«Vergessene Kinder» Missionar lässt zwei Familien zurück – jetzt lernen sich die Söhne kennen

AP/tafi

8.12.2019

Treffen sich zwei Brüder: Steven Lacchin (links) und Gerald Erebon, nachdem sie das Ergebnis des DNA-Tests erfahren haben.
Treffen sich zwei Brüder: Steven Lacchin (links) und Gerald Erebon, nachdem sie das Ergebnis des DNA-Tests erfahren haben.
Brian Inganga/AP/dpa

Ein italienischer Priester zeugt in Ostafrika mit zwei Frauen Kinder und lässt sie im Stich. Die beiden Halbbrüder wissen 20 Jahre lang nichts voneinander: Durch Zufall finden sie nun zusammen.

Steven Lacchin wuchs vaterlos auf, aber er wusste einiges über seinen Vater. Ihm war klar, dass der Name Lacchin auf seiner kenianischen Geburtsurkunde von seinem Erzeuger stammt. Und er wusste, dass Mario Lacchin ihn und seine Mutter verlassen hatte. Jahre später erfuhr Steven: Sein Vater war ein italienischer katholischer Missionar und entschied sich für die Kirche statt für die Familie. Was Steven nicht wusste: Nur wenige Kilometer entfernt von ihm lebte ein weiterer mutmasslicher Lacchin-Sohn.

Die Männer fanden sich nach der Veröffentlichung eines Berichts der Nachrichtenagentur AP auf der Titelseite der grössten kenianischen Tageszeitung. Die Ähnlichkeit zwischen den mutmasslichen Halbbrüdern war unverkennbar. Doch um sicher zu gehen, machten sie einen Test.

Der Vatikan hat erst in diesem Jahr öffentlich – und nur indirekt – eingeräumt, dass Priester Kinder gezeugt haben. Man habe interne Richtlinien zum Umgang mit derartigen Fällen erstellt, erklärte der Heilige Stuhl.

Unzählige Priesterkinder

Gruppen von Betroffenen sprechen von unzähligen Fällen. «Ich weiss nicht, wie viele Kinder von Priestern es auf der Welt gibt, aber ich weiss, dass sie auf dem ganzen Planeten sind», sagt Anne-Marie Jarzac von der französischen Gruppe «Enfants du Silence». Die Organisation verhandelt seit kurzem mit französischen Bischöfen über einen Zugang zu Kirchenarchiven, damit die Betroffenen etwas über ihre wahre Identität erfahren können.



So wie Missbrauchsopfer lange unter der Untätigkeit der katholischen Kirche gelitten haben, erfahren auch viele Kinder von Priestern eine mehrfache Zurückweisung: Sie wurden von ihren Vätern verlassen, ihrer Identitäten beraubt und von Kirchenoberen auf der Suche nach Antworten oder Hilfe ignoriert.

Steven Lacchins Abstammung war kein Geheimnis. Mitglieder vom Orden des Vaters wussten Bescheid und übten dessen Briefen zufolge Druck auf ihn aus, der Kirche den Vorzug über seine junge Familie zu geben.

Druck von der Kirche

Stevens Mutter Madeleine, auf Wunsch des Sohnes nur beim Vornamen genannt, bewahrte den Briefwechsel mit dem Priester auf. Über zehn Jahre hinweg schrieben sie. Dokumentiert ist, wie Madeleine sich um Unterhaltszahlungen des Priesters und des Consolata-Ordens bemühte.

Madeleine und Mario hatten sich 1978 in Nanyuki, etwa 200 Kilometer nördlich der Hauptstadt Nairobi, getroffen und ineinander verliebt. Madeleine arbeitete dort als Lehrerin, Lacchin hielt Messen. Im Jahr darauf wurde Madeleine schwanger.

Der Priester ging vorübergehend zurück nach Rom, versprach aber seine Rückkehr. Den Briefen nach redete er dort mit seinen Vorgesetzten über die Familie. Diese setzten ihn jedoch offenbar unter Druck, sein Amt nicht aufzugeben. Lacchin verliess den Orden nie. Geld, das er 1985 für den Sohn in seiner damaligen Diözese in Uganda hinterlassen haben will, kam nie bei der verarmten Madeleine an.

Steven Lacchin hat seine Herkunft ziemlich gut dokumentiert.
Steven Lacchin hat seine Herkunft ziemlich gut dokumentiert.
Ben Curtis/AP/dpa

Priester bestreitet zweite Vaterschaft

Drei Jahre später war Mario Lacchin nach Nordkenia versetzt worden und arbeitete in der Consolata-Mission in Archer's Post. Dort traf er die Schülerin Sabina Losirkale, die nach dem Unterricht als Reinigungskraft für die Consolata-Priester arbeitete.



Sie wurde mit 16 schwanger und brachte 1989 einen Jungen zur Welt, Gerald Erebon. Anders als seine schwarze Mutter, seine Geschwister und anders als ein Mann, der angeblich sein Vater sein sollte, hatte Gerald einen hellen Teint.

Mit Sabinas Schwangerschaft versetzten die Consolatas Lacchin erneut und er verschwand aus ihrem Leben. Die Mutter erklärte nach Angaben von Verwandten kurz vor ihrem Tod 2012, dass Lacchin Geralds Vater sei. Der Priester hat das bestritten. Einen Vaterschaftstest verweigert er.

Der Vater schweigt weiter

Im Oktober berichtete die AP über Gerald, woraufhin sich Steven Lacchin bei diesem über Facebook meldete. «Er ist auch mein Vater.» Wenige Tage später trafen sich die beiden in Nairobi. Sie staunten über ihre Ähnlichkeit, und ausserdem darüber, eigentlich praktisch Nachbarn in angrenzenden Stadtvierteln zu sein.

Die AP organisierte DNA-Tests. Das Ergebnis zwei Wochen später: Die beiden Männer sind fast sicher Halbbrüder. Seit Jahren sei er davon ausgegangen, allein zu sein, schildert Gerald Erebon. Einen Angehörigen zu haben, «macht es für mich jetzt ein bisschen leichter». Geschlossen fordern sie nun Anerkennung.

Steven verlangt Hilfe von der Kirche, um seine kenianische und italienische Staatsbürgerschaft zu klären. Und Gerald will, dass Mario Lacchin die Vaterschaft anerkennt, damit seine eigenen beiden Kinder italienische Staatsbürger werden können.

Der Priester selbst reagierte nicht auf eine Anfrage der AP. Und die Leitung des Consolata-Ordens erklärte, in Rom und Nairobi habe man erst über die journalistische Nachfrage zu Steven von einem möglichen zweiten Lacchin-Sohn erfahren. Aufgeben wollen die beiden Männer nicht. «Unser Vater muss wenigstens einmal das Richtige tun», sagt Gerald Erebon. «Und die Kirche sollte mit der Vertuschung aufhören.»

Die Heiligen der Schweiz

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