Ökonom zum Migros-Kahlschlag «Es ist absolut möglich, dass Coop bald nachzieht»

Von Dominik Müller

5.2.2024

Die Migros hat am Freitag über die Verkaufspläne von vier Tochterunternehmen und den geplanten Abbau von 1'500 Stellen informiert.
Die Migros hat am Freitag über die Verkaufspläne von vier Tochterunternehmen und den geplanten Abbau von 1'500 Stellen informiert.
Archivbild: Keystone

Die Migros hat am Freitag den grössten Abbau in ihrer Geschichte verkündet. Für den Ökonomen Mathias Binswanger ist ihr Handeln nachvollziehbar – auch Coop könnte bald nachziehen.

Von Dominik Müller

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Die Migros liess am Freitag eine Bombe platzen: 1'500 Stellen werden abgebaut, die Tochterunternehmen Hotelplan, Mibelle, Melectronics und SportX sollen verkauft werden.
  • Die Massnahmen seien aus wirtschaftlicher Sicht nachvollziehbar, sagt Ökonom Mathias Binswanger im Interview mit blue News.
  • Die Expansion in verschiedenste Sparten habe zu mehr Bürokratie als Ertrag geführt.
  • Auch bei Konkurrentin Coop seien ähnliche Entwicklungen denkbar.
  • An die Migros als Genossenschaft würden höhere Erwartungen gestellt als an ein Durchschnittsunternehmen. Der Detailhändler könne diese aber schon lange nicht mehr erfüllen.

Am Freitag hat die Migros über den geplanten Abbau von 1'500 Vollzeitstellen und die Verkaufspläne von mehreren Tochterunternehmen informiert. Neue Eigentümer werden für Hotelplan, Mibelle, Melectronics und SportX gesucht.

Der Ökonom Mathias Binswanger von der Fachhochschule Nordwestschweiz ordnet im Interview mit blue News die Entwicklungen rund um den grössten Detailhändler der Schweiz ein.

Herr Binswanger, sind Sie ein «Migros-Kind»?

Das lässt sich als Bewohner der Schweiz kaum vermeiden. Natürlich kaufe auch ich immer wieder bei Migros ein, und das auch nicht ungern.

Die Migros gab am Freitag den grössten Abbau in ihrer Geschichte bekannt. Können Sie den Schritt aus wirtschaftlicher Sicht nachvollziehen?

Ja, das ist nachvollziehbar. Die Migros hat in den letzten Jahrzehnten in unterschiedlichste Bereiche expandiert, um möglichst überall dabei zu sein. Da drängt sich irgendwann eine Konsolidierung auf.

Zur Person
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Imago

Mathias Binswanger ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Olten und Privatdozent an der Universität St. Gallen. Er forscht in den Bereichen Makroökonomie, Finanzmarkttheorie, Umweltökonomie sowie in der Erforschung des Zusammenhangs zwischen Glück und Einkommen.

Ist das Konstrukt Migros, das neben dem Kerngeschäft Supermarkt auch diverse Fachgeschäfte, die Migros Industrie, Finanzdienstleistungen, Reisen und Gesundheit beinhaltet, nicht mehr zeitgemäss?

Migros und Coop haben über lange Zeit den Schweizer Detailhandel dominiert und sehr gut von dieser Marktmacht gelebt. Das hat zu einem Überengagement in verschiedensten Sparten geführt, die nichts miteinander zu tun haben. Das verursacht irgendwann mehr Bürokratie als Ertrag. Mittlerweile versucht man wohl, sich verstärkt auf erfolgversprechende Bereiche wie die «Gesundheit» zu konzentrieren.

Die grosse Konkurrentin Coop ist ebenfalls ein Grosshandelsunternehmen und als Genossenschaft organisiert. Könnten bei Coop ähnliche Entwicklungen folgen?

Ja, es ist absolut möglich, dass Coop bald nachzieht. Coop hat seinen Onlineshop microspot.ch ja bereits mit interdiscount.ch verschmolzen. Und ob Fust und Nettoshop, die ebenfalls zu Coop gehören, in der jetzigen Form erhalten bleiben, kann ebenfalls hinterfragt werden.

Bis zu 1'500 Stellen werden bei der Migros gestrichen. Riskiert die Migros damit ihren Status als Unternehmen, das viel Wert auf seine soziale Verantwortung legt?

Die Migros beschäftigt in der Schweiz fast 100'000 Menschen. Da hält sich ein Verlust von 1'500 Stellen, der ein bis zwei Prozent der Beschäftigten ausmacht, in Grenzen. Es geht hier nicht um einen unsozialen Kahlschlag, auch wenn es für die Betroffenen natürlich hart ist.

Fällt der Schock in der Bevölkerung deshalb so gross aus, weil für die Migros als Genossenschaft andere Erwartungen gelten als an andere Konzerne?

Ja, an die Migros werden höhere Erwartungen gestellt als an ein Durchschnittsunternehmen, welche der Detailhändler aber schon lange nicht mehr erfüllen kann. Die Migros hat sich zunehmend von den Grundideen Duttweilers entfernt und verhält sich de facto oft weniger wie eine Genossenschaft, sondern vielmehr wie eine Aktiengesellschaft. Genossenschaften mit einer Grösse von Migros oder Raiffeisenbank funktionieren oft nicht wunschgemäss und es gibt immer wieder Governance-Probleme.

Für viele Menschen hat die Migros etwas Identitätsstiftendes. Ist die Zeit der «Migros-Kinder» nun vorbei?

Man sollte von der Migros in der heutigen Form keine Identitätsstiftung erwarten. Die Migros hat ihren Nimbus als Institution für die «kleinen Leute» eingebüsst. Zum Glück gibt es noch das Kulturprozent und das Alkoholverkaufsverbot. Auf diese Weise überlebt wenigstens noch etwas vom ehemaligen Geist der Migros.

Transparenzhinweis: Mathias Binswanger hat die Fragen aus Zeitgründen schriftlich beantwortet.

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