ManipulationGehirnwäsche – der Mythos, der nie richtig funktioniert hat
Von David Eugster
5.5.2020
Die Kommunisten könnten die Gehirne unschuldiger Westler waschen, um sie zu schlimmsten Taten zu verleiten. Dieser Mythos hielt sich jahrzehntelang in den USA – doch die Realität ist banaler.
Die Vernichtung der Moral des Feindes gehört zu den Zielen jedes Krieges. Im Zweiten Weltkrieg erfuhr die Experimentierfreude amerikanischer Geheimdienste diesbezüglich neue Höhen. So plante man ernsthaft, Hitler zu blamieren, indem man ihm weibliche Hormone ins Essen schüttete, damit ihm die Haare ausfielen – denn was war der Führer noch ohne seinen Bart?
Andere Einheiten des Operation of Strategic Services, einer Vorgängereinheit des CIA, bastelten an stinkenden Flüssigkeiten herum, die Widerstandskämpfer japanischen Soldaten an die Hosen schmieren sollten – um sie mit dem Gedanken zu demütigen, sie hätten sich vollgemacht.
Doch über all diesen Spielereien stand eine grosse Fantasie: Wie konnte man den Geist des Feindes so unter seine Kontrolle bringen, dass er sich gegen seine eigenen Truppen wendete? Liesse sich ein deutscher Soldat durch Hypnose so beeinflussen, dass er sogar seinen Oberbefehlshaber ermordete?
Versuche in diese Richtung blieben erfolglos, ein Höhepunkt der Forschung des OSS im Krieg waren einige Russen, die man Joints rauchen liess und so etwas zum Plaudern brachte. Man war verzweifelt.
Wenige Jahre nach dem Krieg, 1949, kam es zum aufsehenerregenden Fall des ungarischen Kardinals Mindszenty, der in einem kommunistischen Schauprozess in Budapest all seine Fehler eingestand – was niemand erwartet hatte. Später behauptete er, man hätte ihm Drogen eingeflösst. Bereits in den 1950er-Jahren wurde öffentlich, dass er sein Geständnis unter Folter geäussert hatte – das zuzugeben, hätte aber mit dem Märtyrerideal der katholischen Kirche kollidiert.
Wenn Amerikaner zu Kommunisten überlaufen
Wegen Mindszentys Geständnis geriet das Gerücht in Umlauf, die Russen könnten einfach jeden und jede rumkriegen – mit raffinierten wissenschaftlichen Mitteln. Sogar in der beschaulichen «Schweizer Illustrierten» war damals zu lesen, dass die Kommunisten ihre Gegner mit Drogen gefügig machten und ihnen sogar befehlen konnten, aus dem Fenster zu springen.
Dann kam der Koreakrieg, in dem sich die USA und China auf fremdem Boden bekämpften. Der Konflikt dauerte von 1950 bis 1953 und endete damit, dass sich die Teilung des Landes in Südkorea und das kommunistische Nordkorea verfestigte – sie hält bis heute an. Mehr als 7'000 US-Soldaten waren in Kriegsgefangenschaft geraten. Sieben von zehn unterschrieben Petitionen gegen den Krieg, einige gestanden sogar Kriegsverbrechen. 15 Prozent kollaborierten mit den Chinesen. Die US-Geheimdienste waren besorgt.
Doch in den USA brach Panik aus, als es 1953 endlich zum Waffenstillstand kam und diese Soldaten heimkehren durften. Eine Klausel des Waffenstillstandes besagte, dass Soldaten nicht gegen ihren Willen repatriiert werden konnten. Die USA und Südkorea forderten dies mit dem Hintergedanken, dass Kämpfer, die aus Nordkorea oder China stammten, eher in den Westen übertreten würden, als in ihre kommunistische Heimat zurückzukehren – was auch in vielen Fällen geschah.
Man hatte aber nicht damit gerechnet, dass Einzelne den umgekehrten Weg wählen würden: Tatsächlich entschieden sich 21 amerikanische GIs und ein britischer Soldat dazu, in Nordkorea zu bleiben.
In den USA brach eine innere Krise aus: Der amerikanische Traum hatte in 21 Fällen versagt. Die amerikanische Ethnologin Margaret Mead sagte schockiert: «How could an American boy think that Communism was good?»
Die ganze Nation stellte sich diese Frage: Warum hatten diese Männer sich von der Heimat abgewendet? Einige sahen das Problem bei den Frauen an der Heimfront. Sie hätten zu Hause immer mehr das Sagen und verwöhnten ihre Boys zu sehr: Die Männer von heute seien schlicht zu verhätschelt, um Folter etwas entgegenzuhalten.
Die Mutter ist schuld!
Das Bild der überdominanten Mutter wurde überall an die Wand gemalt – so zum Beispiel im Film «Rebels Without a Cause», in dem James Dean einen entgleisten Jugendlichen spielt, dessen herrische Mutter den in eine Schürze gekleideten Vater den Boden putzen lässt.
Eine zweite Erklärung war, dass der jahrelange Kampf gegen den Kommunismus die Amerikaner gleichgeschaltet hatte, weil jedes Aufmucken gleich bestraft wurde. Senator Joseph McCarthy hatte seit Beginn der 1950er Politiker, Schauspielerinnen und Schriftsteller vor sein Komitee für unamerikanische Umtriebe gezerrt und ihre Existenzen wegen angeblicher und tatsächlicher Sympathien für linke Politik zerstört. Der Antikommunismus, meinten einige, produziere Duckmäuser und Stillhalter, die auch vor chinesischen Soldaten einknickten.
Woher auch immer die Anfälligkeit stammte, Einigkeit herrschte bald in einem Punkt: Die Überläufer waren ganz bestimmt einer Gehirnwäsche unterzogen worden. Eine Legion von Wissenschaftlern wurde darauf angesetzt, herauszufinden, welcher Techniken sich die Kommunisten bedienten.
Klassische Unmenschlichkeit
Die Forscher kamen bereits 1957 zum ernüchternden Schluss: Natürlich wirkten chinesische Militärs auf Kriegsgefangene ein. Doch darunter war nichts Neues, besonders Wirkungsvolles: Keine Hypnose, keine Zaubertränke, noch nicht mal komplexe Konditionierungstechniken aus düsteren Moskauer Laboratorien. Sie bedienten sich Klassikern der Unmenschlichkeit, die bereits die Inquisition kannte: Hunger, Durst, Folter, Isolation, psychischer Druck.
Doch die Öffentlichkeit mochte nicht mehr verzichten auf die Vorstellung, die Kommunisten hätten annähernd magische Kräfte. Denn der Kalte Krieg war ein Krieg, der einfach nicht ausbrechen wollte. Der Konflikt zwischen Kommunismus und Kapitalismus entlud sich zwar in blutigen Stellvertreterkonflikten in Asien und in Südamerika. Doch der Einmarsch ins westliche Europa und in die USA blieb aus – und der Feind blieb eine Figur, die nie ganz aus dem Nebel der angstvollen Erwartung heraustrat. In ängstlicher Erwartung wurde der unsichtbare Feind aus dem Osten zu einer Figur hochfantasiert, die alles konnte.
Später malten sich etliche Romane und Filme aus, wie Gehirnwäsche eben doch funktionierte. Der bekannteste davon ist «The Manchurian Candidate», in dem ein unbescholtener amerikanischer Bürger unter dem Einfluss kommunistischer Hirnwäsche dazu gebracht wird, ohne sein eigenes Wissen den Präsidenten zu ermorden.
Erst am Schluss wird klar: Es war dann doch seine Mutter, die ihn so weit getrieben hat.
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