Interview«Menschen mit Asperger nehmen ironische Bemerkungen oft wörtlich»
Runa Reinecke
8.2.2019
Sie pfeifen auf Diplomatie und haben Mühe mit Ironie: Menschen mit Asperger-Syndrom. Der Arzt und Autismus-Experte Ronnie Gundelfinger gewährt Einblicke in eine Welt, in der auch die Klimaaktivistin Greta Thunberg lebt.
Das Asperger-Syndrom macht die Klimaaktivistin Greta Thunberg besonders. Der Arzt Ronnie Gundelfinger erzählt im Interview, auf welche Probleme autistische Menschen im Alltag stossen und warum sie eine grosse Bereicherung für die Gesellschaft sind.
Herr Gundelfinger, «Manche Menschen verspotten mich, weil ich Asperger habe. Das ist keine Krankheit, sondern ein Geschenk.» Ein Statement, das die 16-jährige Klimaaktivistin Greta Thunberg kürzlich auf ihrer Facebook-Seite veröffentlichte. Wie interpretieren Sie das?
Greta Thunberg ist mit dieser Meinung nicht allein. Auch andere «Aspies», wie sich Menschen mit Asperger-Syndrom auch gern selbst nennen, sind der Ansicht, dass es sich nicht um eine Erkrankung handelt. Ihre spezifische Denkweise steht für sie im Vordergrund – und dass sie die Welt eben anders wahrnehmen, als es die meisten anderen Menschen tun. Sie betonen, eine Bereicherung für ihre Umwelt zu sein, und wehren sich gegen Begriffe wie «Krankheit» und «Störung». Im englischen Sprachraum spricht man deshalb auch von Autism Spectrum Condition (Autismus-Spektrum-Zustand) und nicht von Autism-Spectrum-Disorder (Autismus-Spektrum-Störung).
Ich verstehe diese Position gut. Sie beinhaltet auch, dass sie, wenn man in gewissem Masse auf sie und ihre Bedürfnisse Rücksicht nimmt, ein glückliches und erfolgreiches Leben führen können. Das Asperger-Syndrom als «Geschenk» zu empfinden, damit habe ich Mühe.
Was stört Sie an dieser Aussage?
Ich finde es sehr wichtig, das Asperger-Syndrom nicht nur als Störung zu sehen. Andererseits ist die Welt für die Betroffenen nicht ideal: Sie stossen in der Schule oder später im Beruf auf Schwierigkeiten. Wenn jemand nicht erkennen kann, was sein Gegenüber denkt und fühlt, führt das zwangsläufig zu Problemen.
In ihrem Facebook-Post geht Greta Thunberg auch darauf ein, sie schreibt: Wäre sie «normal» und geschickt im sozialen Umgang, hätte sie sich einer Organisation angeschlossen. Sie sei aber nicht gut darin, weshalb sie die Sache selbst in die Hand genommen habe …
Menschen wie sie fühlen sich in grösseren Gruppen eher unwohl und haben Schwierigkeiten, sich zu integrieren. Oft sind sie radikal in ihren Ideen und Ansichten und fallen durch ein Schwarz-Weiss-Denken auf. In gewissen Situationen kann das durchaus angebracht sein. Greta Thunberg profitiert von den Möglichkeiten, die ihr die Social-Media-Welt heute bietet. Eine derartige Medienpräsenz hätte sie als Einzelperson früher nicht ohne Unterstützung einer grossen Organisation oder Partei erreichen können.
«Menschen wie sie fühlen sich in grösseren Gruppen eher unwohl und haben Schwierigkeiten, sich zu integrieren. Oft sind sie radikal in ihren Ideen und Ansichten und fallen durch ein Schwarz-Weiss-Denken auf.»
Hilft ihr das Asperger-Syndrom dabei, ihre Botschaften besonders klar und unmissverständlich zu transportieren?
Personen mit dieser Besonderheit sind häufig sehr faktenorientiert. Auch Greta Thunberg verkündet ihre Überzeugung ungefiltert. Sie hinterfragt nicht, ob sie diplomatisch geschickt handelt, sie sagt geradeheraus ihre ehrliche Meinung. Für ihr Anliegen ist es sehr von Vorteil, dass sie nicht um den heissen Brei herumredet.
Autisten sagt man nach, sie schätzten geregelte Abläufe – diese dürften der jungen Aktivistin nun aufgrund der enormen Medienaufmerksamkeit fehlen …
Wenn sie jeden Freitag am selben Ort zur selben Zeit streikt, hat sie genau diese Struktur. Hinzu kommt, dass nicht jeder Mensch mit Asperger in gleichem Masse auf Routine angewiesen ist. Für sie ist wichtig, dass sie von Menschen umgeben ist, die ihr Halt geben. Aus diesem Grund wird sie vermutlich auf Reisen immer von ihren Eltern begleitet.
Greta Thunberg ist in den Medien auch grosser Kritik ausgesetzt, wird sogar als Marionette von linken, umweltaktivistischen Organisationen bezeichnet. Kommt sie mit Kritik besser zurecht als andere Teenager ihres Alters?
Das lässt sich schlecht beantworten, wenn man nicht selbst von Asperger betroffen ist. Auch sie wird Beleidigungen nicht einfach so wegstecken können. Vermutlich wird sie den Sinn des einen oder anderen schnippisch gemeinten Kommentars nicht verstehen, da Menschen mit Asperger ironische Bemerkungen oft wortwörtlich nehmen. Ihre Überzeugung bietet ihr aber auch einen gewissen Schutz und gibt ihr Kraft, weiterhin für ihre Sache einzustehen.
«Ihre Überzeugung bietet ihr aber auch einen gewissen Schutz und gibt ihr Kraft, weiterhin für ihre Sache einzustehen.»
Das Asperger-Syndrom gehört zu den Autismus-Spektrum-Störungen, kurz ASS. Inwiefern unterscheidet es sich von anderen Formen von Autismus?
Autismus zeigt sich in seiner Ausprägung ganz unterschiedlich. Das Spektrum umfasst Personen, die in ihren kommunikativen und kognitiven Fähigkeiten teilweise massiv eingeschränkt sind. Manche von ihnen sind im Alltag auf Hilfe angewiesen und können kein eigenständiges Leben führen. Menschen mit Asperger-Syndrom haben normale bis überdurchschnittliche kognitive Fähigkeiten und verfügen über eine gute sprachliche Kompetenz. Eigenschaften, durch die sie beruflich sehr erfolgreich sein können.
Gibt es unverkennbare Merkmale oder variieren diese von Person zu Person stark?
Vielen Menschen mit Autismus gelingt es nicht, die Mimik und Gestik ihres Gegenübers richtig zu deuten. Häufig haben sie Mühe mit Reizen wie grellem Licht, Gerüchen oder Geräuschen. Sie sehen oft eher Details und haben Probleme, sich einen Überblick zu verschaffen. Je nach beruflicher Tätigkeit können diese Eigenschaften aber auch von Vorteil sein. Menschen mit Autismus arbeiten meistens sehr sorgfältig und achten auf kleinste Nuancen.
Personen mit Asperger-Syndrom werden von ihrer Umwelt manchmal als gefühlskalt wahrgenommen …
Sie haben sogar starke Gefühle, nur gelingt es ihnen nicht, diese einzuordnen. Empathie ist etwas äusserst Komplexes, und es wäre falsch, Menschen mit Asperger die Fähigkeit für ein empathisches Empfinden pauschal abzusprechen. Auch sie können mitfühlen, eben auf eine andere Art. Was andere empfinden, muss für sie Sinn machen, sie müssen es verstehen können.
Lässt sich das Leben von autistischen Kindern, speziell bei solchen mit Asperger-Syndrom, durch eine Psychotherapie verbessern?
Ob mit oder ohne Autismus: Längst nicht jedes Kind oder jeder Erwachsene in der Schweiz, die eine Psychotherapie benötigen, bekommt auch eine. Es gibt immer noch viel zu wenige solcher Angebote. Das ist bedauerlich, denn gerade mit autistischen Kindern kann man sehr gezielt arbeiten, egal ob in einer Einzel- oder in einer Gruppentherapie. Vieles, was die Bereiche Kommunikation und Interaktion angeht, kann während einer Therapie besprochen oder geübt werden.
Wie können wir lernen, Menschen mit Autismus besser zu verstehen?
TV-Serien wie «Atypical» oder «The Good Doctor» bringen uns die Welt der autistischen Menschen näher. Sie zeigen, wie vielseitig Autismus sein kann und über welche besonderen Fähigkeiten die Betroffenen verfügen. Es braucht Verständnis und ein gewisses Mass an Toleranz, doch wenn man ihnen die Chance gibt, sich einzubringen, sind sie eine grosse Bereicherung für die Gesellschaft.
Dr. med. Ronnie Gundelfinger ist seit 2004 Leitender Arzt der Fachstelle Autismus an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich. Er ist Kinderarzt und Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie. Zudem ist er im Vorstand des Elternvereins «autismus deutsche schweiz» aktiv.
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O-Ton Prinzessin Kate
«Wie Sie sich vorstellen können, hat das Zeit gebraucht. Ich habe Zeit gebraucht, um mich von der grossen Operation zu erholen und mit der Behandlung beginnen zu können. Vor allem aber haben wir Zeit gebraucht, um George, Charlotte und Louis alles in einer für sie angemessenen Weise zu erklären und ihnen zu versichern, dass es mir gut gehen wird.»
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O-Ton Prinzessin Kate
«Meine Arbeit hat mir immer viel Freude bereitet und ich freue mich darauf, wieder dabei zu sein, wenn es möglich ist, aber jetzt muss ich mich auf meine vollständige Genesung konzentrieren. (...) Es geht mir gut und ich werde jeden Tag stärker, indem ich mich auf die Dinge konzentriere, die mir helfen, zu heilen – mental, körperlich und seelisch.»
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