Das Bezirksgericht Winterthur hat die Verhandlung um illegale Verkäufe von Kunstwerken durch den ehemaligen Kunstkurator des Versicherungsunternehmens AXA am Mittwochmittag unterbrochen. Es will noch den psychiatrischen Gutachter befragen. Wann die nächste Verhandlung ist, steht noch nicht fest.
Bei der Versicherung arbeitete der Jurist und Kunsthistoriker seit 2006 in Teilzeit, seit 2007 als Kunstkurator. Das Unternehmen besitzt eine umfangreiche Kunstsammlung, verteilt über verschiedene Standorte in der ganzen Schweiz. Daneben führte der Mann eine eigene Firma im Kunstbereich.
Der Beschuldigte ist geständig, während Jahren Kunstwerke der AXA, aber auch des IKRK sowie von mehreren Privatpersonen für insgesamt rund 1,1 Millionen Franken auf eigene Rechnung verkauft zu haben. Das Geld brauchte er nicht etwa für ein Luxusleben, sondern es floss in seine Firma sowie in eine Kunstschreinerei, die er eröffnet hatte.
Zentral beim vorliegenden Fall ist die psychische Krankheit des Beschuldigten. Laut Gutachter ist der 51-jährige Deutsche manisch-depressiv, dazu kommen narzisstische Züge. Heute ist der Mann in psychiatrischer Behandlung. Diese soll fortgeführt werden, sind sich Anklage und Verteidigung einig.
"King-Kong-Gefühl"
In manischen Phasen habe sein Mandant ein "King-Kong-Gefühl", sagte der Verteidiger: Er fühle sich grossartig und sprühe vor Ideen - eine davon war die unrentable Kunstschreinerei. Er glaubte, die Kompetenz zu haben, alles zu tun, was er wolle. Diese Allmachtsgefühle hebelten jegliches Unrechtsbewusstsein aus.
"Kein landläufig normaler Krimineller" würde handeln wie sein Mandant, sagte der Verteidiger. Er ging völlig unplanmässig vor, versuchte nichts zu verschleiern oder Spuren zu verwischen - er machte alles ganz offen.
Verteidiger: " Schuldunfähig"
Sein krankheitsbedingter Grössenwahn sei noch verstärkt worden durch die fehlende Kontrolle innerhalb der AXA. Über Jahre merkte dort niemand, dass der Hauskurator Kunstwerke verkaufte. Die Delikte seines Mandanten seien Folge seiner Krankheit - er sei nicht schuldfähig und müsse deshalb freigesprochen werden.
Falls das Gericht dennoch zu einem Schuldspruch wegen mehrfacher Veruntreuung käme, sei eine bedingte Freiheitsstrafe von maximal fünf Monaten und eine Busse von höchstens 500 Franken angemessen.
Staatsanwalt: "Vier Jahre"
Der Staatsanwalt forderte eine vierjährige Freiheitsstrafe wegen mehrfacher Veruntreuung, gewerbsmässigen Diebstahls und vorsätzlicher ordnungswidriger Führung der Geschäftsbücher - der Beschuldigte hatte in seiner Firma keine Buchhaltung geführt.
Auch der Ankläger anerkannte die Krankheit des Beschuldigten als zentralen Faktor seines deliktischen Handelns. In den Phasen zwischen den manischen Episoden hätte er aber die Möglichkeit gehabt, zur Einsicht zu kommen. Er hätte Massnahmen ergreifen können, um seine finanziellen Probleme in den Griff zu bekommen.
Jahrelang umher geschoben
Das Gericht befragte den Beschuldigte zu seiner Kindheit und Jugend in Deutschland. In den 1960er-Jahren als Kind einer unverheirateten Frau geboren, wurde er in Pflegefamilien und Heimen umher geschoben. In einer Pflegefamilie sei es zu sexuellem Missbrauch gekommen. Mit sechs Jahren wurde er von einer Familie adoptiert.
Er habe sich nie überlegt, dass die Kunstverkäufe auffliegen könnten, sagte er. Er habe auch keine Skrupel gehabt, weil er das Ganze nicht hinterfragt habe. Das "hört sich bescheuert an", sei aber so. "Ich bin mit Tempo 180 ungebremst gegen die Wand gefahren".
Seine Machenschaften flogen aus, als ein Käufer auf einem im Internet ersteigerten Bild einen AXA-Aufkleber entdeckte und sich erkundigte, ob alles rechtens sei. Im März 2016 wurde der Kunstkurator festgenommen.
Was er getan habe, tue ihm unendlich leid und beschäme ihn zutiefst - nicht in erster Linie wegen des Geldes, sondern wegen der Tatsache, dass er Menschen, die ihm vertraut hätten, belogen und betrogen habe.
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