Nach fast 27 Jahren Nach fast 27 Jahren: Puzzlearbeit führt im Fall Stephanie zum Erfolg

Von Sebastian Haak und Marie Frech, dpa

6.3.2018

Der mutmassliche Mörder der kleinen Stephanie soll schon früher mindestens ein weiteres Kind sexuell missbraucht haben. Dass Polizei und Staatsanwaltschaft in Thüringen nun glauben, ihm den Mord nachweisen zu können, hat auch mit moderner Ermittlerarbeit zu tun.

Das gute Gespür einer Ermittlerin, neue Methoden zur DNA-Analyse und moderne Computertechnik: Dieses Zusammenspiel hat die Thüringer Polizei nach fast 27 Jahren zum mutmasslichen Mörder der damals zehnjährigen Stephanie aus Weimar geführt. «Insgesamt gesehen war es eine Puzzlesteinarbeit, wie ich sie noch nie erlebt habe», sagte am Dienstag der Polizeichef in Jena, Thomas Quittenbaum. Die Ermittler sind sicher, dass ein 65-Jähriger aus Berlin das Kind auf dem Gewissen hat.

Spezialkräfte der Polizei hatten den einschlägig vorbestraften Deutschen am Sonntag in der Hauptstadt festgenommen. Ein Spezialeinsatzkommando stürmte seine Wohnung, wie der Leiter der zuständigen Sonderkommission, Andreas Gerstenberger, berichtete. Der Verdächtige habe die Polizisten mit einer Eisenstange angegriffen, bei dem Handgemenge sei er leicht verletzt worden. Er sitzt nun in Untersuchungshaft.

Sonderkommando überwältigt den Verdächtigen

«Stephanie wäre jetzt eine junge Frau, in der Mitte ihres Lebens», sagte Quittenbaum zu Beginn der Pressekonferenz, bei der die Polizei und ein Vertreter der zuständigen Staatsanwaltschaft Gera den bisherigen Stand ihrer Erkenntnisse präsentierten. Die Leiche der Schülerin war 1991 unter der Teufelstalbrücke der Autobahn 4, etwa 20 Kilometer östlich von Jena, entdeckt worden. Sie war offensichtlich von der Brücke geworfen worden und an den Folgen des Sturzes gestorben.

Der nun festgenommene Mann hat nach Angaben der Ermittler als Lastwagenfahrer gearbeitet. Er sei im Raum Weimar aufgewachsen und kurz vor der Wende nach Berlin gezogen. Für Polizei und Justiz ist er kein Unbekannter: Das Landgericht Gera habe den Mann 1996 wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer mehrjährigen Haft verurteilt, sagte der Leiters der Staatsanwaltschaft Gera, Thomas Villwock. Die Strafe habe der Beschuldigte auch abgesessen.

Genaue Missbrauchs-Anklage noch offen

Ob er wegen des Missbrauchs an einem oder mehreren Kindern verurteilt wurde, wollte Villwock mit Blick auf die Persönlichkeitsrechte des Tatverdächtigen nicht sagen. Klar ist für die Ermittler allerdings: Der Mann hat auch Stephanie sexuell missbraucht, ehe er sie tötete. Villwock sagte, mit dem Mord habe er den Missbrauch vertuschen wollen.

Der Mann habe die Tat bei einer ersten Vernehmung unmittelbar nach seiner Festnahme gestanden, sagte Gerstenberger. Die Befragung habe jedoch zunächst unterbrochen werden müssen. «Er hätte wahrscheinlich auch weiter ausgesagt», so der Leiter der Soko.

Bei ihren Ermittlungen rekonstruierten die Polizisten auch den Tattag mit dramatischen Szenen: Im August 1991 war Stephanie mit zwei jüngeren Geschwistern und einer Freundin im Weimarer Goethepark unterwegs. Dort soll sie ihr Mörder überredet haben, ihn herumzuführen. Nachdem sie nicht zurückkehrte, alarmierte die Freundin Stephanies Vater. Dieser suchte sofort per Fahrrad nach ihr. Die Mutter alarmierte die Polizei. Am Folgetag wurde die Stadt durchkämmt. Zwei Tage nach ihrem Verschwinden fanden Kinder Stephanies Leiche.

Erfolg nach Aufarbeitung ungekärter Morde

Dass die Tat nun offensichtlich aufgeklärt werden konnte, geht auf die Sonderkommission «Altfälle» zurück. In ihr arbeitet die Thüringer Polizei seit Ende 2016 drei damals ungeklärte Kindermorde im Raum Jena aus den 90er Jahre neu auf. Die Soko war eingesetzt worden, nachdem am Fundort der in Franken getöteten Schülerin Peggy eine DNA-Spur des NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt entdeckt worden war. Es stellte sich jedoch heraus, dass es sich dabei um eine Verunreinigung bei der Spurensicherung gehandelt hatte. Die Soko setzte ihre Arbeit aber unabhängig davon fort.

Eine Polizistin stiess dann in den Akten zu den anderen beiden ungeklärten Mordfällen auf Spuren, die zu dem nun festgenommenen 65-Jährigen passten. Anschliessend sei durch neue Möglichkeiten bei der DNA-Untersuchung festgestellt worden, dass der Mann mit hoher Wahrscheinlichkeit der Täter im Fall Stephanie sei. Dazu kamen aufwendige Rekonstruktionsarbeiten: Unter anderem erstellte die Hochschule Mittweida im Auftrag der Staatsanwaltschaft ein Modell der Teufelsbrücke im Zustand des Tatjahres. Zudem musste der alte Aktenbestand in Handarbeit in das neue elektronische Fallbearbeitungssystem eingetragen werden.

An den beiden anderen Fällen arbeite die Soko nun weiter, sagte Quittenbaum – mit der gleichen Intensität wie im Fall Stephanie.

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