Kultstätte unter Wasser Sensationsfund im Titicacasee – Mächtiger Staat lange vor den Inkas 

tafi

7.4.2019

Bei diesem majestätischen Ausblick ist es für die Forscher bicht verwunderlich, dass die Eliten des Staates Tiwanaku ihre rituellen Zeremonien mitten im Titicacasee veranstalteten.
Bei diesem majestätischen Ausblick ist es für die Forscher bicht verwunderlich, dass die Eliten des Staates Tiwanaku ihre rituellen Zeremonien mitten im Titicacasee veranstalteten.
Keystone / Symboldbild

Die Inka waren nicht die erste Hochkultur in den Anden: Lange vorher entstand rund um den Titicacasee der Staat Tiwanaku. Für dessen Entstehung hat ein Felsenriff mitten im See eine entscheidende Rolle gespielt.

Es ist eine bemerkenswerte Entdeckung, die ein Wissenschaftler-Team um Christophe Delaere von der University of Oxford im Tititcaca-See gemacht haben. In der Zeitschrift «Proceedings» der Nationalen Akademie der Wissenschaften der USA berichten sie von einem aussergewöhnlichen rituellen Kultstätte mitten im See, der etwa 15-mal grösser als der Bodensee ist und sich zwischen Bolivien und Peru befindet. Dort hätten die Forscher zeremonielle Relikte gefunden, die Aufschluss darüber geben, wie der Staat Tiwanaku entstanden ist und seine Macht sicherte.

Religion und Rituale gehörten demnach zu den wesentlichen Faktoren, um die Stabilität des Staates zu gewährleisten. Mit Zeremonien und Opfergängen festigte die herrschende Klasse ihre Macht, belohnte oder bestrafte die Bevölkerung. Die sensationellen archäologischen Funde im Titicacasee geben nun erstmals Aufschluss über die Abläufe in Tiwanaku.



Die Wissenschaftler bargen zahlreiche hochwertige Objekte, darunter eine Lapislazuli-Puma-Figur und andere Miniatur-Steintiere, Keramik-Puma-Räuchergefässe und Goldschmuck, wie gravierte Blätter, ein Medaillon und ein L-förmiges Stück, das mit Puma- und Kondor-Silhouetten verziert ist. Offenbar wurden extra ausgeschmückte Lamas in pompösen Zeremonien geopfert, Gottheiten wurden mit Gold und Keramikminiaturen besänftigt.

Der Titicacasee hat die Artefakte beschützt

Marine-Archäologen hatten beschlossen, das Khoa-Riff zu erkunden, nachdem Amateurtaucher dort eine Reihe von antiken Gegenständen gefunden hatten. Das Riff befindet sich in mehr als fünf Metern Tiefe rund 10 km vor der nordwestlichen Spitze der Sonneninsel (Isla del Sol), einem zentralen Punkt des Titicacasees.



«Das Tolle an diesen Artefakten ist, dass sie über ihre Schönheit und die Qualität der Herstellung hinaus in einem ungestörten Kontext entdeckt wurden», sagte Christophe Delaere, der das Wissenschaftler-Team leitet, dem «Guardian». «Der Titicacasee hat die materielle Güter vor der Zeit und dem Menschen geschützt. Nie zuvor wurden so viele Artefakte dieser Qualität entdeckt. Die Geschichte, die uns diese Objekte erzählen, ist aussergewöhnlich.»

Neben den Artefakten und Lamaknochen fanden die Archäologen auch die Überreste verbrannter Fische, von denen sie annehmen, dass sie während der Zeremonien gegessen wurden. Die Kohlenstoffdatierung von Holzkohle und Knochen an der Stätte ergab, dass die Opfer im Zeitraum zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert gemacht wurden, wie aus ihrem Bericht hervorgeht.

Rituale, Religionen und «übernatürliche Bestrafungen»

Eine der Hauptfragen im Zusammenhang mit dem Staat Tiwanaku ist die Frage, wie er sich im ersten Jahrtausend so effektiv im Titicaca-Becken ausbreiten konnte. Charles Stanish, ein Anthropologe im Team, glaubt, dass Pilgerfahrten, die zu Zeremonien führten, ein entscheidender Bestandteil der Staatsstruktur waren. Durch Rituale, Religionen und «übernatürliche Bestrafungen» förderte der Staat den inneren Zusammenhalt und hielt Rebellen im Zaum.

Die Autoren der Studie finden es nicht überraschend, dass die Elite von Tiwanaku ausgerechnet das Riff mitten im Titicacasee für ihre aufwändigen Zeremonien nutzte. Von dort aus haben die Teilnehmer einen Panoramablick auf den See und die spektakulären umliegenden Berge. «Rituale und Religionen waren auch schon früher von grundlegender Bedeutung. Sie sind keine Erfindung unseres Zeitalters», so Stanish. «Dadurch wurde das Leben der Menschen, wurden die Wirtschaft und die gesamte Gesellschaft strukturiert.»

Der Staat Tiwanaku existierte wahrscheinlich zwischen dem 5. und 12. Jahrhundert und entwickelte sich zu einem der grössten und einflussreichsten der Anden. Sein Zentrum war das Titicaca-Becken, ein einzigartiges Ökosystem mit einem «Binnenmeer» 3'800 Meter über dem Meeresspiegel. Zur Zeit der spanischen Eroberung Südamerikas lebten dort schätzungsweise eine Million Menschen.

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