Fragen und AntwortenDarum rechnet die WHO mit einem Pandemie-Ende in Europa
uri
25.1.2022
WHO: Ende der Corona-Pandemie in Europa nach Omikron-Welle «plausibel»
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schliesst ein Ende der Corona-Pandemie in Europa nach der derzeitigen Omikron-Welle nicht aus. «Es ist plausibel, dass die Region sich auf eine Endphase der Pandemie zu bewegt», sagte der Europa-Chef der WHO,
24.01.2022
Auch die Weltgesundheitsorganisation sieht für Europa inzwischen Anzeichen für das Ende der Corona-Pandemie. Bis man das aber absehen kann, dürfte es womöglich noch bis in den Herbst dauern.
uri
25.01.2022, 00:00
25.01.2022, 08:15
uri
Angesichts der Omikron-Welle versprühte Bundesrat Alain Berset in der letzten Woche bereits Optimismus. Es handle sich vielleicht um den «ersten Schritt von einer Pandemie zu einer Endemie», sagte er auf der Medienkonferenz des Bundesrats. Und tatsächlich mehren sich die Hinweise dafür, dass sich das Ende der Pandemie andeutet. Das allerdings muss noch längst nicht den Gang in die Normalität bedeuten.
Kommt mit Omikron nun das Ende der Pandemie?
Die Omikron-Variante ist hochansteckend, löst aber bisherigen Studien zufolge in der Regel Erkrankungen mit einem milderen Verlauf aus als frühere Virusvarianten. Zwei Jahre nach Beginn der Pandemie wird deshalb nun die Hoffnung laut, dass sich Corona von einer Pandemie zu einer Endemie entwickelt, also – etwa wie die Grippe – dauerhaft in einer begrenzten Region oder in Teilen der Bevölkerung auftritt, aber nicht mehr für so grosse Ausschläge bei den Infektionen führt.
Am Wochenende teilte nun auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mit, dass sie ein baldiges Pandemie-Ende in Europa für möglich hält. «Es ist plausibel, dass die Region sich auf eine Endphase der Pandemie bewegt», sagte der Europa-Chef der WHO, Hans Kluge, der Nachrichtenagentur AFP. Noch Mitte Januar hatte sich die WHO-Expertin Catherine Smallwood diesbezüglich bedeutend skeptischer gezeigt.
Wie Kluge ausführte, dürfte es nach dem Abebben der derzeitigen Omikron-Welle in Europa «für einige Wochen und Monaten eine Immunität geben, entweder dank der Impfung oder weil die Menschen wegen einer Infektion Immunität haben». Geteilt wird diese Sicht auch von Expertinnen und Experten. Isabella Eckerle, Virologin an den Universitätskliniken in Genf, erklärte dem Magazin «Spektrum der Wissenschaft» etwa, die Situation habe sich insofern grundsätzlich geändert, dass man nun keine komplett «immunnaive Bevölkerung» mehr habe. Sie vermute deshalb, «dass wir in den Ländern mit hoher Impfquote jetzt schon so eine Art Übergangsphase haben, nach der sich so ein gewisser stabiler Zustand einstellt».
Und wie sieht es weltweit aus?
Aus globaler Sicht ist WHO-Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus skeptisch, dass die Pandemie schon bald ganz beendet sein dürfte. Er warnte am heutigen Montag auf der Exekutivratssitzung der Weltgesundheitsbehörde vor möglichen neuen Varianten des Virus und erklärte, die Bedingungen für solche Varianten seien nach wie vor ideal. Allerdings machte auch er Hoffnung darauf, dass die akute Phase der Pandemie noch in diesem Jahr beendet werden könne. Voraussetzung sei dafür aber, dass das Ziel der WHO erreicht werde, bis Mitte dieses Jahres 70 Prozent der Bevölkerung in jedem Land zu impfen.
Wie steht es um die globalen Impfanstrengungen?
Bereits Anfang Dezember 2021 warf der WHO-Chef den reichen Ländern moralisches Versagen vor, weil sie Impfstoffe horteten, während in etlichen Ländern noch händeringend auf die Vakzine gewartet werde. Auch jetzt sind die Impfanstrengungen noch nicht weit genug gediehen. So haben etwa in Afrika laut Tedros noch 85 Prozent der Menschen keine Impfung erhalten. Immerhin ist laut Tedros inzwischen der Impfstoffmangel aber überwunden. Das Problem sei nun ein logistisches – und zwar, die Dosen in alle Länder zu bringen und sie dort zu verabreichen.
Was bedeutet eine Endemie für das Coronavirus?
Wie die meisten Expertinnen und Experten bezweifelt auch die Genfer Virologin Eckerle, dass das Coronavirus wieder gänzlich verschwinden wird. Sie vermutet im Gespräch mit «Spektrum der Wissenschaft», dass Sars-CoV-2, indem es endemisch wird, sich unter bereits zirkulierenden Erregern einreiht. «Dass das Virus endemisch wird, bezieht sich auf die epidemiologische Dynamik und sagt nichts über die Krankheitslast aus oder die Schäden in der Gesellschaft, die das Virus verursacht», warnt sie aber.
Der Epidemiologe Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut in Bremen gab gegenüber der Deutschen Presse-Agentur zudem zu bedenken, dass auch aus einer Endemie wieder eine Pandemie werden kann: «Neue Varianten können leider immer wieder zu einer neuen pandemischen Welle führen.» Umso entscheidender sei die globale Durchimpfung der Weltbevölkerung, «das verringert das Risiko für neue stark mutierte Varianten».
Wie wird sich das Virus weiter verändern?
Fakt ist, dass das Coronavirus auch künftig mutieren wird, und nicht ausgeschlossen ist auch, dass künftige Varianten auch aggressiver werden könnten. Allerdings lässt sich derzeit nicht vorhersagen, in welche Richtung es gehen wird und welche Varianten in einigen Monaten zirkulieren. Richard Neher, Biophsyiker und Professor für Virusevolution an der Universität Basel, erklärte in der ARD, man müsse davon ausgehen, dass sich das Virus weiterhin verändere.
Unklar sei dabei aber etwa noch, ob sich das Virus weiter so sprunghaft verändert wie zuletzt bei Omikron oder womöglich langsam und kontinuierlich. Neher rechnet damit, dass Corona in den nächsten Jahren wie die Grippe in Wellen kommen wird. Nicht klar sei dabei allerdings: «Werden diese Wellen dreimal oder doppelt so schlimm wie die normale Grippewelle oder nur halb so schlimm?»
Ähnlich sieht das auch Virologin Eckerle, die warnt: «Auch die Influenza macht Risikogruppen schwer krank, und wir haben regelmässig Winter, in denen das Gesundheitssystem durch die Grippe an seine Grenzen kommt.» In einem solchen Fall könnten regelmässige Corona-Impfungen – wenigstens für Risikogruppen – auch künftig aktuell bleiben.
Wann wird man wirklich wissen, ob das Virus endemisch wird?
Für Virologin Eckerle dürfte aus europäischer Perspektive die Lage im Herbst entscheidend sein. Dann werde sich nämlich zeigen, «wie sich Sars-CoV-2 in einer Bevölkerung mit umfassender Grundimmunität verhält» und wie viele Personen dann tatsächlich noch schwer erkrankten und die Spitäler belasteten.
Steht die nächste Pandemie schon in den Startlöchern?
Auch wenn teils davon die Rede ist, dass eine Pandemie drei Jahre dauere: Eine Faustregel zur Dauer könne man aus früheren Seuchen nicht ableiten, sagt der Medizinhistoriker Jörg Vögele von der Universität Düsseldorf. Nicht nur die Eigenschaften der jeweiligen Krankheitserreger, sondern auch die gesellschaftlichen Umstände seien zu unterschiedlich. Historisch werde das Ende von Pandemien etwa an einem Absinken der Sterbezahlen festgemacht.
Pandemien hätten neben einem epidemiologischen aber immer auch ein soziales Ende, sagt Vögele. «Man hat zum Beispiel bei der Spanischen Grippe gesehen, dass die Menschen irgendwann gesagt haben: Es ist genug jetzt» – obwohl das Ende epidemiologisch gesehen noch nicht vollkommen erreicht gewesen sei. Auch die Resilienz einer Gesellschaft spiele eine Rolle: «Für die an Leid und Tod gewöhnte Nachkriegsgesellschaft zum Beispiel galt die Asiatische Grippe ab 1957 als kein so starker Einschnitt wie Corona für uns heute.»
«Eine Lehre aus der Geschichte ist: Wenn die eine Seuche vorbei ist, kommt die nächste», sagt Vögele auch. Heutzutage könnten Klimawandel und Globalisierung das Auftreten von Epidemien und Pandemien beschleunigen: «Es ist zu befürchten, dass so etwas künftig häufiger vorkommen wird.»