«Es war total wahnsinnig» Jeden Tag Covid-Tote abholen – Harter Job für Spaniens Bestatter

dpa / tmxh

25.11.2020 - 13:47

Die Bestatter in Spanien haben – so wie hier in Girona – seit Beginn der Coronapandemie einen harten Job. (Symbolbild)
Die Bestatter in Spanien haben – so wie hier in Girona – seit Beginn der Coronapandemie einen harten Job. (Symbolbild)
David Zorrakino / Europa Press / Getty Images

Sie machen jeden Tag ihre Runden, holen Corona-Tote in Pflegeheimen und anderen Einrichtungen ab. Wie hält man so etwas aus? Mitarbeiter eines spanischen Bestattungsinstituts schildern ihre Gefühle.

Es ist ein Ritual, das Marina Gómez und ihren Kollegen in diesem Jahr nur allzu vertraut geworden ist. Wenn sie ein Zimmer in einem Pflegeheim betreten, um die Leiche eines Covid-19-Opfers abzuholen, arbeiten sie still und methodisch. Sie desinfizieren den Mund, die Nase und Augen, um das Verseuchungsrisiko zu verringern und hüllen den Körper in die Bettlaken.

Es werden zwei Leichensäcke verwendet, der eine steckt in dem anderen, und die Reissverschlüsse werden in entgegengesetzter Richtung zugezogen: beim ersten Sack vom Kopf in Richtung Füsse, beim zweiten von den Füssen zum Kopf. Das Surren beim Verschliessen ist das einzige Geräusch in dem Zimmer – wie eine letzte Besiegelung des Schicksals dieses Menschen. 

«Wir hätten etwas lernen sollen»

Gómez und ihre Kollegen arbeiten für Mémora, das führende Bestattungsunternehmen in Barcelona mit Zweigstellen in ganz Spanien und Portugal. Wie Pflegekräfte und Ärzte sind sie hautnahe Zeugen des brutalen Beutezuges des Coronavirus, das schon etwa 1,4 Millionen Menschen rund um die Welt getötet hat. In Spanien liegt die Zahl der Infektionsfälle bislang bei 1,5 Millionen, mehr als 43'000 Infizierte starben.



Dem Land war es gelungen, die tägliche Zahl der Todesopfer von mehr als 900 im März auf einstellige Ziffern im Juli zu senken. Aber in den vergangenen Wochen ist sie wieder stetig gestiegen, auf mehr als 200 am Tag in diesem Monat. Und so haben Mémora-Mitarbeiter denn wieder damit begonnen, ihre Runden in Pflegeheimen und anderen Einrichtungen zu machen. «Wir hätten etwas (aus der ersten Welle im Frühjahr) lernen sollen», so Gómez. Aber sobald es den Menschen nach dem damaligen Lockdown wieder möglich gewesen sei, zu tun, was sie wollten, seien sie zu ihrer üblichen Lebensweise zurückgekehrt. «Wir haben kein Gedächtnis.»  

Eine Art Kriegszeitatmosphäre

Wenn Gómez und ihr Partner Manel Rivera an ihrem Ziel eintreffen, versuchen sie erst einmal sicherzustellen, dass ein überlebender Zimmermitbewohner aus dem Raum gebracht wird, bevor sie sich an ihre Arbeit machen. Aber oft trennt nur ein weisser Vorhang die Lebenden von den Toten, und das macht Gómez zu schaffen. «Die schlichte Tatsache, eine Leiche abzuholen und zu sehen, dass eine andere Person, lebendig, mit ihr im Raum ist, das ist das, was mich am meisten trifft», sagt die 28-Jährige der Nachrichtenagentur AP.



In den ersten Monaten der Pandemie sei ihr Ersuchen, einen lebenden Patienten rechtzeitig aus dem Zimmer zu bringen, häufiger honoriert worden, schildet Gómez. Eine Art von Kriegszeitatmosphäre habe die Menschen zusammengeschmiedet, solidarischer gemacht. Aber jetzt, bei dieser neuen Welle nach einer Atempause im Sommer, schienen viele Spanier abgestumpft zu sein.

Ein gewisser emotionaler Abstand sei allerdings nötig, um weiter arbeiten zu können, räumt der 44-jährige Rivera ein. «Wenn ich die Person in das Laken gehüllt und den Reissverschluss zugezogen habe, frage ich mich nicht mehr, ob sie blondes, rotes oder braunes Haar hatte», sagt er. Zu viel über die Toten zu grübeln bedeute, «dass du in diesem Job nicht lange durchhältst». 

«Es war total wahnsinnig»

Gómez begann ihre Arbeit im April, als Ersatz für jemanden, der wegen Krankheit ausgefallen war. Damals war die erste Welle auf ihrem Höhepunkt, und sie musste im Eiltempo lernen, ihren schwierigen Job sicher zu versehen. Trugen Leute vor Covid-19 beim Einsammeln der Leichen an einer Infektionskrankheit gestorbener Menschen nur Handschuhe, Masken und eine Schürze, stieg man nach der Ankunft des Virus im Frühjahr rasch auf volle Schutzausrüstung und doppelte Handschuhe um. Bislang sind Gómez und ihre Kollegen gesund geblieben.

Román Ibáñez transportiert seit 14 Jahren Tote. «Es war total wahnsinnig», sagt er mit Blick auf die finstersten Wochen dieses Jahres, als das Bestattungsunternehmen statt der sonst üblichen 50 Leichen fast 200 am Tag abholte. «Du hast einen Punkt erreicht, an dem du nicht wusstest, was du tust. Du hast nie deine Schutzkleidung abgelegt. Es war chaotisch.»



Besonders erschütternd war für Ibáñez eine Nacht, in der das Team in ein Pflegeheim gerufen wurde. «Eine junge Frau öffnete weinend die Tür. Die Hälfte des Personals war krank, die Person in der Nachtschicht hatte eine Leiche gelassen, wo sie war. Sie versuchte, jemanden anders zu finden, der zur Arbeit kommen könnte, aber da war keiner. Die Hälfte der Heimbewohner war gestorben. Von unserer Ankunft bis zu der Zeit, als wir das Heim verliessen, hat sie nicht aufgehört zu weinen.»

Die Arbeiter lieben ihren Job

Um Leichen zu transportieren, braucht man keine intensive Fachausbildung, und viele der Beschäftigten haben vorher in Fabriken und auf Baustellen gearbeitet oder Waren ausgeliefert. Aber der Job erfordert bestimmte persönliche Züge – eine Mischung aus Mitgefühl und Respekt gepaart mit dem Stolz darauf, zu tun, was getan werden muss.

Und mag es manchen auch paradox erscheinen: Die Arbeiter sagen, dass sie ihren Job lieben, weil er ihnen einen Lebenssinn und Zufriedenheit vermittelt. «Es ist wahrlich eine harte Arbeit, aber sie hat ihre Belohnung», sagt Jonathan Ciudad, Ibáñez' Partner. «Mit einem Gefühl der Menschlichkeit und des Zusammenhalts kommst du da durch. Du sieht wirklich, dass das Leben zum Leben da ist.»    

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dpa / tmxh