Weissrussland Massengrab auf Gelände von ehemaligem jüdischen Getto entdeckt

AFP/uri

1.3.2019

Bei Bauarbeiten für einen Wohnblock im weissrussischen Brest wurde ein Massengrab mit 790 Toten gefunden. Es liegt auf dem Gelände des ehemaligen jüdischen Gettos, das die deutschen Besatzer 1942 «auflösten».

Ein Massengrab, mitten in der Stadt, mitten in Osteuropa: Bauarbeiter wollten im weissrussischen Brest eine Grube für einen Neubau ausheben – und stiessen auf die Überreste von hunderten Toten. Das Grab stammt aus der Zeit der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg, es befindet sich unter dem Gelände des ehemaligen jüdischen Ghettos. Die Überreste von rund 790 Getöteten haben Experten inzwischen geborgen. Unter den Bewohnern der Stadt herrscht Trauer – und wachsender Ärger über den Fortgang des Bauprojekts.



Die Narben der brutalen deutschen Besatzung sind in Weissrussland auch heute noch vielerorts zu sehen. Nun hat die Erde mitten im kalten weissrussischen Winter neue Belege für die damaligen Gräuel freigegeben – ein neuer Schreckensort der Geschichte.

Dmitri Kaminski, der Leiter der Exhumierungen, kann seine Emotionen nicht verbergen: «Als wir das Skelett eines Kindes und das Skelett einer Mutter fanden, die es schützte, habe ich verstanden, was diese Menschen gefühlt haben», sagte er. «Es waren keine guten Gefühle.»

Baufirma will weiter bauen

Die Menschen in Brest, einer etwas verschlafenen Provinzstadt an der Grenze zu Polen, reagierten mit Anteilnahme auf die Entdeckungen in ihrer Mitte. Rund tausend Menschen unterzeichneten bislang eine Petition. Sie fordert, auf den geplanten Bau des Wohnhauses über dem Massengrab zu verzichten und stattdessen eine Erinnerungsstätte einzurichten. Die Baufirma lehnt dies bislang ab.

Soldaten bergen in Brest, Weissrussland, die sterblichen Überreste von insgesamt 790 Personen aus einem Massengrab. 
Soldaten bergen in Brest, Weissrussland, die sterblichen Überreste von insgesamt 790 Personen aus einem Massengrab. 
Bild: AFP

«Ich weiss nicht, wie man ein Gebäude auf Knochen errichten kann», sagt die 87 Jahre alte Bresterin Galina Semenowa verständnislos. «Wir müssen hier ein Mahnmal zu Ehren der Toten errichten.»

Die Baufirma Pribuschskij Kwartal bietet einen Dialog mit den Anwohnern an, will das Bauprojekt aber nicht einstellen. «Leider wurden in den Nachkriegsjahren auf dem Territorium Weissrusslands viele Grabstätten gefunden, und sie werden immer noch gefunden», heisst es in einer Mitteilung des Unternehmens.

In diesem Punkt hat die Firma recht. Das Wirken der deutschen Besatzer in Weissrussland war gnadenlos und endete für zehntausende Menschen mit dem Tod. Schon kurz nach Beginn des Krieges gegen die Sowjetunion hatten deutsche Truppen im Juni 1941 die Grenzstadt Brest besetzt. Wenige Tage später erschossen sie tausende Juden.

Emotional belastende Exhumierung

Im Dezember 1941 wurde dann das Brester Ghetto eingerichtet. Die Bewohner mussten ihre Wertsachen abgeben, bis zu 18'000 Menschen waren dort zusammengepfercht. Jene Juden, die nicht schon im Ghetto den Tod fanden, wurden im Oktober 1942 nach Bronnaja Gora gebracht und dort ermordet. Bronnaja Gora war ein von den Nazis eingerichteter Massenvernichtungsort für Juden aus Weissrussland und Polen.



Derzeit sind auf der Baustelle in Brest Exhumierungsfachleute im Einsatz, noch ruhen die Bauarbeiten. Sie tragen den Boden ab, bergen Knochen und Schädel, die sie in Plastikkisten und weissen Säcken verstauen. Gleich neben dem Gelände stehen Wohnhäuser. Die Arbeit mit den Überresten der Ghetto-Opfer sei emotional sehr belastend, sagt der Ausgrabungsleiter Kaminski.

Die Gräuel der deutschen Besatzer im abgelegenen Weissrussland zählen zu den weniger bekannten Kapiteln der Geschichte des Vernichtungskriegs. Dabei hat das Land ganz besonders unter der Besatzung gelitten. In den vergangenen Jahren kam langsam eine gemeinsame deutsch-weissrussische Erinnerungsarbeit in Gang.

Inzwischen gibt es eine gemeinsame Geschichtswerkstatt in der Hauptstadt Minsk und einen Erinnerungsort im nahe gelegenen Malij Trostenez, wo viele Juden ermordet wurden. Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier besuchte den Ort im vergangenen Jahr. Dort sprach er von der «Orgie der Vernichtung», in der die Deutschen in Weissrussland gewütet hätten.

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