«Stille Stunde» Keine Musik oder grelles Licht – ein ganz neues Einkaufsgefühl

Von Christoph Sator/dpa

21.12.2019

Das Licht in den Countdown-Filialen wird mittwochs gedimmt – und der Lärmpegel gesenkt. 
Das Licht in den Countdown-Filialen wird mittwochs gedimmt – und der Lärmpegel gesenkt. 
Source: Christoph Sator/dpa

Endlich mal in Ruhe einkaufen: Die grösste Supermarktkette in Neuseeland schaltet während einer Stunde pro Woche Musik und grelles Licht aus. Was eigentlich für Autisten gedacht war, kommt auch bei anderen Kunden an. 

Wie laut so eine Kasse im Supermarkt doch sein kann. Dann noch dieses Brummen der Tiefkühltruhen. Und wie hell die Käsetheke leuchtet! Dabei hat sich an all dem im Supermarkt von Three Kings, einem Vorort von Auckland, überhaupt nicht geändert.

Stattdessen wurde einfach alles andere auf leise und auf dunkel eingestellt. So fallen jene Dinge, auf die normalerweise kaum ein Kunde achtet, plötzlich besonders auf.

Einmal pro Woche legt Neuseelands grösste Supermarktkette Countdown neuerdings landesweit eine «Stille Stunde» ein. So etwas gibt es nirgendwo sonst auf der Welt. Jeden Mittwoch zwischen 14:30 Uhr und 15:30 Uhr wird in 180 Filialen das Licht gedimmt und die Musik wird ausgeschaltet, selbst jetzt im Weihnachtsgeschäft. Das hat den netten Nebeneffekt, dass man von «Jingle Bells» und «Last Christmas» zumindest 60 Minuten lang garantiert verschont bleibt.

Reizüberforderung für das Gehirn

Die Idee für die «Quiet Hour», wie die Aktion auf Englisch heisst, geht auf eine Countdown-Angestellte mit autistischem Kind zurück. Wenn sie den Sohn zum Einkaufen mitnahm, fing er oft an, zu schreien. Denn Menschen, die an Autismus leiden, nehmen alltägliche Reize wie Geräusche, Gerüche oder helles Licht oft besonders intensiv wahr. Ihre Sinneswahrnehmung ist überfordert. Man nennt das «sensorische Empfindlichkeit».



Mit der «Stillen Stunde» experimentierte die Kette im vergangenen Jahr zunächst in ausgewählten Testmärkten, auch in Three Kings. Der frühe Nachmittag wurde gewählt, weil viele Eltern dann gerade die Kinder von der Schule abgeholt haben. Natürlich spielte auch eine Rolle, dass das nicht die umsatzstärkste Zeit ist. Auf Kundenseite war die Resonanz so gut, dass es die 60 stillen Minuten nun praktisch überall gibt. Nur zwei City-Märkte machen nicht mit.

Der neuseeländische Autistenverband ANZ ist voll des Lobes für die Aktion. Verbandschef Dane Dougan sagt: «Das sind nur kleine Veränderungen, die aber enorme Auswirkungen haben.»

«Dem Umsatz schadet es nicht»

Doch auch von anderen Kunden kommt viel Zustimmung. In Three Kings strömen mittwochs nun auffällig viele ältere Kunden in den Countdown-Laden. Filialleiter Dave Chollo sagt: «Meinetwegen können wir das gern länger machen als eine Stunde pro Woche. Dem Umsatz schadet es jedenfalls nicht.»

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Chollo muss nur drei Schalter umlegen, dann geht an der Decke die Hälfte der Neonröhren aus, das hauseigene Radio wird still, und die interne Sprechanlage ist ausser Betrieb. Die 90 Angestellten haben zudem die Anweisung erhalten, keine Einkaufswagen mehr zusammenzuschieben und auch beim Aus- und Einräumen leise zu sein. Nur an den Kassen ist der übliche Betrieb.

Die 79-jährige Rentnerin Eileen Rimmer, die gerade in der abgedunkelten Obstabteilung steht, sagt: «Mich persönlich stört die Musik überhaupt nicht. Aber das ist doch eine Selbstverständlichkeit, Rücksicht zu nehmen.» Amy Brown (34) und ihre achtjährige Tochter Eloise sind eigens zur «Stillen Stunde» gekommen. «Ich kaufe viel lieber ein, wenn dieses ewige Gedudel weg ist. Dann habe ich weniger Stress», sagt die Mutter. «Und ich glaube, dass man letztlich mehr Geld ausgibt.»



Andere ziehen bereits nach

Countdown veröffentlicht keine Zahlen, wie sich die «Quiet Hour» auf den Umsatz auswirkt. Inzwischen gibt es aber schon einige Nachahmer in Neuseeland. Aktuell bewerben mehrere Shopping-Malls «Stille Stunden mit dem Weihnachtsmann». Bei den bei Kindern sehr beliebten Fototerminen mit weissbärtigen Männern geht es dann vorübergehend ebenfalls ruhig zu. Normalerweise herrscht da ein ziemlicher Trubel.

Filialleiter Chollo meint: «Wir sind nun mal ein kleines, ziemlich isoliertes Land. Das gibt uns die Freiheit, Dinge einfach auszuprobieren. Und freundlich sind wir auch.» Inzwischen experimentieren auch die ersten Märkte in Grossbritannien und Polen mit «Stillen Stunden». In der Schweiz wurden dagegen noch keine entsprechenden Aktionen bekannt. 

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