Freiheit oder Zwang? Wie weltweit um eine Corona-Impfpflicht gestritten wird

dpa

27.11.2020 - 16:31

Mit oder ohne Zwang, das ist bei der Corona-Impfung die Frage. Während die Schweiz auf Freiwilligkeit setzt, gibt es andernorts eine Impfpflicht. (Symbolbild)
Mit oder ohne Zwang, das ist bei der Corona-Impfung die Frage. Während die Schweiz auf Freiwilligkeit setzt, gibt es andernorts eine Impfpflicht. (Symbolbild)
Keystone

Um Corona zu bezwingen, sollen in kürzester Zeit möglichst viele Menschen geimpft werden. Soll der Staat seine Bürger dazu verpflichten? In der Schweiz ein sensibles Thema, ist die Impfpflicht in anderen Ländern ganz normal.

Während fast ein Jahr nach Beginn der Corona-Pandemie Millionen Menschen auf der ganzen Welt einem Impfstoff entgegenfiebern, fürchten einige Kritiker bereits eine Impfpflicht. Wie nur wenige andere Themen aus der Medizin sorgen Vakzine für Kontroversen, in bestimmten Kreisen gelten Impfungen als verpönt. Auch auf Demonstrationen gegen die Corona-Massnahmen in der Schweiz finden sich immer wieder Impfgegnerinnen und -gegner.

Ein Obligatorium oder einen Zwang soll es in der Schweiz nicht geben – das machten Bundesrat Alain Berset und Lukas Engelberger, Präsident der Gesundheitsdirektorenkonferenz, erst wieder am Donnerstag deutlich. Zudem erklärte Berset, der Bund solle für die Kosten vollständig aufkommen. 



Rein gesetzlich wäre eine Impfpflicht aber denkbar. «Ein Obligatorium kann je nach Lage in speziellen Situationen Sinn machen», sagte die Chefin des Bundesamtes für Gesundheit, Anne Lévy, kürzlich im «SonntagsBlick». Aber nicht für die ganze Bevölkerung, wie die Gesundheitsrechtlerin Franziska Sprecher von der Universität Bern zu SRF sagte: «Impfobligatorien sind nach dem geltenden Recht möglich. Allerdings nur für spezifische Gruppen wie etwa Personen, die mit vulnerablen Gruppen zu tun haben, insbesondere das Gesundheitspersonal.»

Keim Impftourismus in die Nachbarländer

Gesundheitsminister Alain Berset stellt derweil einen Impfbeginn «früh im nächsten Jahr» in Aussicht. Die Schweiz habe die Produkte, die am schnellsten auf den Markt kommen und die am besten wirkten, identifiziert, sagte Berset am Donnerstag vor den Bundeshausmedien. «Wir sind gut positioniert.»

Verschiedene Impfstoffe würden derzeit von der Schweizerischen Heilmittelbehörde Swissmedic geprüft. Eine Notzulassung werde es aber nicht geben. In Deutschland soll ein Impfstoff schon einige Wochen früher verfügbar sein. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn rechnet damit, dass man in Deutschland am 15. Dezember mit den Impfungen beginnen könne.

Dass Schweizerinnen und Schweizer zur Impfung mal kurz ins Nachbarland fahren können, sei allerdings nicht möglich, wie SRF berichtet. «Sollte es vom Bund nicht anders vorgesehen werden, ist für die Verimpfung in Baden-Württemberg der Wohnort ausschlaggebend», wird Claudia Krüger, Sprecherin des Sozialministeriums im angrenzenden Bundesland Baden-Württemberg, zitiert. Lediglich Schweizerinnen und Schweizer in systemrelevanten Berufen und in der Pflege sollen in Baden-Württemnberg geimpft werden können.

Auch in Österreich, wo man mit der Impfstoffzulassung ebenfalls schneller ist als in der Schweiz, soll es laut SRF keinen Impftourismus geben. Im Bundesland Vorarlberg wolle man erst die Risikogruppen und das Gesundheitspersonal impfen.

USA: Ohne Impfung nicht mehr ins Restaurant

Auch in anderen Ländern gibt die Impffrage zu reden. In den USA ist ein Zwang für eine Corona-Impfung mit einem zugelassenen Mittel nicht ausgeschlossen. Ein solcher Beschluss würde aber nicht landesweit, sondern in jedem Bundesstaat getroffen. So verabschiedete die New Yorker Anwaltskammer Anfang November einen Beschluss, der eine Impfpflicht für den Fall empfehlen würde, dass nicht genug Menschen das Präparat freiwillig nehmen sollten.



Einer solchen Massnahme könnte dadurch Nachdruck verliehen werden, dass nicht geimpfte Personen zum Beispiel keine Bars oder Restaurants besuchen dürften. Auch Arbeitgeber können ihre Angestellten Experten zufolge zu einer Impfung veranlassen, solange sie einen berechtigten Grund dazu haben.

Australien setzt auf Pflicht

In Australien hat Premierminister Scott Morrison schon im August betont, er wolle eine Impfpflicht für alle Bürger, sobald ein Impfstoff vorhanden sei. Die nationale Fluggesellschaft Qantas will zumindest auf Interkontinentalflügen eine Impfpflicht für ihre Passagiere einführen. Sobald ein Impfstoff verfügbar sei, würden die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Airline entsprechend angepasst, sagte Qantas-Chef Alan Joyce.

Europa setzt auf Freiwilligkeit

Die meisten europäischen Länder hingegen setzen auf Freiwilligkeit. In Deutschland erteilte die Regierung einem Impfzwang bereits mehrfach eine klare Absage: «Ich gebe ihnen mein Wort: Es wird in dieser Pandemie keine Impfpflicht geben», betonte Gesundheitsminister Jens Spahn im Bundestag.



Frankreichs Präsident Emmanuel Macron erklärte diese Woche in einer TV-Ansprache: «Ich werde die Impfung nicht verpflichtend machen.» Die Impfungen gegen das Coronavirus sollen in Spanien freiwillig, kostenlos und zuerst Risikogruppen vorbehalten sein, wie es in dem Impfplan der Regierung steht. Auch in Tschechien sieht die nationale Impfstrategie vor, dass die Teilnahme an der Immunisierung freiwillig sein wird. Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte sagte in einem Fernsehinterview des Senders LA7, er favorisiere eine freiwillige Entscheidung.

Bei anderen Krankheiten gibt es eine Impfpflicht

Weltweit gibt es laut einer Studie der kanadischen McGill University in etwa der Hälfte aller Länder verpflichtende Impfprogramme gegen mindestens eine Krankheit. In 62 Staaten gibt es irgendeine Art von Strafe für Menschen, die sich der Impfpflicht widersetzen – das kann von Belehrungen über Geldbussen bis hin zu Haftstrafen reichen. «Impfprogramme sind das kosteneffektivste und erfolgreichste Werkzeug im öffentlichen Gesundheitswesen. Gerade in einer Pandemie ist eine hohe Durchimpfung im globalen Massstab wichtig», sagte die leitende Autorin der Studie, Katie Gravagna.



In Argentinien beispielsweise gibt es eine Impfpflicht gegen eine ganze Reihe von Krankheiten wie die üblichen Kinderkrankheiten, Hepatitis A und B, Rotaviren, Diphtherie, Tetanus und Gelbfieber. Diese Impfungen stehen im Nationalen Impfkalender und sind damit kostenlos und obligatorisch. Ohne Impfnachweis können Kinder zum Beispiel nicht eingeschult werden. Die Impfung gegen das Coronavirus soll zunächst nicht verpflichtend sein. Sie könnte aber noch später in den verpflichtenden Impfkalender aufgenommen werden, wenn sich die neuen Vakzine als effektiv und sicher herausgestellt haben.

Auch in Brasilien sind zahlreiche Impfungen verpflichtend. Allerdings gibt es vor allem unter den Anhängern des rechten Präsidenten Jair Bolsonaro grosse Vorbehalte gegen jede Art von Corona-Massnahmen. Als São Paulos Gouverneur João Doria zuletzt eine Impfpflicht gegen das Coronavirus ins Gespräch brachte, kam es zu Protesten. Auf einem Transparent war zu lesen: «Wir sind keine Versuchskaninchen.»

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