In der brillianten Graphic Novel «Drei Väter» erzählt Nando von Arb die Geschichte seiner Kindheit – und erhält dafür ersten Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreis. Doch ist das Werk überhaupt ein Jugendbuch? Eine Graphikerin und ihr 16-jähriger Sohn urteilen.
Kaum lag «Drei Väter» Ende 2019 in den Läden, war es auch schon vergriffen. Nun wurde es neu aufgelegt. Die Berner Illustratorin Judith Zaugg und ihr 16-jähriger Sohn Urban haben sich das Buch angeschaut – auch, um der Frage auf den Grund zu gehen, ob mit der Auszeichnung «Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreis» die richtige Zielgruppe angesprochen ist.
Der Felsbrocken mit dem winzigen Kopf hat Urban Zaugg am besten gefallen. Dieser Felsbrocken, der an eine prähistorische Statue mit einem Schuss Marvel-Superheld erinnert, ist eine von drei Vaterfiguren, die Klein-Nando im Buch «Drei Väter» erlebt.
Sein leiblicher Vater, ein fuchsartiges Wesen in schönen Kleidern, hat die Mutter verlassen. Er schleppt Nando in Museen und findet alles gut, was der Junge macht.
Vor dem Vater war der langbeinige Clown Kiko mit der Mutter zusammen. Auch er taucht ab und zu auf, um mit den drei Kindern Spass zu haben. Kiko findet nicht alles gut, was Nando macht, er ist zwar lustig, aber auch kritisch.
Nur der Felsbrocken scheint keine Meinung zu haben. Er, der dritte Partner der Mutter, ist einfach da. Und bleibt. «Er ist noch heute mit meiner Mutter zusammen», erklärte Nando von Arb in einem Interview zu seinem autobiografischen Werk.
Warum gefällt Urban Zaugg, der mit seinen 16 Jahren zur Zielgruppe «Jugendbuch» gehört, ausgerechnet dieser stumme Brocken? «Der ist ein Mysterium», erklärt er. «Eben weil man nichts von seinem Innenleben mitbekommt, interessiert er mich mehr als die beiden anderen Väter.»
Über Nando von Arbs zeichnerischen Stil sagt Urban Zaugg etwas ähnliches: «Da ist eine gewisse Leere, diese wenigen, grossen Farbflächen – viel Raum zum Nachdenken.» Würde er das schön aufgemachte Buch mit den drei verschiedenfarbigen Lesebändchen für sich erwerben? «Nein», kommt es prompt. «Solche Bücher habe ich immer bei meinen Eltern gesehen. Deshalb habe ich mir lieber andere Sachen angeschaut, Comics wie die 'Lustigen Taschenbücher' zum Beispiel.»
«Für Menschen um 30»
Judith Zaugg, Urbans Mutter, schmunzelt zu den Aussagen ihres Sohnes. «Ich denke auch, dass 'Drei Väter' nicht unbedingt ein Kinder- oder Jugendbuch ist. Es spricht eher Menschen um die dreissig an, die ihre Jugend schon reflektieren können. Es ist Kunst, die sicher auch in der Szene gefällt.»
Judith Zaugg weiss, wovon sie spricht. Die 49-jährige Berner Grafikerin und Illustratorin ist selbst mit Kunst-Comics bekannt geworden. Ihr Büchlein «Susa Flott und ihre haarsträubende Geschichte» wurde 2001 für «Die schönsten Schweizer Bücher» nominiert. «Ich habe 'Drei Väter' sehr gern gelesen», erklärt sie. Ihre Lieblingsfigur ist Klein-Nando, ein Kopffüssler «mit erstaunlich viel Ausdruck», der den Lesenden die Perspektive von unten erschliesst.
Nando von Arbs Stil, so Judith Zaugg, habe sie an die 1980er- und 90er-Jahre erinnert. In der Tat wirkt das 300-seitige Opus ziemlich postmodern. In scheinbar disparatem Durcheinander werden Stile, Genres und Techniken zitiert, die den Einstieg nicht ganz leicht machen.
Doch Mutter und Sohn Zaugg sind sich einig: Bald «kommt man rein» in die Geschichte und dann lässt sie einen nicht mehr los. Mit fortschreitender Handlung erschliesst sich auch der Gestaltungswille des 28-jährigen Künstlers, der die Freiheit seiner Recycling-Generation nutzt und sich nach eigenen Regeln eine Bildsprache aus schon Vorhandenem erschafft.
Leichter Zugang zu schwerem Thema
Als «Spaziergang durch die Kindheit in einer Patchwork-Familie» bezeichnet Nando von Arb seine Graphic Novel selber. Es ist leicht, mit ihm Schritt zu halten. Die traurigen, schweren Momente werden mehr als aufgewogen von der Kreativität, mit der insbesondere die Mutter – ein Vogel mit übergrossen Flügeln – den Alltag mit drei Kindern und drei Vätern managt.
Urban Zaugg lebt selber nicht in einer Patchworkfamilie, doch «mehr als die Hälfte meiner Freunde haben getrennte Eltern», sagt er. Dass die Trennung der Eltern in von Arbs Buch nicht als etwas ausschliesslich Belastendes dargestellt wird, hat ihn überrascht. «Wäre es ein Roman, würde ich ihn vielleicht lesen.»
Tatsächlich wird der Schmerz des von der Trennung betroffenen Kindes, der in einigen Szenen durchaus drinsteckt, vom Bildwitz überlagert. So könnte die Zielgruppe, mit der die Nominierung für den Schweizer Kinder- und Jugendbuchpreis 2020 definiert wird, sich in der Graphic Novel auch verkannt fühlen, nicht ernst genommen. Andererseits ermöglicht das Buch eine Neubewertung von Vaterschaft. Er habe von allen drei Vätern etwas fürs Leben mitbekommen, erklärte Nando von Arb. Was macht für Urban Zaugg einen Vater aus? «Dass er für sein Kind da ist. Es beschützt, aber auch loslassen kann.«*
*Dieser Text von Tina Uhlmann, Keystone-SDA, wurde mithilfe der Gottlieb und Hans Vogt-Stiftung realisiert.
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