Kontinentaleuropa. Nun leben Tausende, die nicht auf die spanische Halbinsel gelassen werden, im Schwebezustand. Sie können nicht arbeiten und damit ihren Familien zu Hause kein Geld schicken.

«Wir vergessen ganz, uns über die kleinen Dinge zu freuen»

«Sie sind hergekommen, um ein besseres Leben führen zu können — genau deshalb bin ich auch nach Spanien gekommen», sagt der 47-jährige Lucock. Mit einem Unterschied: «Sie haben keinen europäischen Pass, also können sie sich nicht so frei bewegen wie ich.» Neulich Abend sassen er und Saetran gerade beim Essen, da bekam sie eine Textnachricht: Sechs junge Männer, darunter angeblich auch Minderjährige, hätten seit Tagen in den Strassen von Las Palmas gelebt.

Saetran suchte den Blick ihres Mannes, der nur mit den Augen rollte und tief seufzte. Am nächsten Tag kamen die sechs Jugendlichen im Hotel an. Ihre Habseligkeiten trugen sie in Plastiktüten mit sich. Saetran und Lucock hiessen sie willkommen und gaben ihnen zwei Zimmer. Beide wissen, dass sie nicht auf ewig Migranten beherbergen können. Aber zumindest jetzt. «Wenn wir unseren kleinen Teil dazu beitragen können, dass sie sich sicher und geborgen fühlen, dann haben wir doch was erreicht», sagt Lucock.

Weil die jungen Männer oft Monat um Monat warten, um entweder nordwärts ziehen zu können oder nach Hause geschickt zu werden, versuchen Lucock und Saetran, sie zu beschäftigen. Dreimal in der Woche geben Freiwillige Spanisch- und Englisch-Unterricht. Die Sportlichen unter den jungen Männern spielen mit Nachbarn Fussball oder joggen in die Berge. Andere spielen Dame oder Kartenspiele. Ihre Gastgeber wollen Migranten auch helfen, wenn wieder Touristen kommen, und gründen jetzt eine Hilfsorganisation. «In unserer Kultur haben wir so viel», sagt Saetran. «Wir vergessen ganz, uns über die kleinen Dinge zu freuen.»