Ansätze zur EindämmungForscher identifizieren die drei Haupttreiber der Coronapandemie
dpa/uri
22.10.2020
Die steigenden Coronainfektionszahlen lassen den Ruf nach Massnahmen lauter werden. Doch was treibt die Pandemie vor allem an? Forscher sehen drei Motoren.
Nach Auswertung des Bundesamts für Gesundheit BAG steckt sich ein Grossteil der Menschen in der Schweiz im privaten Umfeld mit dem Coronavirus an. Marcel Tanner von der Covid-19-Taskforce warnte deshalb kürzlich noch einmal: «Privatanlässe sollte man disziplinierter angehen.» Diese Einschätzung passt zu einem Bericht von US-Forschern im Fachblatt «Science». Sie beschreiben drei Haupttreiber der Pandemie.
In dem Überblicksartikel betont das Team um die Epidemiologin Elizabeth Lee von der Johns Hopkins Bloomberg School of Public Health in Baltimore, dass ein Grossteil der SARS-CoV-2-Infektionen vermutlich auf Haushalte entfällt. Die Autoren verweisen auf mehrere Studien, denen zufolge 46 bis 66 Prozent der Ansteckungen haushaltsbasiert seien. Eine grosse Untersuchung aus Südkorea kam nach der Analyse von mehr als 59'000 Fällen zu Schluss, dass die Ansteckungsgefahr in einem Haushalt sechsmal höher ist als bei anderen engen Kontakten.
10 Prozent der Fälle verursachen 80 Prozent der Infektionen
«Dies steht im Einklang mit der Tatsache, dass der Kontakt im Haushalt eine Hauptursache für die Übertragung anderer Atemwegsviren ist», betonen die Autoren. Ein vergleichbar hohes Risiko hätten auch sonstige Einrichtungen mit engem Zusammenleben wie Gefängnisse, Sammelunterkünfte und Pflegeeinrichtungen.
Auch wenn sehr viele Ansteckungen auf private Haushalte und ähnliche Wohnsituationen entfallen, seien es doch die Virusübertragungen ausserhalb davon, die verschiedene Haushalte miteinander verbindet, schreiben die US-Experten. Diese seien «essenziell für die Aufrechterhaltung der Epidemie».
Ansteckungen in solchen Situationen hängen demnach von einem komplexen Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren ab. Eine wichtige Rolle spielen die sogenannten Superspreading-Events – also wenn ein Infizierter bei einem Ereignis viele Menschen ansteckt, teilweise ohne selbst Symptome zu zeigen. Beispiele dafür waren in der Vergangenheit etwa Chorproben, Gottesdienste, Hochzeiten oder fleischverarbeitende Betriebe. Dabei könne eine kleine Anzahl Menschen für sehr viele Infektionen verantwortlich sein. Die Forscher verweisen auf Studien, denen zufolge bei SARS-CoV-2 etwa zehn Prozent der Fälle 80 Prozent der Infektionen verursachten.
Wissenslücken müssen noch geschlossen werden
Der dritte Treiber, der die Pandemie aufrechterhält, ist demnach die interregionale bis internationale Verbreitung durch Reisende. Schon wenige Fernverbindungen könnten dafür sorgen, dass das Virus sich weltweit ausbreiten könne. «Das ist ein Grund, warum frühe Reiseverbote die globale Ausbreitung von SARS-CoV-2 nicht stoppen konnten, obwohl sie die Pandemie möglicherweise verlangsamt haben», schreiben die Wissenschaftler. Dass Reisebeschränkungen funktionieren können, hätten die strengen Regeln in China gezeigt, durch die es gelungen sei, das Virus im Land einzudämmen.
Die Autoren des Überblicksartikels betonen zusammenfassend, dass die drei «Motoren der Übertragung» Ansatzpunkte böten, um die Pandemie einzudämmen. Es müsse darum gehen, sowohl auf breiter Ebene die Ansteckung in Haushalten zu reduzieren als auch gezielte Massnahmen gegen die anderen Infektionsfelder zu ergreifen.
Allerdings gebe es noch viele offene Fragen, betonen sie. «Das relative Übertragungsrisiko in verschiedenen Gemeinschaftsumgebungen wie Restaurants und Einzelhandelsgeschäften ist noch immer unklar, ebenso wie die Auswirkungen von Massnahmen zur Eindämmung der Übertragung in diesen Kontexten», schreiben sie abschliessend. «Das Schliessen dieser und anderer Wissenslücken wird klären, wie die Treiber der Übertragung zusammenwirken, welche die Pandemie nähren – und wie man zurückschlagen kann.»
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