75 Jahre Warschauer Aufstand Wie eine Krankenschwester den Warschauer Aufstand erlebte

Monika Scislowska, AP

1.8.2019

Den Hass hat Maria Mostowska beiseite gelegt. «Die Deutschen sind jetzt völlig anders», sagt sie in derselben Wohnung, in der sie schon vor dem Krieg gewohnt hat. «Wir leben auf demselben Planeten. Wir können nicht immer im Kampf liegen.»
Den Hass hat Maria Mostowska beiseite gelegt. «Die Deutschen sind jetzt völlig anders», sagt sie in derselben Wohnung, in der sie schon vor dem Krieg gewohnt hat. «Wir leben auf demselben Planeten. Wir können nicht immer im Kampf liegen.»
Bild: Czarek Sokolowski/AP/dpa

Die grösste Widerstandsaktion des Zweiten Weltkriegs wurde in Polen jahrzehntelang totgeschwiegen. Doch für Maria Mostowska ist der Aufstand von 1944 ein sehr lebendiges Erinnern.

Als der Warschauer Aufstand gegen die deutschen Besatzer losbrach, war Maria Mostowska eine junge Kinderkrankenschwester. Das Karol-und-Maria-Krankenhaus im Stadtbezirk Wola, wo sie 1944 arbeitete, sei in Windeseile mit Verletzten überbelegt gewesen, erinnert sich die heute 96-Jährige. «Wir haben rund um die Uhr Verletzungen verbunden», berichtet sie der Nachrichtenagentur AP. Sie sei aus der Chirurgie gar nicht mehr herausgekommen.

Vor 75 Jahren, am 1. August 1944, wagten rund 50'000 Kämpfer der geheimen polnischen Heimatarmee den Aufstand gegen die deutschen Truppen in der Stadt. Es war die grösste Widerstandsaktion des gesamten Zweiten Weltkriegs. Die Exilregierung in London hatte den Aufstand angeordnet, um Warschau unter Kontrolle zu bekommen, bevor die vorrückende Sowjetarmee die Stadt erreichte. Doch von den Alliierten kam keine substanzielle Hilfe.

Die schlecht bewaffnete Heimatarmee kämpfte 63 Tage lang gegen die deutschen Truppen, bevor die letzten Kämpfer im Oktober kapitulieren mussten. Rund 18 000 Aufständische wurden getötet, weitere 25 000 verletzt. Die Rache der Deutschen war masslos. Etwa 180 000 Zivilisten wurden bei Bombardements und Massenhinrichtungen getötet, die Stadt in Trümmer gelegt. In Wola massakrierten deutsche und ukrainische Truppen auf Befehl Adolf Hitlers Tausende Zivilisten, unter ihnen Frauen und Kinder.

«Sie haben uns an die Wand gestellt»

Auch Maria Mostowska hätten sie beinahe ermordet. Eines Tages seien die Deutschen über das Krankenhaus hergefallen und hätten wie Verrückte gewütet, erzählt Mostowska. Den Chefarzt und die Oberschwester hätten sie erschossen. Dann hätten sie sich das übrige Personal vorgenommen.

«Sie haben uns an die Wand gestellt und ein Maschinengewehr auf uns gerichtet», berichtet die 96-Jährige. «Wir dachten, sie würden augenblicklich töten.»

Doch plötzlich gab es neue Befehle. Sie wurden mit den Kindern in ein anderes Krankenhaus getrieben. Sie selbst habe eine gelähmte Zehnjährige getragen, erinnert sich Mostowska noch nach 75 Jahren. «Als wir das Krankenhaus erreichten, sahen wir Berge von Leichen der (von den Deutschen) getöteten Ärzte und Patienten», sagt sie. Die acht Babys, die sie aus ihrem eigenen Hospital gerettet hatten, seien binnen Tagen gestorben. «Wir hatten nichts zu Essen für sie.»

Der deutsche Aussenminster Heiko Maas gedenkt neben Jacek Czaputowicz, Aussenminister von Polen, am 75. Jahrestag des Warschauer Aufstands an einer Gedenkmauer den Opfern.
Der deutsche Aussenminster Heiko Maas gedenkt neben Jacek Czaputowicz, Aussenminister von Polen, am 75. Jahrestag des Warschauer Aufstands an einer Gedenkmauer den Opfern.
Bild: Kay Nietfeld/dpa

Mostowska sagt, sie habe mit anderen verlassene Häuser in der Umgebung nach Nahrung durchsucht. Nachts hätten sie deutsche Soldaten gesehen, die mit Lastwagen Wertsachen aus den Häusern Ermordeter abtransportiert hätten. Dann hätten sie die Gebäude in Brand gesteckt.

Die betagte Dame erinnert sich lebhaft an die Rettung eines schwer verletzten Aufständischen. Ein weiblicher Teenager habe ihn ins Krankenhaus geschleppt und gezerrt. Das Bein des jungen Burschen sei abgetrennt gewesen und er habe übel ausgesehen. Seine Retterin sei eher zierlich gewesen. «Ich habe keine Ahnung, wie sie es hinbekommen hat, ihn ins Krankenhaus zu schleifen. Aber sie hat es geschafft», staunt Mostowska noch heute.

Nachdem sie die Aufständischen vernichtet hatten, vertrieben die deutschen Besatzer eine halbe Million Warschauer aus den Trümmern der Stadt, einige direkt ins Vernichtungslager Auschwitz. Wenig später besetzten sowjetische Truppen Warschau und schliesslich ganz Polen. Sie installierten eine kommunistische Regierung, für die der Aufstand der Heimatarmee ein Tabuthema war.

Gedenken an Warschauer Aufstand

Mit dem Untergang der kommunistischen Herrschaft hat sich auch das geändert. Am Donnerstag gedachte Warschau des gescheiterten Aufstands. Der deutsche Aussenminister Heiko Maas sagte, er fühle sich beschämt wegen der deutschen Verbrechen, die viel zu lange vergessen worden seien. Am Nachmittag sollte Sirenengeheul an den Zeitpunkt des Aufstandsbeginns vor 75 Jahren erinnern.

Über den Aufstand werde wohl ewig gestritten werden, sagt Mostowska. Ihre Landsleute seien damals zum Kampf gegen die Deutschen entschlossen gewesen. «Der Hass war so erbittert, dass ich dachte, ich könnte ihn fast mit Händen greifen», sagt sie.

Den Hass hat Maria Mostowska beiseite gelegt. «Die Deutschen sind jetzt völlig anders», sagt sie in derselben Wohnung, in der sie schon vor dem Krieg gewohnt hat. «Wir leben auf demselben Planeten. Wir können nicht immer im Kampf liegen.»


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