«Attitude-Behaviour-Gap» Warum klimabewusstes Verhalten so schwer fällt

Vanessa Köneke/dpa

14.10.2019

Ein Flugzeug am Stuttgarter Flughafen über Sonnenblumen hinweg. Trotz guter Vorsätze wollen zu wenige Menschen auf die Flugreise verzichten.
Ein Flugzeug am Stuttgarter Flughafen über Sonnenblumen hinweg. Trotz guter Vorsätze wollen zu wenige Menschen auf die Flugreise verzichten.
Christoph Schmidt/dpa (Archivbild)

Weniger fliegen und Auto fahren, mehr Rad und Bahn: Immer mehr Menschen möchten was gegen die Klimaerwärmung tun. Doch es gibt psychologische Hürden.

Am Familientisch wird hitzig über Fleischkonsum diskutiert. In der Teeküche streiten sich Kollegen, ob Inlandsflüge noch okay sind. SUV-Fahrer stehen am Pranger. Hunderttausende demonstrieren auf den Strassen. Das Thema Klimaschutz treibt die Menschen um wie nie. Immer mehr wollen was tun. Doch Anspruch und Wirklichkeit klaffen oft weit auseinander. Unter Psychologen ist diese Diskrepanz als «Attitude-Behaviour-Gap» (Einstellungs-Verhaltens-Lücke) bekannt. Gleich mehrere psychologische Hürden stehen klimaschonendem Verhalten im Weg.

In einer Ende Mai veröffentlichten Umfrage des deutschen Umweltbundesamtes (Uba) stuften zwei von drei Menschen in Deutschland Umwelt- und Klimaschutz als sehr wichtige Herausforderung ein — der Klimaschutz toppte damit Sicherheit, Migration und Arbeitslosigkeit. «Der Stellenwert von Umwelt- und Klimaschutz hat zugenommen», heisst es vom Uba. Die Bevölkerung sei durchaus bereit, eigene Beiträge zu leisten.

Doch der Bereitschaft folgen nicht immer Taten. Die Umfrage des Uba zeigt, dass das grundsätzliche Umweltbewusstsein und das tatsächliche Verhalten recht weit auseinanderliegen. Eine ähnliche Diskrepanz zeigte eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur und der Meinungsforscher von Yougov von Anfang diesen Jahres. Demnach kann sich fast jeder Zweite vorstellen, der Umwelt zuliebe auf eine Flugreise zu verzichten — doch nur jeder Fünfte hat es schon getan.

Schon vor knapp 30 Jahren entwickelte der US-amerikanische Sozialpsychologe Icek Ajzen die sogenannte Theorie des geplanten Verhaltens. Die Theorie nennt Gründe, warum aus einer Einstellung nicht unbedingt das entsprechende Verhalten folgt. Demnach können sogenannte subjektive Normen einen Menschen bremsen. Dabei geht es um erwartete Reaktionen der Umwelt. Halten mich Freunde und Familie für einen Ökofreak, wenn ich verpackungsfrei einkaufe oder ein Lastenrad leihe, um das Auto stehen zu lassen? Solche Gedanken prägen das Verhalten mit.

An den Rändern der der Linienstrasse in Berlin-Mitte, die als Fahrradstrasse gekennzeichnet ist, stehen geparkte Autos.
An den Rändern der der Linienstrasse in Berlin-Mitte, die als Fahrradstrasse gekennzeichnet ist, stehen geparkte Autos.
Jens Kalaene/zb/dpa (Symbolbild)

Ähnlich wichtig ist, wie sich Mitmenschen verhalten. Beispiele dafür liefern Studien des Marketing-Psychologen Robert Cialdini. So warfen Menschen in einem Parkhaus eher Müll auf den Boden, wenn der Boden ohnehin schon zugemüllt war. Ein weiteres Beispiel: Menschen passten ihren Energieverbrauch an, wenn sie den Verbrauch ihrer Nachbarn erfuhren.

Angst, der Dumme zu sein

Beim Klimaschutz kommt hinzu, dass das Problem so gross erscheint, dass die eigenen Massnahmen als wirkungslos wahrgenommen werden. Zudem gibt es den Gedanken: «Wenn nur ich mich einschränke und die anderen nicht, bin ich der Dumme.» Allerdings muss auch klar sein: Die Klimaerwärmung kann nur abgemildert werden, wenn jeder einzelne etwas tut — und die Politik entsprechende Vorgaben macht.

Für Psychologen ist auch entscheidend, ob ein Verhalten überhaupt machbar erscheint. In der Theorie des geplanten Verhaltens wird das als wahrgenommene Verhaltenskontrolle bezeichnet. Gibt es in einer Region keinen öffentlichen Nahverkehr und ist man nicht gesund genug zum Radfahren, bleibt manchmal nur das Auto. Dabei gibt es nicht nur objektive Hürden: Wer hat schon die Kraft und das Geld, um immer ein perfekter Umweltschützer zu sein? Nicht zuletzt die Zeit spielt eine grosse Rolle. Gegenüber dem Umweltbundesamt begründeten die meisten regelmässigen Autofahrer ihre Fahrten mit Zeitersparnis.

Aber was kann man tun, um den inneren Schweinehund beim Thema Klimaschutz zu überwinden? Marcel Hunecke, Umweltpsychologe an der Fachhochschule Dortmund, empfahl vor einigen Monaten, zunächst kleine Schritte zu machen. «Man muss positive Erfahrungen sammeln. Als reines Verzichtsprogramm wird das nicht funktionieren», sagte Hunecke. Ausserdem könnten Motiv-Allianzen helfen. Es mache Sinn, Klimaschutz mit anderen positiven Effekten wie Gesundheit oder Lebensqualität zu verbinden. Warum nicht mal ein Erholungsurlaub in Brandenburg statt eine Safari in Südafrika?

Der Sozialpsychologe Sebastian Bamberg von der FH Bielefeld sagt: «hilfreich ist, sich einen Plan zu machen, was man tut, wenn plötzlich eine Hürde auftaucht und man wieder ins alte Verhalten fallen will.» Ähnlich wie bei einer Suchttherapie. Allerdings sei das enorm aufwendig.

Kurzzeitige Bedürfnisse überwiegen

Manchmal sind andere Dinge für Menschen schlicht wichtiger als Klimaschutz. Scheint der Schulweg des Kindes mit dem Rad zu gefährlich, tendieren Eltern eventuell trotz Abgasen zum Auto. Lebt die grosse Liebe in Übersee, dürfte selbst ein engagierter Klimaschützer in den Flieger steigen. Auch wenn eine Flugreise nach New York laut CO2-Rechner des Uba mit knapp vier Tonnen CO2-Äquivalente zu Buche schlägt. Zum Vergleich: Im Schnitt verursacht ein Mensch in Deutschland 11,6 Tonnen im Jahr.

Oft überwiegen kurzfristige Bedürfnisse. «Mit vorausschauendem Denken hatte die Menschheit immer schon Probleme», sagte der Göttinger Psychologe Borwin Bandelow kürzlich der «Neuen Presse». «Das menschliche Hirn konzentriert sich seit Jahrtausenden auf Alles, was uns hier und jetzt bedrohlich erscheint, nicht irgendwann.»

Ein grosser Teil der Treibhaus-Emissionen stammt aus der Verkehrsbranche.
Ein grosser Teil der Treibhaus-Emissionen stammt aus der Verkehrsbranche.
Silas Stein/dpa (Symbolbild)

Ausserdem erschwert ein Paradox namens «unrealistischer Optimismus» den Umweltschutz. Es besagt, dass Menschen für ihr eigenes Leben optimistischer sind als für andere Menschen. Das schmälert den Handlungsdruck. So hielt in der Uba-Befragung fast jeder Befragte die Umweltqualität weltweit für schlecht. Auch für Deutschland schätzen zwei von fünf Menschen die Qualität als schlecht ein. Doch nur gut halb so viele sahen die Probleme für die eigene Gemeinde.

Hürden für umweltfreundliches Verhalten gibt es noch weit mehr. Der Umweltpsychologe Robert Gifford hat sogar 29 davon ausgemacht. Nicht zuletzt spielt Gewohnheit eine grosse Rolle, meint er. «Gewohnheiten mögen nicht die glamouröse Hürde sein, aber vielleicht die wichtigste für die Linderung der Klimawandelfolgen.»


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