Küssen verboten Schmatzer in Corona-Zeiten – kriegt der Kuss die Krise?

dpa/tsha

18.5.2020

Küssen verboten: In Corona-Zeiten sollte man seine Lippen nicht auf die eines Fremden drücken.
Küssen verboten: In Corona-Zeiten sollte man seine Lippen nicht auf die eines Fremden drücken.
Bild: Keystone

«Küssen verboten» sangen schon 1992 «Die Prinzen». Für alle, die nicht zusammen leben, gilt das auch jetzt. Begrüssungsküsschen und Zungenkuss lassen sich mit Abstandsregeln einfach nicht vereinbaren. Da äussert sich mancherorts sogar die Politik.

Wenn die Angst vor Tröpfchen umgeht, erlebt auch der Kuss eine Flaute. Vom Luftküsschen zur Begrüssung bis zum leidenschaftlichen Zungenkuss, in Zeiten von Abstand und Schutzmasken ist daran nicht zu denken – zumindest unter denen, die nicht zusammen leben. Dabei bemerken viele vielleicht erst jetzt, wie sehr ihnen diese Form der Nähe fehlt. Andere können gut und gern auf Schmatzer verzichten.

Und so manchem wird jetzt erst klar: So richtig hygienisch ist der Kuss an sich nicht. Wird man jemals wieder unbeschwert jemanden küssen, den man noch nicht allzu gut kennt? Und werden sich die Menschen überhaupt wieder mit Küsschen auf die Wange begrüssen? Kurzum: Hat der Kuss ein Image-Problem?

Land der «Baci» mit Sicherheitsmassnahmen

In Italien – dem Land der «Baci» – riet schon Anfang März der wissenschaftliche Beraterstab der Regierung den Bürgern wegen der Corona-Ausbreitung auf die traditionellen Begrüssungsküsschen zu verzichten. Nachdem die Massnahmen wieder ein wenig gelockert wurden und die Menschen mittlerweile wieder aus dem Haus und Familienangehörige treffen dürfen, wurden auch wieder sich heimlich küssende Pärchen gesichtet.



Das wollen auch die Österreicher verhindern: Kurz vor der Öffnung der Gastronomie dort stellte Gesundheitsminister Rudi Anschober (Grüne) in einem Interview klar, dass Küssen in der Öffentlichkeit gegen die bestehenden Regeln verstosse.

Könnte es konkrete Kuss-Empfehlungen auch hierzulande geben? Das Robert Koch-Institut verweist auf die Regel, weiterhin mindestens 1,5 Meter Abstand von anderen Menschen zu halten und in bestimmten Situationen zusätzlich eine Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. «Schon vom Händeschütteln wird abgeraten», heisst es auf Anfrage. An Küsschen und Co ist nicht zu denken.

Begrüssung ohne Berührung

Heike Melzer, Fachärztin für Neurologie und Sexualtherapeutin in München (D), sieht darin aber auch Chancen für andere Begrüssungsrituale. Küsschen, Handschlag, Umarmung, Verbeugung – das alles seien kulturell ritualisierte Formen der Kontaktaufnahme, um seinem Gegenüber zu signalisieren: «Ich sehe dich, ich wertschätze dich, ich mag dich, ich komme in friedlicher Mission.» Ein hygienisches Problem sei das – ausserhalb der Pandemie – übrigens eher nicht. Innige Umarmungen und Küsschen könnten eher dazu beitragen, die Immunabwehr zu stärken.

Dennoch: In anderen Kulturen funktioniert die Begrüssung ohne Berührung – auch hierzulande könnte man sich durchaus daran gewöhnen, meint Melzer. «Wenn wir im Kulturkreis neue Rituale vereinbaren und unser Gegenüber lesen können, dann kann eine wertschätzende Verbeugung wie im asiatischen Raum üblich mindestens genauso wertschätzend sein wie das Küssen von zum Teil wildfremden Menschen.» Das übrigens wirke auf manche Kulturen doch sehr befremdlich und gewöhnungsbedürftig.

Erinnerungen an einen Prinzen-Song

Gar nicht so scharf aufs Küssen waren zumindest Anfang der 1990er auch «Die Prinzen». Die Band aus Leipzig landete mit «Küssen Verboten» einen Hit. «Doch da gibt es eine Sache, die ich gar nicht leiden kann – kommen deine feuchten Lippen zu nah an mich ran», sangen Sebastian Krumbiegel und Kollegen damals. «Küssen verboten, streng verboten.»

Mit «Küssen Verboten» landeten die Prinzen einen Hit.
Mit «Küssen Verboten» landeten die Prinzen einen Hit.
Bild: Keystone

Viele Österreicher dürften nun wieder einen Ohrwurm bekommen: Nachdem der Gesundheitsminister sich in einem Interview zu den Kuss-Regeln geäussert hatte, machte bei Twitter und Co der Hashtag #küssenverboten die Runde.

Leidet die Psyche?

Paare, die zusammen leben, haben das Abstandsproblem – auch bei leidenschaftlichen Küssen – nicht. Anders geht es denjenigen, die vielleicht gerade jemanden kennengelernt haben oder eine Fernbeziehung führen. Leidet womöglich die Psyche unter dem Knutsch-Entzug?

«Beim Küssen öffnet sich nicht nur der Mund, sondern auch das Herz und die Seele», sagt Melzer. Für viele Menschen sei der Kuss sogar intimer als Geschlechtsverkehr. «Denn mit unserer Steuerzentrale Kopf sehen, hören, fühlen, schmecken und riechen wir – und erkennen so schnell, wer zu uns passt und wer nicht.» Das sei auch ein Grund dafür, dass Langzeitpaare mit chronischen Paarproblemen zuerst das Küssen einstellen. «Wenn ich meinen Partner nicht mehr ‹riechen› kann, dann fällt auch das Küssen zunehmend schwerer.»



Von einem Image-Problem könne aber nicht die Rede sein, meint Melzer. «Den Kuss wird es immer geben, nur werden wir bewusster mit ihm umgehen.» Was rar und knapp sei, werde umso begehrenswerter. Runterfahren und Reduktion könnten auch hier wertvoll sein. «Wenn Sie bislang oft und viel geküsst haben, und es nun wegen der Pandemie monatelang nicht tun – dann wird der erste Kuss ein Hochgenuss.»

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