Gesprengte Lieferketten «Die gesamte Produktion in die Schweiz zurückzuholen, ist unrealistisch»

Von Andreas Fischer

28.7.2021

Die Schweizer Pharmabranche vermisst einen «vernünftigen wirtschaftlichen Rahmen», um die Produktion aus dem Ausland zurückzuholen. (Symbolbild)
Die Schweizer Pharmabranche vermisst einen «vernünftigen wirtschaftlichen Rahmen», um die Produktion aus dem Ausland zurückzuholen. (Symbolbild)
Bild: KEYSTONE/AP/ECKEHARD SCHULZ

Die Zahnräder der globalisierten Wirtschaft greifen nicht mehr reibungslos ineinander: Ungewissheit und Kosten steigen. Viele Firmen zieht es zurück nach Europa. Die Schweizer Pharmabranche ist noch nicht überzeugt.

Von Andreas Fischer

Die Globalisierung spart zwar Kosten, macht die Industrienationen im Westen aber auch verwundbar. Steht ein Schiff quer im Suezkanal, hat das Auswirkungen. Brennt eine Chip-Fabrik in Japan, hat das Auswirkungen. Wird ein Hafen wegen eines Corona-Ausbruchs gesperrt, hat das Auswirkungen. Verlässlich produzieren jedenfalls lässt sich so nicht.

«Seit Anfang Jahr gab es eine Erschwernis nach der anderen in der Lieferkette», bestätigte der Finanzchef des Schwyzer Logistikkonzerns Kühne+Nagel im Gespräch mit der Nachrichtenagentur AWP. Sein Unternehmen, so Markus Blanka-Graff, habe im zweiten Quartal 2021 zwar ein starkes Ergebnis hingelegt und von einer starken Nachfrage profitiert. Doch musste sich die Firma – wie die gesamte Branche – mit schwer planbaren Lieferketten herumschlagen.



Globale Lieferketten haben sich als anfällig erweisen, nochmals verstärkt durch die Corona-Pandemie. Erste Unternehmen in Europa treffen deshalb Gegenmassnahmen. In Portugal etwa, nennt «Der Spiegel» in seiner aktuellen Ausgabe ein Beispiel (kostenpflichtig), wurde die Produktion von Fahrradrahmen nach jahrzehntelanger Auslagerung nach China wieder ins Land geholt – um unabhängig zu sein von blockierten Frachtrouten, gesperrten Häfen, Zoll- und Handelsstreitigkeiten. 

«Logistikketten arbeiten auf eine sehr komplexe Art und Weise zusammen», erklärt der Kühne+Nagel-Finanzchef. Ein Problem wie ein Stau in einem chinesischen Hafen löse sich nicht innerhalb einer Woche auf und habe Rückwirkungen auf die gesamte Lieferkette.

Pharmafirmen produzieren in der Schweiz unter Druck

Vom Credo «Wo die Löhne am niedrigsten sind, wird produziert» verabschieden sich immer mehr Firmen in Europa. Auch ausländische Unternehmen setzen die Prioritäten anders: Im nicht gerade als Billiglohnland bekannten Deutschland etwa bauen sowohl Tesla als auch der chinesische Konzern CATL riesige Batteriefabriken. Flexibilität und Liefersicherheit sind mittlerweile wichtiger.

Doch gilt das auch in der Schweiz? Sporadische Rückführungen sind zu beobachten, insgesamt bleibt die Wirtschaft diesbezüglich jedoch zurückhaltend. Bestes Beispiel ist die Pharmabranche. Zwar wurden zu Beginn der Corona-Pandemie Rufe laut, grosse Teile der Produktion wieder ins Land zu holen.



So schnell aber geht das nicht, sagt Ernst Niemack von der Vereinigung Pharmafirmen in der Schweiz (Vips) zu «blue News»: «Eine Rückverlagerung von Produktionskapazitäten ist ein Prozess, der nicht in wenigen Wochen oder Monaten abgeschlossen ist. Wir reden von fünf bis zwölf Jahren.»

Niemack mahnt zur Vorsicht, man müsse abwägen, ob dies überhaupt die richtige Strategie sein kann. «Wir haben zwar gewisse Produktionskapazitäten in der Schweiz. Doch die Firmen, die hier produzieren, sind unter Druck, besonders wenn sie die Grundversorgung sicherstellen.»

«Zunächst das bestehende Leck stopfen»

Durch die permanenten Preissenkungen in der Grundversorgung würden die Unternehmen praktisch dazu gedrängt, ihre Produktion ins Ausland zu verlagern, sagt der Geschäftsführer des Branchenverbands. Bevor man in der Pharmabranche über Rückverlagerungen der Produktion nachdenke, müsse man «zunächst das bestehende Leck stopfen, damit nicht noch mehr Kapazitäten verloren gehen.»



Die zunehmenden Verwerfungen in der globalen Lieferkette hätten zwar grosse Einflüsse auf die Branche. «Aber», so Niemack, «es bestehen natürlich auch langfristige Verträge. Ausserdem müssten die Kapazitäten in der Schweiz erst ausgebaut und in einen vernünftigen wirtschaftlichen Rahmen gebettet werden.» In der Pharmabranche geht es dabei weniger um die Lohnkosten im Ausland, rechnet Niemack vor: «70 Prozent der Gesamtkosten entstehen in der Schweiz, nur 30 Prozent fallen für die Produktion im Ausland und die Logistik an.»

Industrieroboter werden erschwinglicher

Die Arbeitskosten wurden immer wieder als Argument für eine Produktionsverlagerung im Ausland angegeben. Doch die Löhne steigen überall auf der Welt, auch in Billiglohnländern. In China laut Swissinfo sogar um bis zu 15 Prozent im Jahr. Abhilfe schaffen Roboter, wie sie auch in der eingangs erwähnten Fahrradrahmen-Fabrik in Portugal eingesetzt werden: Trotzdem finden auch 250 Menschen Lohn und Brot.



Die Automatisierung ist mittlerweile so erschwinglich, dass Roboter «immer häufiger aber auch bei mittelständischen Unternehmen» eingesetzt werden, wie Sami Atiya vom schwedisch-schweizerischen Konzern ABB mit Sitz in Oerlikon dem «Spiegel» sagt. ABB hat zuletzt ein Wachstum im zweistelligen Prozentbereich verkündet. Atiya prognostiziert, dass es für alle Produkte, «die von nationalem Interesse sind», eine Rückverlagerung geben könne und werde.

Für die hiesige Pharmabranche gilt das aber nicht, sagt Niemack. Für die Schweiz mit ihrem kleinen Markt sei das schwierig: «Die gesamte Produktion vom Wirkstoff bis zum Fertigprodukt in die Schweiz zurückzuholen, das ist eher unrealistisch.»