FlaschenhalsDie «Ever Given»-Havarie wird noch lange nachwirken
tafi
30.3.2021
Eine Havarie als Weckruf: Auch wenn der Suezkanal wieder frei ist, hat die tagelange Blockade durch einen querliegenden Containerriesen gezeigt, wie störanfällig die weltweiten Handelsströme sind.
30.03.2021, 18:05
30.03.2021, 18:11
tafi
Und sie bewegt sich doch noch. Das ist die gute Nachricht. Nachdem die «Ever Given» tagelang den Suezkanal blockierte, wurde sie am Montag freigeschleppt. Die nicht so gute Nachricht ist: Der Flaschenhals des Welthandels mag irgendwann wieder frei sein, die Havarie des Container-Frachtschiffs mit den enormen Massen (400 Meter Länge, 58,8 Meter Breite) wird noch längere Zeit Auswirkungen haben.
Zwar fahren die Containerschiffe wieder durch den Suezkanal, teilweise sollen mehr als 100 Schiffe gleichzeitig auf der künstlichen Wasserstrasse unterwegs sein. Bis sich der Stau der mehr als 370 wartenden Frachtschiffe vollständig auflöst, wird es noch einige Zeit dauern. Optimistische Schätzungen, etwa von der ägyptischen Suezkanalbehörde gehen von vier Tagen aus, andere Fachleute veranschlagen die doppelte Zeit.
Keine Containerschiffe unter Schweizer Flagge
Egal, wann auf der wichtigen Handelsroute wieder Normalbetrieb herrscht: Die Probleme bleiben erst mal. Ganz akut könnte in den nächsten Tagen der Ketchup-Flaschen-Effekt werden: So beschreibt Christian Denso vom Verband Deutscher Reeder im «Spiegel» die geballte Ankunft der Handelsarmada in den europäischen Häfen: Lange Zeit kommt gar nichts, dann viel zu viel auf einmal.
Das beim Eidgenössischen Departement für äussere Angelegenheiten (EDA) angesiedelte Schweizerische Seeschifffahrtsamt (SSA) gibt sich recht zugeknöpft: «Unter Schweizer Flagge verkehren derzeit keine Containerschiffe», heisst es auf «blue News»-Anfrage. Eine Einschätzung der konkreten Situation in den Häfen oder im Suezkanal wolle man aber nicht vornehmen und verweist an die privaten Schiffsbetreiber sowie die zuständigen Behörden vor Ort.
Häfen rüsten auf
«Vor Ort» erwartet man nach Auflösung der Blockade im Suezkanal einen regelrechten Andrang von Containerschiffen. Der wird sich nach Einschätzung des Terminalbetreibers Eurogate nur durch Umverteilung auf verschiedene Häfen auflösen lassen. Wenn alle Schiffe in ihren ursprünglichen Zielhafen wollten, «wird das nicht klappen», sagte ein Sprecher in Bremen. Die Entscheidung, wohin ihre Schiffe fahren sollen, liege aber bei den Reedereien.
Die grossen Häfen in Deutschland und in den Niederlanden rüsten auf jeden Fall schon einmal auf: Etwa zehn Tage bleiben ihnen, bis die Schiffe den Weg aus dem Mittelmeer zurückgelegt haben. «Wir stellen uns auf eine höhere Auslastung unserer Anlagen ein», heisst es etwa bei der Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA). So werde etwa zur Lagerung von Export-Containern eine zusätzliche Fläche von rund 100'000 Quadratmetern aktiviert.
Dabei sei Hamburg auf den Routen zwischen Asien und dem nördlichen Europa in der Regel nicht der erste Anlaufpunkt. «Besonderer Druck wird also zunächst auf den Vorhäfen lasten», so ein Sprecher des Hambuger Hafens. Der wichtigste sei Rotterdam.
In Hamburg geht man davon aus, dass die seit Monaten ohnehin angespannte Lage bei den Schiffsanläufen noch bis weit in den Sommer andauern wird. Die Suezkanal-Blockade sei nur ein Teil des Problems. Hinzu kämen Störungen wegen der Corona-Pandemie, der Brexit, Winter- und Frühjahrsstürme.
Derzeitige Lieferstrategien sind störanfällig
Experten sehen den Unfall der «Ever Given» denn auch als eindringlichen Weckruf für ein Überdenken der allgemeinen Versorgungsstrategie. «Wir sind zu dieser fragilen Just-in-time-Schifffahrt übergegangen, die wir schon zu Beginn von Covid absolut zusammenbrechen gesehen haben», sagte Kapitän John Konrad, Gründer der Schifffahrtswebseite gcaptain.com gegenüber der Nachrichtenagentur dpa.
«Wir hatten einmal grosse fette Lagerhäuser in allen Ländern, in denen die Fabriken ihren Nachschub lagerten. Nun sind diese Schiffe diese Lagerhäuser», sagt Konrad. Die Globalisierung wird sozusagen auf Kante genäht.
William Lee, Chefvolkswirt am Milken Institute in Kalifornien, pflichtet ihm bei: Die derzeit beliebte Praxis, Lagerbestände immer punktgenau zu bekommen, müsse überdacht werden. Die aktuellen Verzögerungen bedeuten, dass Container nicht rechtzeitig entleert und wieder befüllt werden können, um den nächsten Liefertermin einzuhalten. Das kann die Kosten nach oben treiben – was letztlich auch die Konsumenten trifft.
Auch das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung rechnet damit, dass «es in den internationalen Lieferketten zu Verzögerungen und höheren Transportkosten» kommt, wie es in einer Mitteilung heisst. Für die Verfügbarkeit lebenswichtiger Güter hätte die Havarie allerdings keine Folgen. Und dem Schweizerischen Seeschifffahrtsamt (SSA) «liegen derzeit keine Informationen vor, dass Schiffe unter Schweizer Flagge von der Situation im Suezkanal unmittelbar betroffen waren.»