Tod vor 100 Jahren Russische Monarchisten pilgern zur Stätte des Zarenmords 1918

dpa

16.7.2018

Vor 100 Jahren wurden der letzte russische Zar und seine Familie ermordet. Für die Kirche ist er schon ein Heiliger, doch er wird auch politisch verklärt. 

Der orthodoxe Oberpriester Maxim Minjailo verehrt Russlands letzten Zaren zutiefst. «Der Herrscher Nikolaus II. ist für mich das Oberhaupt unseres Staates, unser Vater, unser Monarch, unser Zar», sagt der 43-jährige Geistliche. Nikolaus habe «mit seinem ganzen Leben und mit seinem Tod den Sieg des Guten über das Böse bezeugt».

Minjailo dient an einem besonderen Gotteshaus in der russischen Millionenstadt Jekaterinburg am Ural. Die Kirche-auf-dem-Blut steht an der Stelle, an der vor 100 Jahren - in der Nacht vom 16. auf den 17. Juli 1918 - der gefangene Zar und seine Familie erschossen wurden. Die damaligen neuen Machthaber, die kommunistischen Bolschewiki, mordeten als Zeichen ihrer rücksichtslosen Entschlossenheit.

Nach dem Ende der Sowjetunion hat die russisch-orthodoxe Kirche im Jahr 2000 den Zaren wegen seines Märtyrertods heilig gesprochen. Doch unter den Kuppeln der Blut-Kirche geht es um mehr als einen Heiligen.

Die Kirche mit angeschlossenem Museum ist ein Wallfahrtsort für Monarchisten. Das ist zwar eine Randerscheinung der russischen Politik, doch im Verein mit der Amtskirche keine ganz unwichtige.

Symbol für Rückbesinnung

Russland wird unter Präsident Wladimir Putin absehbar eine Republik bleiben. Aber die Verklärung des ermordeten Zaren wird zugelassen. Sie gehört zur Rückbesinnung auf ein orthodoxes, eigenständiges und nicht mit dem Westen Europas verbundenes Russland.

So weht neben der Kirche nicht die russische Trikolore, sondern die Flagge des verlorenen Zarenreichs: Schwarz-weiss-gelb mit Doppeladler.

Zu Gottesdiensten und Prozessionen anlässlich des Jahrestages werden Patriarch Kirill und etwa 100'000 Menschen erwartet - der nächste Zustrom nach Jekaterinburg, kaum dass die Besucher der Fussball-WM aus der Stadt 1'400 Kilometer östlich von Moskau abgereist sind.

Pater Maxim sieht die Monarchie als «zweifellos vollkommenste Form», einen Staat zu lenken. Und für den Geistlichen mit dem typischen langen Bart beschränkt sich die Heiligkeit von Nikolaus II. nicht auf den widerstandslos erlittenen Tod.

Begeistert deutet er den Zaren als christus-ähnliche Figur: Auch Nikolaus II. sei «verkannt, erniedrigt und ermordet» worden. Im Museum wird den Besuchern erklärt, wie gut es Russland unter diesem Kaiser ging.

«Eine tragische Figur»

Das deckt sich nicht mit dem Bild, das weltliche Historiker vom letzten Zaren der Romanow-Dynastie haben. «Nikolaus II. ist eine tragische Figur der russischen Geschichte im 20. Jahrhundert», sagte Professor Nikolaus Katzer, Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Moskau.

Er war ein schwacher, zögerlicher Herrscher, dessen Reich sich rasch modernisierte, der aber starr an der Selbstherrschaft festhielt. In der Februarrevolution 1917 musste Nikolaus II. abdanken. Die Familie wurde nach Tobolsk in Sibirien verbannt.

Mit der Oktoberrevolution 1917 fielen sie in die Hände ihrer ärgsten Gegner, der Bolschewiki um ihren Anführer Lenin. Die Gefangenen wurden nach Jekaterinburg verschleppt und im Haus des Ingenieurs Nikolai Ipatjew eingesperrt.

An jedem verhängnisvollen Abend mussten sich der Zar, Kaiserin Alexandra, ihre vier Töchter Olga, Tatjana, Maria und Anastassija sowie der Thronfolger Alexej im Keller versammeln. Sie wurden aufgereiht wie zu einem Foto, doch dann eröffneten Soldaten das Feuer.

Die Mörder machten die Leichen unkenntlich und verscharrten sie in einem Schacht ausserhalb der Stadt. Erst Jahrzehnte später wurden die Gebeine gefunden und bis 2008 identifiziert.

Zeichen brutaler Entschlossenheit

Warum mussten der Zar und seine Familie sterben? «Es war ein Zeichen brutaler Entschlossenheit der Bolschewiki in einer Situation, die für sie bedrohlich war», sagt Katzer. Sie fürchteten im Bürgerkrieg eine Befreiung der Familie durch weisse Truppen, die auf die rot regierte Stadt vorrückten.

Eindeutige Belege für einen Mordbefehl aus Moskau gibt es nicht, Indizien deuten darauf hin. «Ich halte es für unwahrscheinlich, dass es eine eigenständige Aktion der Bolschewiki in Jekaterinburg war», sagt Katzer.

Die Ermordung von Kaiserin Alexandra und der Kinder sei eine örtliche Eigenmächtigkeit gewesen, sagt der Lokalhistoriker Witali Schtschitow. In der Stadt, die zu sowjetischen Zeiten Swerdlowsk hiess, war die dunkle Geschichte des Ipatjew-Hauses ein nur halb gehütetes Geheimnis. 1977 liess der örtliche Parteichef Boris Jelzin, der spätere russische Präsident, das Haus abreissen, weil es «ungesundes Interesse» bei Monarchisten hervorrief.

2002 wurde die Kirche-auf-dem-Blut eingeweiht, Maxim Minjailo ist seit damals einer ihrer Priester. «Das ist ein Gedenkort unseres Volkes», sagt er.

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